Es hat große Wellen geschlagen, als Universal Pictures, eines der größten Hollywood-Studios, im April 2020 ankündigte, nach dem Corona-bedingten Heimkino-Erfolg von „Trolls 2“, künftig mehr Filme nicht mehr exklusiv im Kino, sondern parallel auch als VoD zu veröffentlichen.
„Nach Mega-Erfolg von ‚Trolls 2‘: Tötet Corona-Pause das Kino-Erlebnis?“, fragten wir damals in unserem Artikel – zwar bewusst zugespitzt, aber vor allem mit berechtigter Sorge.
Viele Kinos boykottieren seitdem Universal-Veröffentlichungen, die parallel als VoD erscheinen. So läuft am morgigen 30. Juli 2020 „The King Of Staten Island“ in Deutschland im Kino und parallel als VoD an, viele Lichtspielhäuser nehmen den Film aber nicht ins Programm.
Doch in den USA bröckelt der Boykott nun – ein Deal könnte dort das exklusive Kino-Modell revolutionieren. Viel wurde in den vergangenen Stunden darüber geredet und geschrieben, dass Universal-Filme künftig schneller als VoD verfügbar sind.
Weil wir glauben, dass diese Übereinkunft die Kinolandschaft nachhaltig verändern könnte, das Studio zudem unter anderem hinter der „Jurassic World“- und der „Fast & Furious“-Reihe steckt sowie in weiten Teilen der Welt den kommenden James-Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ vertreibt und somit einige der meisterwarteten Filme unserer Leser im Sortiment hat, wollen wir an dieser Stelle den Deal erklären und einordnen.
17 Tage und mehr: Das ist der US-Deal
Wie die größte amerikanische Kinokette AMC und Universal in einer von Branchenmagazinen als „historisch“ bezeichneten Übereinkunft beschlossen haben, werden auf den über 8.200 AMC-Leinwänden künftig wieder Universal-Filme laufen. Universal verpflichtet sich, diese Filme frühestens 17 Tage nach Kinoauswertung als VoD und auch für die ersten drei Monate nur zu einem Premium-Preis (ca. 20 Dollar) zu veröffentlichen. Zudem wird AMC an VoD-Einnahmen beteiligt.
Der Deal ist deswegen so revolutionär, weil er das (bislang traditionell 90 Tage umfassende) exklusive Kinofenster in den USA beerdigt. 17 Tage (die Zahl wurde gewählt, um drei Wochenenden zu haben) sind fast nichts mehr.
Da mit Universal und AMC zwei der größten Marktteilnehmer die Übereinkunft geschlossen haben, wird von einer Signalwirkung ausgegangen. Vor allem auf andere Kinoketten dürfte der Druck steigen, einen ähnlichen Deal abzuschließen. Und selbst wenn kleinere Kinos Universal-Filme weiter boykottieren, dürfte das für das Hollywood-Studio kaum mehr ins Gewicht fallen.
Wichtig ist aber: Die Filme kommen nicht nach 17 Tagen dann automatisch als VoD heraus. Universal hat die Möglichkeit, selbstständig zu entscheiden, wie sie damit verfahren, kann also bei einigen Filmen auch länger warten.
Die Bedeutung des neuen Deals für Deutschland
Erst einmal hat der Deal allerdings noch keine direkte Bedeutung für Deutschland. Allerdings gehören zur Gruppe um die AMC-Kinos auch zahlreiche Ketten außerhalb der USA – in Deutschland zum Beispiel die UCI-Kinos. Der durch solche Beteiligungen in allen möglichen Ländern der Welt weltweit größte Kinobetreiber und Universal kündigten bereits an, dass weitere Vereinbarungen für Europa in Kürze folgen werden.
Daher könnten auch die (teilweise wegen Corona aktuell noch geschlossenen) UCI-Kinos das aktuell auch in Deutschland existierende Boykott der Universal-Filme bald aufgeben. Noch ist aber die Frage, ob ein Europa-Deal hierzulande eine ähnlich revolutionäre Wirkung haben wird.
Dazu muss man wissen, dass die UCI-Kinos hierzulande einen kleineren Marktanteil haben als die AMC-Kinos in den USA (wohl rund 8 bis 10 Prozent gegenüber 20 Prozent) und zum Beispiel im süd- und mitteldeutschen Raum fast gar nicht präsent sind. Ein ähnlicher Deal von Universal und UCI in Deutschland baut also deutlich weniger Druck auf andere Kinoketten auf. Vor allem dürften aber deutsche Regelungen solche kleineren exklusiven Verleihfenster schwieriger machen.
Schon in unserem eingangs erwähnten Artikel haben wir darauf hingewiesen, dass zum Beispiel das Filmfördergesetz Sperrfristen vorschreibt (die auch deutlich länger als die bisherigen 90 Tage in den USA sind) und damit eine exklusive Kinoauswertung zumindest für von der FFA unterstütze Produktionen garantiert (was allerdings das Gros der Hollywood-Produktionen, sofern nicht in Deutschland gedreht, nicht ist). Auch die Beteiligung einer einzelnen Kinokette an den VoD-Einnahmen dürfte rechtlich hierzulande problematisch sein.
Wohl auch wegen solcher lokalen Unterschiede werden die Übereinkünfte nun erst nach und nach geschlossen und sicher auch von Land zu Land unterschiedlich ausfallen.
Spannende, aber gefährliche Zukunft
Noch ist es zu früh zu sagen, wie der Deal die Kinolandschaft verändern wird. Dazu muss man abwarten, wie die Übereinkunft für Europa ausschaut, welche anderen Studios und Kinoketten in den USA mit ähnlichen Verträgen nachziehen.
Sicher ist aber: Die Kinolandschaft wird sich verändern. Die exklusiven Kinofenster werden kleiner werden.
Außerdem vermuten wir: Die Regelungen werden individueller werden. Bei manchen Filmen wird es nur sehr kurze Kino-exklusive Fenster geben, bei anderen Filmen sehr lange.
Und auch wenn der ein oder andere Leser sich freuen dürfte, Filme künftig früher auf der heimischen Couch zu sehen, könnte dies ein weiterer Sargnagel für die aktuell ohnehin akut gefährdeten Kinos sein. Schließlich ist die Exklusivität ein wichtiger Anreiz für den Kinobesuch.
Wenn zu viele Leute dann lieber drei Wochen auf eine VoD-Veröffentlichung warten, könnte gerade in ländlicheren Gegenden die Zahl der Kinos so weit zurückgehen, dass viele Menschen gar keins mehr in der Nähe haben.
Neben dem eingangs bereits erwähnten „The King Of Staten Island“ erscheinen in den nächsten Wochen und Monaten noch zahlreiche andere Universal-Filme, die viele Lichtspielhäuser womöglich nicht zeigen, wenn Universal die Titel parallel zum Kinostart als VoD anbietet.
Dazu gehören unter anderem „Irresistible - Unwiderstehlich“ (6. August), „Wege des Lebens - The Roads Not Taken“ (13. August), „The Photograph“ (27.8.) und der herausragende „Niemals Selten Manchmal Immer“ (1. Oktober).
Mit Spannung wird zudem erwartet, ob der aktuelle deutsche Starttermin von „James Bond - Keine Zeit zu sterben“ am 12. November 2020 bestehen bleibt und welche Auswirkung der Deal bzw. vor allem die europäischen Versionen davon auf diesen Film haben wird.
Bringt eure Filme raus: Warum wir "Tenet", "Mulan" und Co. JETZT brauchen! #SupportYourLocalCinema