Als wir Lars Eidinger („Mackie Messer“, „Werk ohne Autor“) am Potsdamer Platz zum Interview treffen, beendet er gerade sein Gespräch mit einer Kollegin eines Tischtennis-Magazins. Das weckt Erinnerungen an die Interview-Szene aus „Notting Hill“, wo sich Hugh Grant als Reporter des Jagdmagazins „Horse & Hound“ ausgibt, um Julia Roberts nahezukommen. Aber es macht schon Sinn. Schließlich geht es in der Roadmovie-Komödie „25 km/h“ zu Beginn auch erst mal um Tischtennis und später dann ums Mofafahren. Beides Dinge, die man nicht so oft in Filmen sieht. Etwas anders ist dann auch das Gespräch mit Eidinger, der mehr zu sagen hat als die üblichen Allgemeinplätze. So spricht er offen über die Konkurrenz im Filmgeschäft und darüber, wie sich Kollegen manchmal am Set verhalten. Und auch zum Thema Synchronisation hat der 42-jährige Berliner eine starke Meinung.
FILMSTARTS: Du bist ein vielbeschäftigter Schauspieler und Künstler, hast einen engen Terminplan. Was hat dich überzeugt, bei „25 km/h“ mitspielen zu wollen?
Lars Eidinger: Das Drehbuch! Den Autor Oliver Ziegenbalg kenne ich schon eine Weile. Ich finde, er schreibt sehr gut. Sehr gute, pointierte Dialoge und hat einen besonderen Sinn für Situationen und Geschichten. Es lädt beim Lesen ein, es zu spielen. Ich hatte große Lust auf „25 km/h“. Dann habe ich mich mit Regisseur Markus Goller getroffen, der mir erzählte, dass Bjarne Mädel den Bruder spielen soll. Das fand ich auch sofort super. Mit dem hatte ich zwar noch nie gearbeitet, dachte aber auf Anhieb: Das ist eine super Kombination. Bjarne ging es auch so. Wir schätzen uns sehr. Trotzdem steht man natürlich auch in einer gewissen Konkurrenz zueinander. Damit spielerisch, produktiv und lustvoll umzugehen, liegt uns beiden. Mit Konkurrenz hat man es in diesem Beruf immer zu tun, aber in dem Moment, wo es zu einer Feindschaft wird oder etwas Destruktivem, wird es sehr unangenehm.
FILMSTARTS: Hast du sowas selbst schon an einem Set erlebt?
Lars Eidinger: Ja, schon. Und es bleibt dann meistens unausgesprochen. Ein Film funktioniert nur als Team. Da ist man wahnsinnig auf Loyalität und Kollegialität angewiesen. Man kann das Gegenüber schwächen, indem man zum Beispiel aus dem Off nicht anspielt. Es gibt viele Kollegen, die liefern nicht. Dann steht man da und weiß gar nicht, wo man das jetzt hernehmen soll. Ich kenne auch Kollegen, denen ist es egal, ob da jemand zum Anspielen steht oder nicht, die können das aus sich selbst herausnehmen. Ich will das gar nicht werten, das Ergebnis ist völlig unabhängig davon. Es gibt Leute, die funktionieren super, brauchen aber keinen Anspielpartner. Ich bin zu 100 Prozent auf den anderen angewiesen. Ich kann gar nicht spielen, wenn das Gegenüber da im Off Faxen macht, dann funktioniere ich einfach nicht mehr.
FILMSTARTS: Die Grundidee der entfremdeten Brüder, die sich nach langer Zeit wiedersehen, hat man schon öfter gesehen. Was macht ihr anders?
Lars Eidinger: Erstmal ist das, denke ich, eine journalistische Sicht auf die Dinge, zu fragen, „was man jetzt anders macht“. So arbeite ich gar nicht. Ich fange jetzt nicht mit einem Film an und frage mich: „Was mach ich jetzt anders als andere?“ Ich versuche es so zu machen, wie ich denke, dass es gut ist. „25 km/h“ ist ein Genrefilm, ein Roadmovie, ein Film, der eher leicht sein soll. Und trotzdem wartet dieses Drehbuch mit einem gewissen Tiefgang auf. Es gibt immer wieder Momente, wo es ernst und auch emotional wird. Das ist etwas, dass sowohl Bjarne als auch mir wichtig war. Ich glaube, es gibt nicht viele Schauspieler neben uns, die beides bedienen können. Das unterscheidet „25 km/h“ von anderen Filmen, dass eben beides nebeneinander stattfinden kann. Es gibt eine Gaudi, leicht und unbeschwert, und dann aber auch Momente, die sehr emotional und tief sind.
Wahnsinnsleute am Start
FILMSTARTS: Was mir beim Drehbuch besonders gut gefallen hat, sind einige Situationen, wo man zunächst glaubt, die Konstellation zu kennen. Aber dann löst Autor Oliver Ziegenbalg sie doch ganz anders auf. Das geht mit Jella Haase los, die denkt, dass sie als moderne Hippie-Frau veralbert wird, aber dann ist genau das Gegenteil der Fall. Am Ende ist sie die moralische Siegerin und wird vom Film ernstgenommen.
Lars Eidinger: Das Gute an einem Roadmovie ist ja auch, dass es nicht zwangsläufig motiviert sein muss, dass der eine auf die andere trifft. Bei so einer Fahrt durch Deutschland kann man sich unterwegs eben immer wieder auf etwas völlig Neues einlassen. Da spielt einem dieser Cast extrem zu. Wir haben da Wahnsinnsleute mit Sandra Hüller, Franka Potente, Jella Haase, Alexandra Maria Lara, Jördis Triebel und Wotan Wilke Möhring. Dann denkt man: „Wie? Der kommt jetzt auch noch?!“ Ich habe dann immer das Gefühl, dass da noch einmal ein komplett neuer Film losgeht. Es ist immer geprägt von den Charakteren, die da aufeinanderprallen. Die einzelnen Figuren stehen noch einmal für einen neuen Lebensentwurf. Es ist richtig, dass diese Szenen nicht wertend sind. Dass man eben nicht sagt, „die beiden sind saucool und treffen nur auf Idioten“. Der entscheidende Punkt ist viel mehr, dass sich die beiden Hauptfiguren auf ihrer Reise öffnen – fürs Gegenüber. Das ist etwas, was man vordergründig erstmal abtut und denkt, das sind nur irgendwelche Hippies, auf die sie treffen. Aber wenn man auf sie hört, dann kommt man weiter und versteht auch etwas.
FILMSTARTS: Es geht ja auch darum, dass man die andere Perspektive zumindest zulässt…
Lars Eidinger: … ja. Es gibt da diesen einen Satz, der an der Stelle gar nicht mehr im Film ist, der aber trotzdem mitschwingt. Am Ende der Reise stehen sich die Brüder gegenüber und sagen: „Ich liebe dich!“ Ich fand das immer einen ganz wichtigen Moment. Das ist allgemein ein Thema, das mich derzeit beschäftigt - der Zynismus hat sich so breit gemacht. Menschlichkeit und Freundlichkeit haben gar keinen großen Stellenwert mehr. Ich bin in den 80er Jahren groß geworden, der Hochzeit der Ironie. Ich dachte immer, Ironie sei ein Zeichen für eine gewisse Intelligenz, die Fähigkeit zu reflektieren und sich durch Distanzierung über Situationen zu erheben, um darüber lachen zu können. Heute imponieren mir eigentlich Leute vielmehr, die sich ernst nehmen und die auch zu ihrer Emotionalität stehen.
Sympathie ist erstmal kein Kriterium
FILMSTARTS: Deine Figur des Managers Christian ist am Anfang erst einmal nicht sonderlich sympathisch. Ist es dir generell wichtig, dass du sympathische Typen spielst oder ist es dir völlig egal?
Lars Eidinger: Das ist egal. Naja, vielleicht nicht völlig egal. Ich hatte letztens mit einem amerikanischen Schauspieler zu tun, der sich per se geweigert hat, etwas Nichtsympathisches zu spielen. Da haben große Diskussionen stattgefunden, zwischen der Regisseurin und ihm. Das kann ich jetzt erstmal nicht nachvollziehen. Ich denke nicht in diesen Kriterien, ich versuche aber auch nicht, absichtlich oder vordergründig unsympathisch zu wirken…
FILMSTARTS: … unsympathisch und arrogant ist ja noch einmal etwas anderes…
Lars Eidinger: … ich verstehe das schon. Christian hat sich ja auch total verfahren in diesem karrieristischen Denken. Es geht bei der Figur vor allem darum, eine Entwicklung zu zeigen. Dass er plötzlich aufmacht. Es ist aber tatsächlich so, dass ich mir solche Sachen vorher nicht genau überlege. Ich weiß nicht, ob das andere Kollegen machen. Das mache ich im echten Leben ja auch nicht, dass ich überlege, wie ich wirken will. Sondern ich reagiere immer auf die Situation, mit der ich konfrontiert bin. Dann begeht man oft den Fehler, dass man Figuren kategorisiert. Das ist ja auch das Schwierige an solchen Gesprächen, dass ein Journalist wissen will, „mit wem wir es hier zu tun haben“. Ich könnte dann natürlich mit Allgemeinplätzen und Klischees aufwarten. Aber ich antworte dann am liebsten: „Das kann ich dir gar nicht sagen. Ich kann dir ja auch nicht sagen, womit du es bei mir zu tun hast.“ Ein Mensch ist im besten Fall hochkomplex und auch widersprüchlich. Bei Filmfiguren hingegen möchte man immer, dass die stimmig sind. Aber Menschen sind ja ganz selten stimmig. Das würde meine Darstellung auch einschränken und eindimensional machen.
FILMSTARTS: Aber ein Film hat eine Stimmung, hat eine Geschichte und einen roten Faden. Man hat gern ein paar Ecken und Kanten, aber die Form bleibt…
Lars Eidinger: Davon würde ich gern ein bisschen wegkommen, immer einer Logik oder einer Folgerichtigkeit zu gehorchen. Ich glaube, das entspricht nicht dem Leben. Ich finde immer alles attraktiv, was flirrt und ambivalent bleibt.
"Synchron ist eine Katastrophe"
FILMSTARTS: Ich mag auch gern diese Filmtypen, von denen man am Anfang denkt, sie sind wahrscheinlich böse, die dann aber doch eine gewisse Ambivalenz entwickeln, so dass man am Ende nicht mehr sicher sein kann, was man eigentlich von ihnen halten soll.
Lars Eidinger: Ja, deswegen sind auch Synchronisationen so eine Katastrophe. Weil sich die Synchronsprecher oft auf einen sehr oberflächlichen ersten Eindruck einlassen. Ich habe das erlebt, als ich „Die Wolken von Sils Maria“ synchronisiert habe, da musste ich mich ja selbst vom Englischen ins Deutsche synchronisieren. Ich habe dann gefragt, „ob ich erst mal die Synchronstimme von Juliette Binoche hören könnte?“ Dann haben sie es eingespielt und die Sprecherin hat einfach wie eine alternde Filmdiva gesprochen. Das hat Juliette Binoche aber gar nicht gemacht, zumindest nicht über die Stimme, sondern über den ganzen Habitus. Das Missverständnis besteht oft darin, dass das, was die Situation ist und die Figur ausmacht, vom Synchronsprecher vordergründig über die Sprache hergestellt wird. Das doppelt sich dann in der Sprache, obwohl es ja in der Darstellung schon stattfinden.
FILMSTARTS: „Die Wolken von Sils Maria“ habe ich nur auf Englisch gesehen…
Lars Eidinger: Das ist natürlich auch besser. Ich habe mir ehrlich gesagt vorgenommen, mich selbst nicht mehr zu synchronisieren.
FILMSTARTS: Meinst du, das kommt gut an?
Lars Eidinger: Ich finde, man sollte synchronisierte Fassungen boykottieren.
FILMSTARTS: Das sagen wir als Film-Magazin auch. Aber 95 Prozent der Menschen, die die Filme tatsächlich gucken, denken anders.
Lars Eidinger: Das ist eine Frage der Erziehung. Wir haben unsere Tochter auch dazu gebracht. Wir haben ihr gesagt, du schaust es entweder im Original oder gar nicht. Erst hat sie die Türen geschmissen, aber mittlerweile will sie gar keine Synchronfassungen mehr sehen.
FILMSTARTS: Wird sie denn sprachlich auf Englisch erzogen?
Lars Eidinger: Das nicht, aber sie spricht jetzt schon besser Englisch als ich, von der Aussprache und vom Klang her.
Das Konzept der Entschleunigung
FILMSTARTS: Dann gibt es in „25 km/h“ ja noch die Mofa-Geschichte. Markus Goller hat dieses altmodische Gefährt auch schon bei seinem vorigen Film „Simpel“ eingesetzt. Wenn man mit der Spitzengeschwindigkeit von 25 km/h durch die Gegend gurkt, klingt das erstmal nicht sehr dynamisch. Wie seid ihr damit umgegangen? Habt ihr das überhaupt als Problem gesehen, dass Mofafahren eher lahm ist?
Lars Eidinger: Nein, das war uns ziemlich schnell klar, dass es eher eine Qualität des Films ist. Wahrscheinlich war das beim Schreiben nicht unbedingt eine Referenz, aber einer der größten Filme für mich ist „The Straight Story“ von David Lynch.
FILMSTARTS: Da ist das Tempo des Aufsitz-Rasenmähers ja noch viel langsamer…
Lars Eidinger: … genau. Ein gutes Konzept. Gerade in unserer schnelllebigen Zeit, wo die Aufmerksamkeitsspanne auf ein Minimum sinkt. So lernt man auch den Christian kennen. Der kommt direkt aus Singapur und will morgen wieder mit dem ersten Flieger zurück. Plötzlich sitzt er auf dem Mofa. Bei 25 km/h erlebt man natürlich mehr. Man sieht mehr. Man begegnet mehr Leuten. Man rast nicht nur einfach dran vorbei. Es ist ein Missverständnis, dass man denkt, Städte wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt wären repräsentativ für Deutschland. Im Gegenteil, es sind absolute Ausnahmeerscheinungen. Landstriche, Ortschaften und Dörfer wie man sie im Film sieht, der Schwarzwald, das ist Deutschland. Dass die beiden Brüder durch das Tempo gezwungen sind, durch diese Ortschaften zu fahren, finde ich total wichtig … dass man da mal genau hinguckt, was das Land eigentlich ausmacht.
Die Anfänge beim Kinderfernsehen
FILMSTARTS: Im Film haben die beiden Brüder mit 15 Jahren große Pläne geschmiedet, die dann aber – erst einmal - nicht geklappt haben. Hattest du sowas damals auch? War die Schauspielerei schon immer präsent bei dir? Oder hattest du einfach keine Ahnung?
Lars Eidinger: Einen Plan hatte ich eigentlich immer. Ich wollte Schauspieler werden. Das war mir immer klar. Ich habe ja auch schon sehr früh mit Kinderfernsehen angefangen.
FILMSTARTS: Wo denn zum Beispiel?
Lars Eidinger: Mein erster Auftritt war eine Michael-Schanze-Show, eine Nachfolge-Sendung von „Eins, zwei oder drei“, „Telefant“ hieß das. Da war ich zehn Jahre alt. Meine Freundin Anke hat damals gesagt, „komm, wir gehen da hin“ und hat uns angemeldet. Dann hatten wir beim Sender Freies Berlin ein Casting und sind zur Sendung eingeladen worden. Später habe ich im Radio einen Aufruf gehört, dass sie Kinder für ein Musikvideo suchen, da bin ich dann auch hingegangen. Das war eine Sendung, die hieß „Moskito – Nichts sticht besser“.
FILMSTARTS: Das kenne ich noch, habe ich auch manchmal geschaut…
Lars Eidinger: Jugendfernsehen mit aufklärerischem Anspruch. Die haben ziemlich viele Preise gewonnen, weil sie sich auch an damalige Reiz- und Tabu-Themen wie erste Liebe, Sex, AIDS und Rechtsradikalismus ran gewagt haben. Die Sendung war aufgeteilt in Sketche, Musikclips und Dokumentationen. Ich war dann bei den Sketchen, Nicolette Krebitz übrigens auch. Das waren meine Anfänge. Seitdem habe ich daran festgehalten.
Lars Eidinger schreibt an Regiedebüt
FILMSTARTS: Seitdem bist du Schauspieler, hast Theater gespielt, dort auch schon inszeniert. Da wäre der nächste logische Schritt die Kinoregie. Hast du darauf Lust?
Lars Eidinger: Ja, unbedingt. Ich schreibe gerade an meinem Drehbuch.
FILMSTARTS: Kannst du dazu schon etwas sagen? Um was es sich handelt oder den Titel?
Lars Eidinger: Auf keinen Fall! Ich habe nur vorgestern erfahren, dass demnächst ein Film herauskommt, der genauso heißt. Ich muss mir also einen neuen Titel einfallen lassen.
FILMSTARTS: Ist das Drehbuch oder der Film schon verkauft?
Lars Eidinger: Da kenne ich mich zu wenig aus. Sowas gibt es? Ich könnte also theoretisch die Geschichte pitchen und dann schon Geld dafür verlangen. Ich hatte aber erstmal nur den Impuls zu schreiben. Dann habe ich den „Oh Boy!“-Regisseur Jan-Ole Gerster getroffen und gefragt: „Mit welchem Programm schreibt man eigentlich ein Drehbuch?“ Dann hat er gesagt: „Kauf Dir im Netz Final Draft!“ Das habe ich dann gemacht und drauflosgeschrieben.
FILMSTARTS: Ohne Drehbuchlehrbücher?
Lars Eidinger: Nee, das will ich nicht. Ich denke dann, ich habe 1.000 Drehbücher gelesen, bin selbst Schauspieler. Ich will nicht in vorgefertigte Pfade treten, ich will etwas Eigenes, Neues machen, wie damals die Nouvelle Vague. Dann möchte ich gern das Buch schreiben, die Hauptrolle spielen und Regie führen.
„25 km/h“ läuft seit am 31. Oktober 2018 in den deutschen Kinos.