Nach den ersten Vorstellungen bei den Filmfestivals in Venedig (wo er mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde) und Toronto schien der Status von „Joker“ als Meisterwerk bereits als ausgemachte Sache. Mit wenigen Ausnahmen (darunter auch die FILMSTARTS-Kritik) gab es fast nur Lobeshymnen in der internationalen Presse.
Mit dem regulären US-Kinostart ist nun noch ein zweiter Schwall an Kritiken erschienen – und die Meinung zu „Joker“ und Hauptdarsteller Joaquin Phoenix ist plötzlich gar nicht mehr einhellig. Im Gegenteil ist das Anti-Helden-Drama von „Hangover“-Regisseur Todd Phillips inzwischen stark umstritten.
Der Kritiken-Durchschnitt von „Joker“ auf Metacritic.com ist mit dem US-Start auf nur noch 58 Prozent abgestürzt – sicherlich nicht schlecht, aber auch längst nicht Meisterwerk-Niveau. Zum Vergleich: „The Dark Knight“ von Christopher Nolan steht bei 84, der mittelmäßig besprochene „Aquaman“ liegt bei 55 und damit mit „Joker“ fast gleichauf.
Aber woran liegt es, dass die Kritiker so uneinheitlich wie selten auf den Film reagieren?
Diese Punkte sind besonders umstritten
- 1. Streitpunkt: Ist „Joker“ der Film, den unsere Welt braucht und verdient? Oder reißt Todd Phillips seine gesellschaftskritischen Themen nur sehr oberflächlich an, um sich dann in seine hübsch anzusehende 70er-Retro-Ästethik zu flüchten?
- 2. Streitpunkt: Liefert Joaquin Phoenix hier eine der besten Leistungen seiner Karriere? Oder agiert er ab der ersten Szene ohne Gespür für Zwischentöne nur noch auf 180? Sprich: Spielt er nur viel oder auch gut?
- 3. Streitpunkt: Kommt „Joker“ der zerrissenen Psyche seines Protagonisten näher als jede Comic-Verfilmung zuvor? Oder rückt er seinem Anti-Helden mit klischeehafter Küchenpsychologie zu Leibe, um auch noch die letzte interessante Leerstelle in der Figur mit wenig kreativen Erklärungen zu füllen?
- 4. Streitpunkt: Macht „Joker“ auf zentrale gesellschaftliche Probleme aufmerksam? Oder befeuert er mit seiner nihilistischen Weltsicht einfach nur den Wunsch nach einer gewaltsamen Explosion der vorgeblich auf den Abgrund zusteuernden westlichen Welt?
Das sagen die internationalen Topkritiker
Terri White von EMPIRE gibt 100 von 100 Prozent: Mutig, niederschmettern und absolut wunderschön! Todd Philips und Joaquin Phoenix haben nicht nur einen der ikonischsten Bösewichte der Filmgeschichte, sondern das gesamte Genre der Comic-Filme neuerfunden.
Peter Travers vom Rolling Stone gibt 90 von 100 Prozent: Als Unterhaltung und als Provokation ist der Joker einfach großartig.
Richard Roeper von der Chicago Sun Times gibt 88 von 100 Prozent: Ich hatte große Probleme mit einem bestimmten Nebenhandlungsstrang, aber mit dem in so gut wie jeder Minute des Films auftauchenden, die Leinwand mit seiner furchteinflößenden Performance dominierenden Joaquin Phoenix wird man den „Joker“ genauso wenig los wie einen leider sehr realistisch anmutenden Albtraum.
David Rooney vom Hollywood Reporter gibt 80 von 100 Prozent: Es ist der Film von Joaquin Phoenix – und er nimmt ihn mit einem zugleich erschreckenden und mitleiderregenden Wahnsinn in Beschlag.
David Ehrlich von IndieWire gibt 58 von 100 Prozent: „Joker“ wird die Welt auf den Kopf stellen und uns dabei alle in Hysterie versinken lassen. Ob nun gut oder schlecht, es ist exakt der Film, den der Joker selbst gerne hätte.
Ann Hornaday von der Washington Post gibt 50 von 100 Prozent: Ein ordentlicher, aber kein großartiger Film, der der spezifischen Subkultur von Fans gefallen wird, auf die er zugeschnitten ist.
Peter Bradshaw vom Guardian gibt 40 von 100 Prozent: Dem Film gelingt es, zugleich krampfhaft ernst und sehr oberflächlich zu sein.
A.O. Scott von der New York Times gibt 30 von 100 Prozent: „Joker“ ist ein leeres, vernebeltes Experiment in Secondhand-Style und Secondhand-Philosophie.
Stephanie Zacharek vom Time Magazine gibt 20 von 100 Prozent: Joaquin Phoenix schauspielert so hart, man spürt seine Verzweiflung regelrecht in seinen Venen pulsieren. […] Aber die aggressive Fürchterlichkeit seiner Performance ist nicht nur seine Schuld.
Auch die FILMSTARTS-Redaktion ist gespalten
Sebastian Gerdshikow (Video Producer) gibt 5 von 5 Sternen: Einer der besten Comic-Filme der vergangenen Jahre… und das, obwohl er gar nicht wie ein Comic-Film wirkt. Ein Blick in die kranke Psyche von Batmans Erzrivalen: düster, brutal und krank. Ein Film, der nicht zuletzt auch wegen dem verstörenden Soundtrack an die Nieren geht. Joaquin Phoenix liefert eine grandiose Performance und einen Joker zum Fürchten ab.
Katharina Franke (Senior Social Media Manager) gibt 4,5 von 5 Sternen: Eine ultrabrutale, zutifest verstörende Charakterstudie, die dem DC-Schurken eine schonungslose, wunderschön fotografierte Origin-Story liefert und dabei gekonnt mit Fanerwartungen bricht. Joaquin Phoenix als unberechenbarer Psychopath und unzuverlässiger Erzähler - eine Wucht! Todd Phillips inszeniert damit für mich den ersten Superheldenfilm seit langem, den ich nicht direkt nach Verlassen des Kinos wieder vergessen habe. Brillant.
Julius Vietzen (Redakteur) gibt 4 von 5 Sternen: Fantastische Bilder von Kameramann Lawrence Sher, ein großartiger Score von Komponistin Hildur Guðnadóttir und ein großartiger Joaquin Phoenix in der Hauptrolle: „Joker“ kommt in seinen besten Momenten sogar an Christopher Nolans „The Dark Knight“ heran.
Annemarie Havran (Redakteurin) gibt 3 von 5 Sternen: Sieht super aus und Joaquin Phoenix trägt das Ganze. Habe mich gut unterhalten gefühlt – aber mehr auch nicht. Die Geschichte bleibt seltsam hohl und hat mich trotz der dargebotenen Tragik nicht berührt, worüber ich mich tatsächlich schon während des Films gewundert habe. Ist es deswegen ein schlechter Film? Nö. Nur einer, der bei mir nicht nachhallt.
Christian Fußy (Redakteur) gibt 2 von 5 Sternen: „Joker“ funktioniert für mich weder als Psycho-Sozialdrama im Retro-Look, noch als cleverer Twist auf die Origin-Story des wohl beliebtesten Batman-Schurken. Man kann sich darüber streiten, ob es sich bei „Joker“ überhaupt um einen Comic-Film handelt oder nicht, aber am Ende zählt ohnehin nicht die Verpackung, sondern die Emotionen und Ideen, die hinter der Geschichte stecken. Und die kommen leider selten plump daher.
Christoph Petersen (Chefkritiker und Autor der offiziellen FILMSTARTS-Kritik) gibt 2 von 5 Sternen: Der Retro-Look ist kompetent umgesetzt und ein sichtlich ausgemergelter Joaquin Phoenix gibt mal wieder alles – und trotzdem entpuppt sich dieser „Joker“ als ziemliche Niete. Dass sich ein großes Hollywood-Studio auf ein solches Wagnis einlässt, ist eine Einmal-in-100-Jahren-Chance – und da hätte man so, so viel mehr draus machen können.
Björn Becher (Stellvertretender Chefredakteur) gibt 1 von 5 Sternen: Mit ausschweifenden Erklärungen und ohne Leerstellen und Raum für die Fantasie des Zuschauers wird der Niedergang von Arthur Fleck geschildert. Dieses Über-Erklären macht „Joker“ redundant und platt. Das Ergebnis: Ein banales Wir-bauen-uns-einen-Malen-nach-Zahlen-Psychopathen!
Joker„Joker“ startet am 10. Oktober 2019 in den deutschen Kinos – und dann wird sich zeigen, ob der Film neben den Kritikern auch das reguläre Publikum spaltet. Es bleibt spannend – und alles andere wäre für eine so ambivalente Figur für den Joker ja auch eine echte Enttäuschung.