Wir spoilern im Text genau eine Überraschung, von der die meisten eh schon mitbekommen haben dürften.
Die Serie „The Mandalorian“ ist das große Zugpferd, mit dem Disney+ gegen Streaming-Titan Netflix ins Feld zieht (ab 31. März 2020 endlich auch in Deutschland). Verantwortlich für die „Star Wars“-Serie ist Jon Favreau, der dem Mauskonzern mit „Iron Man“ den optimalen Startschuss für das MCU bescherte. Und nach dem Ende der acht Folgen langen ersten Staffel lässt sich nichts anderes sagen als: Ein besseres Premieren-Event als „The Mandalorian" hätte Favreau auch Disney+ kaum bescheren können.
Ein paar Jahre nach „Star Wars 6“: In den Wirrungen einer Zeit, in welcher das Imperium zerschlagen wurde, eine feste neue Ordnung aber dennoch in weiter Ferne zu sein scheint, verdingt sich ein Mandalorianer (Pedro Pascal) als Kopfgeldjäger. Als einer der besten seiner Zunft arbeitet er einen Gildenauftrag nach dem anderen ab.
Dann aber erteilt ihm ein dubioser Ex-Imperialer (Werner Herzog) einen so ungewöhnlichen, wie lukrativen Auftrag – der darüber hinaus, wie sich herausstellt, auch höchst unmoralisch ist. Der Mandalorianer entscheidet sich, die Gildenregeln zu missachten, rettet das Zielobjekt, wird so zum Freiwild für alle anderen Attentäter und es beginnt eine turbulente Odyssee über mehrere Planeten.
Selbstbewusst altmodisch
Da ist sie also, die erste „Star Wars“-Realserie und zugleich das größte Abo-Argument von Disney+. Und wer erwartet hat, „The Mandalorian“ würde sich stilistisch in eine Reihe mit den großen Serien-Erfolgen der letzten Jahre gliedern, den erwartet eine Überraschung.
Als hyperkomplexes und in epischer Breite erzähltes Mammutwerk nach dem Vorbild von „Game Of Thrones“ oder „Breaking Bad“ ist „The Mandalorian“ nämlich ganz bewusst nicht konzipiert. Stattdessen orientiert man sich an Serienmustern, die vor der Zeit der sogenannten Ära des neuen „Quality TV“ galten, nun aber als obsolet angesehen werden. Das ist – bedenkt wie wichtig die Serie für Disney+ ist – überraschend, erfrischend und mutig.
Was das genau bedeutet? Die Serie ist kein vielstündiger Mega-Film, der in einstündige Abschnitte aufgeteilt wurde, die mit Mini-Cliffhangern verlötet wurden. Stattdessen fungiert die übergeordnete Story lange Zeit ganz klassisch als bloßer Antrieb für eine Reihe von kleinen Abenteuern. Und „klein“ meint hier auch, dass die Folgen fast nie die Dauer von 30 bis 40 Minuten überschreiten.
Viele Genres und ganz viel "Star Wars"
Fast jede Woche erwartet den Mandalorianer ein neues Abenteuer an einem neuen Ort. Und dafür wechseln die Erzählhäppchen auch gerne mal nach Belieben zwischen den Genres hin und her. Zwar bleibt „The Mandalorian“ im Kern stets ein Space-Western, doch heißt das nicht, dass hier nicht jede Freiheit genutzt wird, um mal einen nervenaufreibenden Heist oder eine Belagerung á la „Die Sieben Samurai“ zum Zentrum der Geschichte zu machen.
Funktioniert das? Und wie das funktioniert. Denn der Galopp durch verschiedene Settings und Erzählmodi erlaubt es, die „Star Wars“-Welt möglichst abwechslungsreich zu bereisen. Zudem ist nicht alles so bedrückend-bedeutungsschwanger wie in Episode 7-9, sondern kleine Ereignisse dürfen auch mal ganz unbeschwert nur für sich stehen.
Das Ganze gipfelt schließlich in einem von Taika Waititi („Thor 3“, „Jojo Rabbit“) meisterhaft inszenierten Staffelfinale, in dem noch mal alle Register gezückt werden: Das ist so witzig, so wild, so emotional und mit einem so gekonnt austarierten Tempo! In einer eleganten, weil gänzlich unaufdringlichen Weise werden hier fast alle Figuren noch einmal zusammengeführt und um je mindestens eine Facette bereichert.
Zudem steckt „The Mandalorian“ randvoll mit liebevollen Details und Anspielungen, die sowohl totale „Star Wars“-Laien als auch den normalen Kinogänger und ebenso absolute „Star Wars“-Cracks befriedigen dürften. Ein Androide hinter einem Tresen? Sturmtruppler, die nicht für Geld und gute Worte ihr Ziel treffen? Das ist nett, wenn man nichts damit anzufangen weiß, aber umso netter, wenn man es in der reichen „Star Wars“-Welt einordnen kann.
Der hervorragende Score von Ludwig Göransson, der für die Musik von „Black Panther“ letztes Jahr den Oscar erhielt, verdient gesondertes Lob: Unaufdringlich, aber wahnsinnig atmosphärisch prägen seine Stücke, vor allem aber das Hauptthema, die Serie. Für „Star Wars“-Verhältnisse geht es ungewohnt elektronisch zu.
Das große Plus: Die Figuren
Der Hauptgrund, wieso die Serie so ein Volltreffer ist, sind ihre Figuren. Und ja, wer die letzten Wochen nicht hinterm Mond verbracht hat, der wird um abertausende Baby-Yoda-Memes nicht herumgekommen sein. Erfreulicherweise ist der grüne Wonneproppen aber viel mehr als nur selbstzweckhafte Niedlichkeit, sondern (Gott sei Dank) nicht zu aufdringlich und aller Possierlichkeit zum Trotz mit einem guten Maß faszinierender Unwägbarkeit ausgestattet.
Und auch dann, wenn der laute Internetchor annehmen lässt, dass der Machtknirps der wahre Trumpf aus der zweiten Reihe ist, gibt es in Wahrheit doch gleich mehrere Anwärter auf diesen Posten. Der herzensgute Kuiil (Nick Nolte)? Die so taffe wie charismatische Cara Dune (Gina Carano)? Oder ganz einfach der von Regie-Meister Werner Herzog mit diabolischer Spielfreude dargestellte Schurke? Oder vielleicht doch der wahnwitzige Attentäter-Droide IG-11? Sie alle sind toll konzipiert, geizen nicht mit erinnerungswürdigen Auftritten und fügen sich bestens in die Geschichten, sodass die Serie – gerade als Ganzes betrachtet – fast schon als gut geölte Ensemble-Show durchgehen kann.
Doch neben all den gelungenen Nebenfiguren ist das gravitative Zentrum ohne jeden Zweifel der namensgebende Kopfgeldjäger, der von Pedro Pascal – obschon stets umhüllt von seiner klobigen Ganzkörperrüstung und wortkarg – charakterstark gesprochen wird. Auch sein physischer Ausdruck ist trotz der Limitation beeindruckend (wobei dafür nicht allein Pascal verantwortlich ist, da er mehrfach gedoubelt wurde).
Dass der schweigsame Protagonist seinen Helm niemals abnimmt, ist weit mehr als bloßes Gimmick, sondern glaubwürdiger Aufhänger für interessante Konflikte, ohne dass sich der Umstand seiner zwanghaften Maskierung zu sehr in den Vordergrund drängt.
Besonders interessant macht die Figur hingegen, dass ihre Vergangenheit weitestgehend ein weißer Fleck ist. Man merkt, dass er schon einiges durchgemacht hat, weiß aber nicht genau, was. Der Mandalorianer ist ein von Anfang an vielschichtiger und hochkompetenter Charakter. Und mit diesem Grundgerüst erinnert er ein wenig an den kühnsten und verwegendsten Charmeur des Universums: Han Solo (außerdem sind verdammte Flammenwerfer an seinen Handgelenken befestigt, was ihn zu einer attraktiven Spielzeugfigur machen dürfte).
Ein formidabler Auftakt
Sicher ist nicht alles gleichermaßen gelungen. So liefert gerade Episode 4 („Die Zuflucht“) etwas zu viel 90er-Seriennostalgie und wirkt darin etwas behäbig, während sich Episode 3 („Der Fehler“) aus anderen Gründen ein wenig zwischen den Stühlen platziert. Doch das ändert nichts am unterm Strich sehr guten Gesamteindruck, den die erste Staffel hinterlässt.
Hier darf man Disney wirklich mal echten Wagemut attestieren. Dass sie Jon Favreau („Der König der Löwen“) und seinem Team aus Fans und Könnern offenbar freie Hand gegeben haben, mündete in einer Serie, die man in dieser Form nicht erwarten konnte – und das hat sich mehr als ausgezahlt. Eine zweite Staffel ist bereits in Produktion.
Fazit
„The Mandalorian“ ist ein „Star Wars“-Abenteuer, wie man es sich abwechslungsreicher eigentlich kaum vorstellen kann. Die erste „Star Wars“-Realserie ist dabei überraschend altmodisch, enorm charmant, mit dem Herz am absolut rechten Fleck und wird trotz seiner unterschiedlichen Geschichten von von einem schillernden und perfekt harmonierendem Figurenpersonal zusammengehalten.
In Deutschland wird „The Mandalorian“ mit dem hiesigen Start des Streaming-Dienstes Disney+ ab 31. März 2020 abrufbar sein.
"The Mandalorian": So rettete Werner Herzog das Herz der "Star Wars"-SerieLeinwandliebe: FILMSTARTS-Podcast zu "Star Wars 9"
Wie uns übrigens „Star Wars 9“ gefallen hat, erfahrt ihr in unserer Kritik und in der ersten Folge unseres neuen Podcasts Leinwandliebe, in dem Moderator Sebastian Gerdshikow von nun an wöchentlich mit FILMSTARTS-Redakteuren über den großen Kinofilm und das große Kinonewsthema der Woche diskutiert.
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