+++ Meinung +++
„Kevin Can F**k Himself“ auf Amazon Prime Video beginnt wie eine stinknormale Sitcom: Nach der kurzen Außenansicht eines mittelständischen, amerikanischen Hauses wird ins Wohnzimmer geschnitten, wo Kevin (Eric Petersen) und sein Kumpel Neil eine fröhliche Runde Beer Pong spielen, angefeuert von ihren Freunden. Kevin ist ein erwachsener Mann, der sich wie ein Jugendlicher verhält. Gleich zum Einstieg also präsentiert „Kevin Can F**k Himself“ – in absoluter Formvollendung – ein klassisches Sitcom-Klischee, dem noch viele weitere folgen werden, nur um Kevin und mit ihm all seine Gesinnungsgenossen der Seriengeschichte als lächerliche, toxische Männer zu entlarven. Denn der erste Eindruck aus dem Auftakt von „Kevin Can F**k Himself“ täuscht ganz gewaltig.
Es geht um die Ehefrau
Kevin ist nicht die Hauptfigur der Serie. Die Hauptfigur heißt Allison (Annie Murphy) und ist Kevins Ehefrau, die seinen ganzen Quatsch geduldig über sich ergehen lässt, wie man(n) das von Sitcom-Ehefrauen eben gewohnt ist – jedenfalls tut sie das, solange sie mit Kevin in derselben Szene ist. Wenn Allison aber alleine oder mit anderen Menschen zu tun hat, wird deutlich, dass sie von Kevin die Nase voll hat.
Dann wechselt auch die Inszenierung radikal: War die Serie eben noch eine Sitcom mit eingespielten Lachern, Bühnenkulissen und freundlichen, gesättigten Farben, hat sie plötzlich einen naturalistischen Look mit gedeckten Farbtönen, echten Drehorten und Darsteller*innen, die nuanciert spielen, statt komödiantisch-überzeichnet und mit dem Studiopublikum im Blick.
Originelle Inszenierung
Dieser beständige, radikale Stilwechsel zwischen Sitcom- und Drama-Optik hebt „Kevin Can F**k Himself“ von den meisten anderen TV- oder Streaming-Serien ab, von denen manche zwar handwerklich brillant inszeniert sind – man denke an „Game Of Thrones“ oder „The Mandalorian“ –, die aber selten eine individuelle Bildsprache haben.
Mit den Stilbrüchen zwischen Sitcom- und Single-Cam-Optik sieht „Kevin Can F**k Himself“ sogar aus wie überhaupt keine Serie zuvor. Und sie ist ein klarer Angriff auf Sitcoms, deren Handlung um einen ach so liebenswerten, bei klarem Blick aber ziemlich tyrannischen Typen kreist, allen voran „King Of Queens“ und vor allem „Kevin Can Wait“.
» "Kevin Can F**k Himself" bei Amazon Prime Video*
In „Kevin Can Wait“ spielt Kevin James einen Cop im Ruhestand, oder besser gesagt: Er spielt den gemütlichen Doug aus „King Of Queens“ in einer alternativen Realität, in der er eben bei der Polizei war, anstatt Pakete auszuliefern. Der Ex-Cop heißt Kevin und ist mit Donna (Erinn Hayes) verheiratet, zumindest bis sie zwischen den Staffeln 1 und 2 einfach stirbt. Diese am Schreibtisch der Drehbuchautor*innen begangene, beispiellos einfallslose Ermordung einer Serien-Ehefrau, mit der man nichts anderes anzufangen wusste, als sie auf die billigste Art aus der Geschichte zu schreiben, war die Initialzündung für die Entstehung von „Kevin Can F**k Himself“.
Rache in Serie
Konsequenterweise – das sei an dieser Stelle verraten – plant Allison nicht weniger als die Ermordung ihres Ehemanns Kevin, was einen inhaltlichen Grund hat, sich vor allem aber auf der Meta-Ebene erklären lässt: „Kevin Can F**k Himself“ ist eine Rachefantasie von Serien-Schöpferin Valerie Armstrong, und ihr Opfer ist nicht zuallererst die hier von Eric Petersen gespielte Serien-Figur Kevin; ihre Opfer sind alle Sitcom-Ehemänner, die wie Kevin sind.
Leider lustig – und dadurch subversiv
Als Zuschauer, der seinerzeit sehr gerne „King Of Queens“ geschaut hat, muss ich zugeben: Ich fand ausgerechnet einige der Sitcom-Gags aus „Kevin Can F**k Himself“ trotz allem verdammt lustig. Die Serie wurde als perfekte Kopie ihrer Vorbilder geschrieben und es ist alles drin, was den beliebten Humor solcher Formate kennzeichnet – vom grummeligen Opa, über eskalierende Nachbarschafts-Streitigkeiten bis hin zu kindischen Duellen wie einem Chili-Kochwettstreit zwischen erwachsenen Kumpels und eine Szene, in der Kevin das Geburtstagsessen im Restaurant mit seiner Frau ständig unterbricht, u. a. für ein spontanes Steak-Wettessen mit einem Sport-Star, der am Nachbartisch sitzt.
Der subversive Humor von „Kevin Can F**k Himself“ besteht darin, dass ich vieles an der Serie tatsächlich lustig finde und mich so mit Kevin gemeinmache:
Ich bin beim Gucken von „Kevin Can F**k Himself“ also im permanenten Kampf mit mir selbst und frage mich, was das jetzt eigentlich über mich aussagt, wenn ich Kevin mitunter echt lustig finde, obwohl (oder weil?) er ein egozentrischer Kindskopf ist. Und auf der anderen Seite machen es mir Valerie Armstrong und ihr Team nicht besonders leicht, ihre Serien-Protagonistin Allison wirklich zu mögen. Sie ist nämlich sprunghaft, mitunter verroht und manchmal gar nicht so überlegt in ihrem Handeln.
Keine Badass-Heldin, sondern ein Mensch mit Ecken und Kanten
„Kevin Can F**k Himself“ ist eine wütende Antwort auf Sitcoms wie „King Of Queens“. Aber anstatt den Kevins dieser Welt eine durch und durch sympathische und mit allen Wassern gewaschene Badass-Frau entgegenzusetzen (eine Heldin nach dem Vorbild des modernen Blockbuster-Kinos also), bekommen wir einen echten und damit überhaupt nicht langweiligen Menschen mit Ecken und Kanten als Hauptfigur.
Damit macht es die Serie sich selbst und dem Publikum nicht leicht, regt zum Nach- und Mitdenken an, statt einfach Schwarz und Weiß zu zeigen – und so bleibt das hoffentlich auch in der frisch angekündigten zweiten Staffel. Denn Allisons Rache hat gerade gerade erst begonnen.
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