+++ Meinung +++
Während Dwayne Johnson, Gal Gadot und Ryan Reynolds mit „Red Notice“ nach wie vor auf Rekordjagd sind, folgten mit Serien wie „Cowboy Bebop“ und „Hellbound“ vergangene Woche gleich die nächsten Netflix-Neuheiten mit Hit-Potenzial – die sich auch direkt in den Top 10 auf der Plattform etablierten. Vergleichsweise unbeachtet blieb hingegen ein Film, der seit 11. November verfügbar ist und für mich nicht weniger als einer der besten des Jahres ist: „Tick, Tick… BOOM!“.
Gefühlt die halbe Welt kann es kaum erwarten, endlich zu erfahren, ob der „Amazing Spider-Man“ Andrew Garfield denn nun sein Marvel-Comeback „Spider-Man: No Way Home“ feiert. Während mich das MCU mittlerweile aber nicht mehr so wirklich kümmert, wundere ich mich darüber, dass es mich nach wie vor überrascht, was für ein großartiger Schauspieler Garfield doch ist. Gerade abseits seiner ganz großen Blockbuster beweist der nämlich seit Jahren konstant, dass in ihm so viel mehr als nur die freundliche Spinne von Nebenan steckt.
"Red Notice": Mega-Hit mit Dwayne Johnson zerschmettert den Netflix-Rekord von Sandra Bullocks "Bird Box"Ob als Facebook-Mitgründer in David Finchers Meisterwerk „The Social Network“, als Kriegsheld in Mel Gibsons „Hacksaw Ridge“, als Prediger in Martin Scorseses Historien-Drama „Silence“ oder als zielloser Loser im abgefahrenen Neo-Noir-Thriller „Under The Silver Lake“ – Garfield ist ein Alleskönner vor der Kamera, der sich nun auch in „tick, tick... Boom!“ von einer völlig neuen Seite zeigt. Mal wieder.
Das ist "tick, tick... Boom!"
Basierend auf dem gleichnamigen, semiautobiografischen Musical von Pulitzer- und Tony-Gewinner Jonathan Larson, erzählt „tick, tick... Boom!“ die Geschichte des jungen Theaterkomponisten und Klavierspielers Jon (Andrew Garfield), der im Eiltempo auf die 30 zugeht, als ihm klar wird, dass ihm die Zeit allmählich durch seine Finger rinnt. Die Zeit, um endlich den brotlosen Job im Diner an den Nagel zu hängen, die Zeit, um dort anzukommen, wo er hingehört, die Zeit, um seinen Traum von der großen Karriere auf der Bühne endlich zu verwirklichen. Die Uhr tickt und tickt und tickt – und stellt Jon letztlich vor die alles entscheidende Frage, die sich früher oder später wohl jeder einmal stellt: Was nur sollen wir mit der Zeit anfangen, die uns geschenkt wurde?
Musical-Mastermind Lin-Manuel Miranda stieß in den vergangenen Jahren immer tiefer ins Kino vor, lieferte etwa schon die Musik zu Disneys „Vaiana“ und gab auch in „Mary Poppins’ Rückkehr“ das ein oder andere Lied zum Besten. Spätestens seit „Hamilton“ stehen dem musikalischen Genie aber auch in Hollywood praktisch alle Türen offen. Nachdem er be der Verfilmung seines preisgekrönten New-York-Sommermärchens „In The Heights“ noch in der zweiten Reihe stand, übernahm Miranda bei „tick, tick... Boom!“ nun erstmals selbst die Regie – und trifft einmal mehr voll ins Schwarze.
Lin-Manuel Miranda gelingt die perfekte Symbiose aus Film & Musik
„tick, tick... Boom!“ ist nicht nur ein Must-See für Musical-Fans, sondern auch all jene, die dem beschwingtesten aller Genres normalerweise nicht allzu viel abgewinnen können, sollten einen Blick wagen – ich selbst bin der beste Beweis dafür. Denn ich könnte mit Musik kaum weniger zu tun haben, muss mir regelmäßig etwas anhören, wenn ich aus dem Stegreif keinen Song der Beatles oder Rolling Stones nennen kann. Miranda jedoch gelingt es auf außergewöhnliche Art und Weise, Musik und Film in einer Form miteinander zu verschmelzen, der ich mich nicht entziehen könnte, selbst wenn ich wollte.
Neu auf Netflix im November 2021: Der teuerste Netflix-Film aller Zeiten, mehr "Star Trek" und Neues vom Tiger KingIm Grunde erzählt der Film ja eine klassische Sinn-des-Lebens-Geschichte, wie es sie zuhauf gibt. Im Zentrum: ein junger Mensch, der bereit ist alles zu tun, um ein erfülltes Leben zu führen – ohne überhaupt zu wissen, was ihn denn wirklich erfüllt. Dass mich das aber nicht nur von der ersten bis zur letzten Minute unterhielt, sondern zutiefst berührte, hat zwei Gründe. Der erste: „tick, tick... Boom!“ erzählt nicht bloß eine Geschichte, die von Musik begleitet wird, sondern setzt Musik dort ein, wo das gesprochene Wort nicht ausreicht, um Emotionen greifbar zu machen – und nutzt sie als Katalysator für alle Hochgefühle und Tiefschläge, die mitten ins Herz gehen. Der zweite: Andrew Garfield.
Andrew Garfield: Besser als je zuvor?
Ob er nun voller Tatendrang ist, fest entschlossen, seinen Traum zu verwirklichen oder niedergeschlagen von dem Erfolg, der auf Teufel komm raus nicht eintreten will. Ob er sich vom Rest der Welt abkapselt oder sich der Liebe hingibt, ob er nach einer gelungenen Aufführung in Euphorie verfällt oder in tiefe Trauer, als wieder einmal ein Freund viel zu früh das Zeitliche segnet – nicht zuletzt Andrew Garfield macht „tick, tick... Boom!“ mit seiner aufopferungsvollen Darbietung zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle, der man sich als Zuschauer schutzlos ausgeliefert fühlt.
Andrew Garfield spielt sich die Seele aus dem Leib und rührte mich damit – vielleicht auch vor dem Hintergrund der wahren Geschichte Larsons – zu Tränen. Und das eben nicht etwa, weil ich mit dem exzentrischen, vom Drang, Großes zu vollbringen geplagten Künstlers so viel gemeinsam hab, sondern auch einem viel einfacheren Grund: Denn „tick, tick... Boom!“ ist ein Film über alles, was den Menschen ausmacht – jeden von uns, über unsere Worte und Taten, unsere Ängste und Hoffnungen, und über die Frage, was im Leben wirklich zählt.
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