Am vergangenen Montag ist im angesehenen Newsmagazin The New Yorker eine Kritik zu David Finchers „Verblendung“ (hier nachzulesen) erschienen, obwohl der Kritiker David Denby vor dem Besuch der Pressevorführung wie alle anderen Journalisten auch ein Embargo unterschrieben hat, laut dem es nicht gestattet ist, Besprechungen des Films vor dem 13. Dezember zu veröffentlichen.
Obwohl Sony als direkte Reaktion auf den Bruch des Abkommens eine Pressemeldung rausgab, dass dies nun keinesfalls bedeutet, dass alle Journalisten ihre Kritiken schon jetzt veröffentlichen dürfen, ist wohl damit zu rechnen, dass in den kommenden Tagen eine ganze Flut von Besprechungen vor dem Ende des Embargos erscheinen wird. Schließlich geht es gerade im Kritikengeschäft immer auch darum, einer der ersten zu sein und so den Ton der Diskussion mitzubestimmen.
Um Sonys Forderung nach einer Einhaltung des Embargos Nachdruck zu verleihen, hat Produzenten-Schwergewicht Scott Rudin („There Will Be Blood“, „No Country For Old Men“) David Denby in einer E-Mail bereits mitgeteilt, dass er ihn zukünftig nicht mehr zu Pressevorstellungen seiner Filme zulassen wird. Der erste Film, den Denby also nicht wird vorab sehen können, ist demnach Stephen Daldrys heißerwartetes 09/11-Drama „Extrem laut und unglaublich nah“ mit Tom Hanks und Sandra Bullock, dem im anstehenden Oscar-Rennen gute Chancen eingeräumt werden.
Den vollständigen E-Mail-Verkehr zwischen Scott Rudin und David Denby haben zuerst die Kollegen von The Playlist veröffentlicht und natürlich haben auch wir ihn hier für euch zum nachlesen:
E-Mail von Scott Rudin an David Denby, gesendet am 3. Dezember 2012 um 00.08 Uhr:
You're going to break the review embargo on Dragon Tattoo? I'm stunned that you of all people would even entertain doing this. It's a very, very damaging move and a total contravention of what you agreed. You're an honorable man.
E-Mail von David Denby an Scott Rudin, gesendet am 3. Dezember 2012 um 11.19 Uhr:
Dear Scott:
Scott, I know Fincher was working on the picture up to the last minute, but the yearly schedule is gauged to have many big movies come out at the end of the year.
The system is destructive: Grown-ups are ignored for much of the year, cast out like downsized workers, and then given eight good movies all at once in the last five weeks of the year. A magazine like "The New Yorker" has to cope as best as it can with a nutty release schedule.
It was not my intention to break the embargo, and I never would have done it with a negative review. But since I liked the movie, we came reluctantly to the decision to go with early publication for the following reasons, which I have also sent to Seth Fradkoff:
1) The jam-up of important films makes it very hard on magazines. We don't want to run a bunch of tiny reviews at Christmas. That's not what "The New Yorker" is about. Anthony and I don't want to write them that way, and our readers don't want to read them that way.
2) Like many weeklies, we do a double issue at the end of the year, at this crucial time. This exacerbates the problem.
3) The New York Film Critics Circle, in its wisdom, decided to move up its voting meeting, as you well know, to November 29, something Owen Gleiberman and I furiously opposed, getting nowhere. We thought the early date was idiotic, and we're in favor of returning it to something like December 8 next year. In any case, the early vote forced the early screening of "Dragon Tattoo." So we had a dilemma: What to put in the magazine on December 5? Certainly not "We Bought the Zoo," or whatever it's called. If we held everything serious, we would be coming out on Christmas-season movies until mid-January. We had to get something serious in the magazine. So reluctantly, we went early with "Dragon," which I called "mesmerizing." I apologize for the breach of the embargo. It won't happen again. But this was a special case brought on by year-end madness.
In any case, congratulations for producing another good movie. I look forward to the Daldry.
Best, David Denby
E-Mail von Scott Rudin an David Denby, gesendet am 3. Dezember 2012 um 13.04 Uhr:
I appreciate all of this, David, but you simply have to be good for your word. Your seeing the movie was conditional on your honoring the embargo, which you agreed to do. The needs of the magazine cannot trump your word. The fact that the review is good is immaterial, as I suspect you know. You've very badly damaged the movie by doing this, and I could not in good conscience invite you to see another movie of mine again, Daldry or otherwise.
I can't ignore this, and I expect that you wouldn't either if the situation were reversed. I'm really not interested in why you did this except that you did -- and you must at least own that, purely and simply, you broke your word to us and that that is a deeply lousy and immoral thing to have done. If you weren't prepared to honor the embargo, you should have done the honorable thing and said so before you accepted the invitation. The glut of Christmas movies is not news to you, and to pretend otherwise is simply disingenuous.
You will now cause ALL of the other reviews to run a month before the release of the movie, and that is a deeply destructive thing to have done simply because you're disdainful of We Bought a Zoo. Why am I meant to care about that??? Come on...that's nonsense, and you know it."
Inzwischen hat sich auch David Fincher selbst im Interview mit dem Miami Herald zu der Kontroverse und dem Ausschluss Denbys von zukünftigen Pressevorführungen geäußert:
„Ich denke, Scotts Reaktion war vollkommen korrekt. Es ist für Leute außerhalb des Business schwer zu verstehen - aber egal wie doof dieser Streit von außen auch aussehen mag, ich halte ihn für wichtig. Filmkritiker sind Teil des Filmbusiness. Sie schwimmen im selben Wasser wie wir. Es ist Teil des Business, die Menschen da draußen wissen zu lassen, dass ein Film ins Kino kommt. Das ist keine Wohltätigkeits-Veranstaltung – es ist eine Business-Veranstaltung.
Dabei geht es nicht darum, die Medien zu kontrollieren. Wenn die Leute wissen würden, wie viel Gedanken wir uns darüber machen, wann wir unseren Film zum ersten Mal zeigen, würden sie es verstehen. Es gibt so viele Dinge, die konstant um die Aufmerksamkeit der Menschen buhlen. Ich habe mit dem Dreh an diesem Film 25 Tage nach dem Abschluss von ‚The Social Network' begonnen. Wir haben wirklich hart gearbeitet, um das Startdatum einhalten zu können. Und wenn man dann versucht, eine Erwartungshaltung aufzubauen, ist es extrem frustrierend, wenn jemand erst einer Vereinbarung zustimmt, um dann doch genau das Gegenteil zu machen und so die Regeln zu ändern – und zwar für alle.
Embargos sind okay, aber wenn es nach mir ginge, würde ich meine Filme vor dem Kinostart niemandem zeigen. Ich würde einen Trailer und drei TV-Spots schneiden und abwarten was passiert. […] Darüber geraten Scott und ich in einige unserer größten Streits. Ich meine dann: ‚Wenn Leute den Film sehen wollen, werden sie auch kommen.‘ Aber sie sollten vorher möglichst nichts über den Film wissen. Ich erzähle Leuten nie etwas über einen Film, den sie sich anschauen wollen. Dieser Gedankengang ist in der heutigen Zeit wohl lächerlich. Aber trotzdem muss man erwarten können, dass sich jemand an sein Wort hält, egal wie doof sich das im Informationszeitalter und im Filmgeschäft auch anhören mag. Es ist bedauernswert, dass die Filmkritik zum Schlagzeilen-Geschäft verkommen ist.“
Egal ob jetzt alle Dämme brechen und weltweit etliche Kritiken erscheinen, wir halten uns selbstverständlich an unser Wort, weshalb die FILMSTARTS-Kritik pünktlich zum Ablauf des Embargos am kommenden Dienstag um 18.00 Uhr deutscher Zeit auf dieser Seite erscheinen wird.