Achtung: Im folgenden Artikel wird eine einzelne Szene aus dem ersten Drittel von „Midsommar“ vorweggenommen.
Manchmal passiert es im Kino einfach, dass man plötzlich an einen ganz anderen Film oder eine ganz andere Serie denken muss, die im ersten Moment so gar nicht zu dem passt, was man sich da auf der Leinwand gerade ansieht. Mir ist das etwa bei „Midsommar“ (dem für mich besten Horrorfilm des Jahres) so ergangen.
Der Film handelt von vier amerikanischen Studenten, die den Sommer in Schweden verbringen, um dort in einer kleinen dörflichen Kommune an den mehrtägigen Feierlichkeiten zu einem religiösen Fest teilzunehmen, das nur alle 90 Jahre stattfindet.
Aber schon nach dem ersten von vielen Ritualen wird ihnen klar, dass das wahrscheinlich doch nicht eine so gute Idee war: Zwei greise Sekten-Mitglieder steigen auf ein Kliff und stürzen sich bestimmt 30 Meter tief in die Tiefe – inklusive schmerzhaft anzusehender Gore-Effekte beim Aufschlag. Anschließend schlagen die übrigen Sekten-Jünger den zuckenden, halb zerborstenen Körpern auch noch mit einem Holzknüppel die Schädel ein.
Die Idee dahinter: Wenn der Lebenszyklus durchlaufen ist, stürzen sich die Anhänger freiwillig selbst in den Tod, um direkt ihr nächstes Leben beginnen zu können…
Und woran musste ich bei diesem grotesk-brutalen Anblick sofort denken? Natürlich an die freche Puppen-Sitcom „Die Dinos“, die es zwischen 1991 und 1995 immerhin auf 65 Episoden gebracht hat.
In „Der Schleudertag“ (die dritte Episode der ersten Staffel) soll nämlich der Familienvater Earl seine verhasste Schwiegermutter von einem Kliff in den Sumpf werfen, weil sie in ihrem Alter eh nur noch eine Last für die Urzeit-Gesellschaft ist. Earl trainiert sogar schon hart, um sie auch wirklich besonders weit zu schleudern, wenn der große Tag gekommen ist.
Zufall oder nicht? Wir haben nachgefragt!
Nun habe ich nie wirklich damit gerechnet, dass es tatsächlich eine Verbindung zwischen „Die Dinos“ und „Midsommar“ gibt. Außer vielleicht die, dass beide Geschichten auf tatsächlich existierenden Ritualen vergangener Epochen basieren. Aber Fragen kostet ja nichts …
… und so habe ich Regisseur und Autor Ari Aster („Hereditary“) in unserem Telefonat einfach mal auf die Parallele angesprochen – und eine Antwort erhalten, mit der ich nun wirklich nicht gerechnet habe.
Ari Aster kennt „Die Dinos“ nicht: „Ich habe die Serie nie gesehen. Aber seitdem der Film hier in den USA in den Kinos ist, sprechen mich andauernd Leute darauf an. Ich habe allerdings nie verstanden, was die eigentlich meinen, bis du es mir jetzt gerade erklärt hast.“ Immerhin konnten wir dem Regisseur also nun erklären, warum sein Film mit der Kult-Puppen-Sitcom verglichen wird.
Doch woher kam die Idee? „Die Szene ist aus meinen Recherchen hervorgegangen. Es gibt da diese Erzählung in der schwedischen Folklore, die ziemlich genau das beschreibt, was man nun auch im Film sieht. Dass nämlich die Leute in einem bestimmten Alter von einem Kliff gesprungen sind. Außerdem gibt es auch diesen großen hölzernen Hammer, den Familien dazu genutzt haben, um damit Familienmitglieder zu Tode zu knüppeln, sobald sie nicht mehr nützlich sind.
Ich habe diese zwei Traditionen einfach zu einer kombiniert. Wobei man immer bedenken muss, dass es da über die Jahrhunderte natürlich auch eine Menge Hörensagen gab. Man kann sich also nie sicher sein, in welchem Ausmaß diese Dinge tatsächlich so stattgefunden haben.“
Die Erkenntnis
Da sitzt man also im Kino und hat in seinem Kopf plötzlich eine Verbindung, die so abseitig erscheint, dass sie doch bestimmt sonst niemandem in den Sinn gekommen ist – und dann erzählt einem der Regisseur, dass er seit Kinostart fast täglich darauf angesprochen wird. Vielleicht denken wir Menschen also doch ähnlicher, als man gemeinhin glaubt – selbst (oder gerade) wenn es um eine nostalgische Sitcom aus den Neunzigern geht.
„Midsommar“ läuft seit dem 26. September 2019 in den deutschen Kinos.
"Midsommar": Wir sprechen mit Regisseur Ari Aster über den besten Horrorfilm des Jahres