Der Psycho-Thriller „The Woman In The Window“ stieg im Februar 2018 auf Anhieb auf Platz 1 der New York Times Bestsellerliste ein – es war zu diesem Zeitpunkt der erste Debütroman seit mehr als zwölf Jahren, dem dieses Kunststück gelang. Ein Megahit, der den Autor des Buches auf Anhieb auf eine Stufe mit Gillian Flynn („Gone Girl“) und Paula Hawkins („Girl On A Train“) katapultierte.
Nach dem Verkauf der Filmrechte an seinem unter dem Pseudonym A.J. Finn veröffentlichten Debütroman „The Woman In The Window“ kündigte der in New York geborene Daniel Mallory damals vollmundig an, dass sein zweiter Roman voraussichtlich Anfang 2020 erscheinen werde – und zwar bewusst parallel zur Oscarverleihung, bei der dann hoffentlich auch die Verfilmung „The Woman In The Window“ mit Amy Adams und Gary Oldman eine wichtige Rolle spielen werde…
Aber dann kam alles ganz anders – und das lag nicht nur am Film, der wegen Nachdrehs und der Pandemie mit mehr als einjähriger Verspätung erst in der vergangenen Woche direkt bei Netflix statt in den Kinos erschien (und dort auch überwiegend so miese Kritiken erhielt, dass er bei den Oscars wohl ohnehin chancenlos gewesen wäre).
Auch der zweite Roman, der nach der Hitchcock-Hommage „The Woman In The Window“ mehr an Agatha Christie angelehnt sein sollte, ist weiterhin nicht in Sicht – und dieser Verzug dürfte wohl vor allem mit dem Skandal zusammenhängen, der nach der Veröffentlichung einer sehr, sehr ausführlichen Reportage im New Yorker mit dem Titel „A Suspense Novelist’s Trail Of Deceptions“ im Februar 2019 über den damals 40-jährigen Daniel Mallory hereingebrochen ist.
Der talentierte Mr. Mallory
Der mehr als 12.000 Wörter lange Artikel von Ian Parker liest sich tatsächlich so spannend wie ein Thriller – und zeichnet dabei das Bild eines Mannes auf den Spuren des ebenso charmanten wie egomanischen Hochstaplers Tom Ripley (ohne den Mord allerdings). Der Vergleich lag für den Autor des Artikels wohl auch deshalb so nahe, weil Daniel Mallory seine Doktorarbeit in Oxford über die „Ripley“-Romane von Patricia Highsmith begonnen (und dann doch nie abgeschlossen) hat.
Das hielt den damals als Assistent und Redakteur bei namhaften Verlagen in London und New York arbeitenden Mallory laut Parkers Recherchen allerdings nicht davon ab, einen Doktortitel zu verwenden. Kurz darauf kam sogar noch ein zweiter in Psychologie hinzu, obwohl es laut dem New-Yorker-Artikel keine Hinweise darauf gibt, dass Mallory die fragliche Universität in den USA überhaupt besucht hat. Aber die Sache mit den Doktortiteln kennen wir ja zur Genüge von deutschen Politikern, da kräht längst kein Hahn mehr nach…
Ein erfundener Gehirntumor
Aber die detaillierten Schilderungen in „A Suspense Novelist’s Trail Of Deceptions“ zeigen eben auch auf, dass es sich dabei eben nicht um eine einmalige Lüge handelt – stattdessen haben Interviews mit alten Kollegen und Arbeitgebern ergeben, dass Daniel Mallory offenbar seine komplette professionelle Karriere (und darüber hinaus sogar schon in Artikeln in der Schülerzeitung) immer wieder gelogen oder zumindest maßlos übertrieben hat.
Diese recherchierten Unwahrheiten reichen von kleinen Dingen wie der Behauptung, als Jeansmodel auf Laufstegen gearbeitet zu haben, bis zu immer wieder vorgebrachten Lügen über seinen eigenen Gesundheitszustand. So hat Mallory etwa jahrelang behauptet, an einem nicht heilbaren Gehirntumor erkrankt zu sein. Mit der so geernteten Sympathie für seine Situation konnte er zum einen seine Karriere voranbringen – aber zum anderen auch erklären, warum er immer wieder von der Arbeit wegblieb.
"Final Destination" & J.K. Rowling
Einige der zahlreichen Lügen, die Ian Parker in seinem Artikel offenlegt, klingen im ersten Moment noch eher amüsant: So hat Mallory etwa erzählt, dass er es 1999 während seines Praktikums bei New Line Cinema war, der als 20-Jähriger das Drehbuch zum späteren Horror-Hit „Final Destination“ noch einmal überarbeitete – was der Regisseur des Films, James Wong, bereits als kompletten Stuss entlarvte.
Eine andere widerlegte Behauptung dreht sich um das Buch „Der Ruf des Kuckucks“, das die „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling vor etwa zehn Jahren unter einem Pseudonym bei verschiedenen Verlagen einreichte (um zu sehen, ob ihr Krimi tatsächlich literarischen Wert hat, oder ob alle ihn nur verlegen wollen, weil sie nun mal den Zauberschüler mit der Blitznarbe erfunden hat). Mallory behauptete jedenfalls, dass sein Verlag das Buch damals aufgrund seiner Empfehlung verlegt hätte.
Tote Mutter, Toter Bruder
Neben Lügen über seine angeblich in Armut verbrachte Kindheit (seine Eltern sind vergleichsweise wohlhabend) nutzte Mallory offenbar auch immer wieder die schwere Krankheit oder gar den Tod seiner Mutter und seines Bruders für den persönlichen Vorteil oder das Erschleichen von Sympathien aus. Dabei sind beide auch heute noch am Leben und – soweit öffentlich bekannt – kerngesund.
Bei der Promotion für die Veröffentlichung seines Debütromans „The Woman In The Window“ gingen die Lügen übrigens weiter: So erzählte Mallory in einem Interview, dass er wie die Protagonistin des Romans selbst einst unter Agoraphobie gelitten habe – eine Behauptung, die er später selbst wieder zurückzog.
Bald eine Serie mit Jake Gyllenhaal
Mallory hat sich inzwischen für einige Lügen entschuldigt, andere bestreitet er weiterhin. Als Grund für sein Verhalten nennt er vor allem psychologische Probleme, bei ihm sei eine bipolare Störung diagnostiziert worden. Allerdings sagen Psychologen, mit denen Ian Parker für seinen Artikel gesprochen hat, dass pathologisches Lügen kein Symptom dieser Krankheit sei.
Aber wie gesagt: Die Geschichte hinter dem Autor ist fast so spannend wie die im Buch (und spannender als die in der schwachen Verfilmung) – und das hat inzwischen auch Hollywood mitbekommen: Die Regisseurin Janicza Bravo arbeitet aktuell an einer Serien-Adaption des Artikels im New Yorker – mit Jake Gyllenhaal in der Rolle des betrügerischen Bestsellerautors…
The Woman In The Window