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    "Was spaltet uns eigentlich?": "Alter weißer Mann"-Star Jan Josef Liefers im großen FILMSTARTS-Interview
    Markus Tschiedert
    Markus Tschiedert
    Markus Tschiedert arbeitete schon während seines Studiums für die Berlinale und ist heute freier Journalist. Er leitet den ‚Club der Filmjournalisten Berlin‘, organisiert den Ernst-Lubitsch-Preis und veranstaltet Filmevents.

    Im Oktober haben wir uns die hochaktuelle Gesellschaftskomödie „Alter weißer Mann“ für unsere Initiative „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt – da gehört ein Interview mit Hauptdarsteller Jan Josef Liefers natürlich zwingend dazu...

    LEONINE

    In seinen Träumen reitet Heinz (Jan Josef Liefers) mit nacktem Oberkörper und wehendem Haar durch die Prärie, fast wie Winnetou damals. „Indianer“ darf man ja nicht mehr sagen, aber darf man noch von ihnen träumen, oder ist womöglich schon das kulturelle Aneignung? Der Vertriebsleiter der Fernfunk AG meint es wirklich gut, er will alles richtig machen, divers sein, gendern, achtsam sein, bei der Arbeit und im Umgang mit seiner Familie. Aber irgendwie stolpert er bei dem Versuch, das Etikett eines alten weißen Mannes unter allen Umständen zu vermeiden, doch immer nur von einem Fettnäpfchen ins nächste…

    Natürlich muss man bei dem neuen Film von „Willkommen bei den Hartmanns“-Regisseur Simon Verhoeven, erst mal über den Titel „Alter weißer Mann“ und all die Assoziationen, die mit ihm einhergehen, sprechen. Und das haben wir ausführlich getan, bei einem persönlichen Gespräch mit Kinostar („Das Pubertier - Der Film“) und „Tatort“-Kult-Rechtsmediziner Jan Josef Liefers in Berlin:

    FILMSTARTS: Was ist für dich ein alter weißer Mann?

    Jan Josef Liefers: Einer, der Weiterentwicklung bremst, weil er lieber noch im Gestern lebt, wo es ihm gut ging. Ich denke da an ein paar Kerle, die sich in ihren Anfängen in einer Nussschale aufs wilde Meer hinausgewagt haben, mit ungewissem Ausgang, alles riskiert haben und zu ihrer eigenen Überraschung an einem schönen Strand gelandet sind, wo es sich für sie herrlich leben lässt und von wo aus sie jetzt mit Kokosnüssen auf alles werfen, was sich ihrem Paradies nähert. Um es gleich vorweg zu nehmen, das tue ich nicht

    FILMSTARTS: Was tust du, um nicht alter weißer Mann abgestempelt zu werden?

    Jan Josef Liefers: Ich benutze diesen Stempel nicht. Wenn jemand ihn mir aufdrücken will, mache ich elastische Ausweichbewegungen. Ich bin gerade 60 geworden, wenn ich Glück habe, werden es noch 20 Jahre. In dieser Zeit würden mich noch ein paar gute Filmrollen interessieren, aber vor allem, mich als Mensch weiterzuentwickeln. Aber wer weiß, ich bin weiß Gott nicht fehlerfrei und kann nicht ausschließen, dass nicht doch mal ein hochmotivierter Aktivist hinterrücks auf mich zuspringt und mir den Stempel raufknallt.

    FILMSTARTS: Welches Etikett würden besser zu dir passen?

    Jan Josef Liefers: Keins. Etiketten sind was für Weine. Das Etikett spricht aber nur für sich und sagt nichts über den Inhalt der Flasche aus. Und umgekehrt wird ein guter Wein nicht schlechter durch ein hässliches Etikett.

    FILMSTARTS: Auf eurem Film steht „Alter weißer Mann“ drauf. Was hat dir daran gefallen, nun einen solchen zu spielen?

    Jan Josef Liefers: Der Titel ist gut, finde ich. Der läutet eine Glocke. Aber Heinz, die Figur, die ich hier spiele, will ja gerade gar kein alter, weißer Mann sein. Im Gegenteil: Er will alles tun, um seinen Job zu behalten, will gendern, will divers sein und superwoke. Er schafft es aber nie wirklich und ist überfordert von all dem Druck von außen. Das ist sehr witzig und skurril, aber auch rührend, und sowas mag ich.

    FILMSTARTS: Tut er das vielleicht nur, um es allen recht zu machen?

    Jan Josef Liefers: Natürlich, und es wird von ihm verlangt. Dazu kommen jede Menge Sorgen: Seine ältere Tochter schmeisst das Studium, die jüngere ruft: ‚Die Erde brennt!‘ Sein Sohn scheint irgendwo im Cyberspace verloren gegangen, seine Frau will sich selbstständig machen und der Großvater will auf einmal Bürgermeister werden. Extreme Meinungen prasseln auf ihn ein, und er will sie alle gleichzeitig in der Luft jonglieren - und daraus entwickelt sich die Komödie. Aus dieser Überforderung von Heinz, der eigentlich alles richtig machen will, entsteht letztlich der Humor, der Witz und auch die Ehrlichkeit.

    FILMSTARTS: Was meinst du mit Ehrlichkeit?

    Jan Josef Liefers: Wo ist der Mensch, der alles richtig macht? Ich kenne keinen. Aber ich kenne viele, die alles richtig machen wollen. Warum soll man auch was falsch machen wollen – das macht ja keinen Sinn.

    Bei seinem Versuch, es allen recht zu machen, holt sich Heinz (Jan Josef Liefers) auch schon mal ´ne blutige Nase. LEONINE
    Bei seinem Versuch, es allen recht zu machen, holt sich Heinz (Jan Josef Liefers) auch schon mal ´ne blutige Nase.

    FILMSTARTS: Heinz gerät immer wieder in Situationen, die ihn wie einen alten weißen Mann aussehen lassen. Ist dir das denn auch schon mal passiert?

    Jan Josef Liefers: Wer in der Öffentlichkeit steht, steht quasi permanent unter Beobachtung. Es gibt den großzügigen, verzeihenden Blick, und es gibt den fehlersuchenden, anklagenden, übelnehmerischen Blick. Welcher nun gerade auf einen geworfen wird, kann man sich nicht selber aussuchen.

    FILMSTARTS: Wie gehst du damit um?

    Jan Josef Liefers: Wenn mir jemand das Wort im Munde rumdrehen kann, dann muss ich üben, mich so präzise auszudrücken, dass das nicht mehr möglich ist. Dann muss ich besser werden. Denn der einzige, den ich ändern kann, bin ich.

    FILMSTARTS: Das sehen aber nicht alle Männer so, die noch in alten Mustern leben, oder?

    Jan Josef Liefers: Barbara Schöneberger hat mir neulich erzählt, was allein im Fernsehen früher so alles möglich war: Zwei Männer in ernsten Anzügen auf der Bühne, die sich hochtrabend unterhalten, und daneben steht völlig sinnlos eine Frau im Bikini. Irgendwann dreht sich der eine Mann um und sagt: ‚Sie haben ja nicht viel an, was?‘ Die Dame antwortet: „Und deshalb springe ich jetzt besser ins Wasser!“ und tut es. Das war mal öffentlich-rechtliche Fernsehunterhaltung. Und es war auch damals schon gaga.

    FILMSTARTS: Aber keiner regte sich damals auf…

    Jan Josef Liefers: Weil es eine andere Zeit war, mit ihren Themen. Das ist jetzt anders geworden. Sexismus ist heute wichtig, und die Fehler von damals können korrigiert werden.

    FILMSTARTS: Hat sich dahingehend heute nicht schon viel geändert?

    Jan Josef Liefers: Ja. Trotzdem fände ich wichtiger, als zu gendern, den Pay Gap zwischen Männern und Frauen zu schließen. Zahlt doch den Frauen einfach dasselbe wie den Männern für die gleiche Arbeit.

    FILMSTARTS: Hat sich da in deiner Branche schon was getan?

    Jan Josef Liefers: Der Pay Gap existiert nach wie vor. Anderes hat sich geändert. Wir drehen jedes Jahr zwei Münster-„Tatort“-Folgen und haben inzwischen mehr Regisseurinnen als Regisseure. Und auch schon einige Kamerafrauen. Das ist spannend und sehr bereichernd.

    Auch mit seiner Frau Carla (Nadja Uhl) läufts nichts mehr so, deshalb steht regelmäßig eine Paartherapie in Heinz‘ Terminkalender. LEONINE
    Auch mit seiner Frau Carla (Nadja Uhl) läufts nichts mehr so, deshalb steht regelmäßig eine Paartherapie in Heinz‘ Terminkalender.

    FILMSTARTS: Ist es fortschrittlich, vielleicht sogar mutig, dass sich Simon Verhoeven das Thema vorgeknöpft hat?

    Jan Josef Liefers: Ja, im Film werden auf eine sehr faire und menschliche Art einige dieser heißen Kartoffeln in die Hand genommen. Das ist sehr lustig anzuschauen! In „Alter weißer Mann“ wird sich auch nicht lustig gemacht über berechtigte Anliegen bisher marginalisierter Gruppen, sondern über die Übertreibungen, die Ängstlichkeiten, die Heucheleien, die belehrenden Zeigefinger und die Moralapostel. Erzählt wird die Geschichte eines gutwilligen Mannes, der dem galoppierenden Zeitgeist nicht so schnell hinterherkommt. Am Ende, nachdem aus allen Richtungen so sehr an ihm gezerrt wurde, ist Heinz jemand, der versteht, dass man sich ändern und sich trotzdem treu bleiben kann. Und dass man trotzdem auch nicht alles mitmachen muss, was andere von einem fordern.

    FILMSTARTS: Höhepunkt des Films ist das Dinner, wo alle zusammenkommen und alles auf den Tisch kommt, was mal gesagt werden muss. Wie hast du das beim Drehen empfunden?

    Jan Josef Liefers: Es ist fast, als würde ganz Deutschland hier am Tisch sitzen. Es fließt kein Blut, es gibt keine blauen Flecken, es gibt nur Wein, gutes Essen und Menschen, die miteinander ins Gespräch kommen. Wir haben dieses Szenario fast wochenlang gedreht, so wichtig war diese Szene uns.

    FILMSTARTS: Wie würdest du die Stimmung beschreiben, die während der Dreharbeiten herrschte?

    Jan Josef Liefers: Sowas lebendiges habe ich tatsächlich selten erlebt. In Gesprächen bei Leseproben oder in Drehpausen kreisten wir immer wieder um diese neuralgischen Themen unserer Gegenwart. Aber eben nicht mit der Keulen bewaffnet, sondern mit Sympathie, Respekt, Empathie, Geduld und Freundlichkeit.

    FILMSTARTS: Also wie auch im Film, der ein viel größeres Bild von dem zeichnet, was unsere Gesellschaft gerade beschäftigt und spaltet. Wie erklärst du dir diese Gespaltenheit, die gerade überall auf der Welt zu spüren ist?

    Jan Josef Liefers: Was spaltet uns eigentlich? Ich glaube, es sind die Konstruktionen in unseren Köpfen. Wir kriegen unsere Gedanken nicht mehr geordnet, konsumieren Informationen wie Junkfood und ertrinken in einem Meinungs-Tsunami. Denkmodelle und Glaubenssätze graben sich dann schnell in unser Hirn ein. Der Menschen scheint das zu brauchen, vielleicht ein Konstruktionsfehler.

    FILMSTARTS: Was meinst du mit Denkmodellen und Glaubenssätze?

    Jan Josef Liefers: Wie viele Religionen gibt es auf der Welt? So zwischen 4.000 und 10.000 schätzen Experten. Wenn du alle Anhänger dieser Religionen auf dem Alexanderplatz versammeln könntest, und jemand würde sagen: ‚Alle Götter sind reine Erfindungen, es gibt sie nicht‘, dann würden alle sagen: ‚Ja, genau, außer meinem Gott, der existiert als einziger wirklich.‘ Und so ist es mit fast allem. Alle denken, sie seien im alleinigen Besitz der Wahrheit und fühlen sich deshalb überlegen.

    Alter weißer Mann
    Alter weißer Mann
    Von Simon Verhoeven
    Mit Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Friedrich von Thun
    Starttermin 31. Oktober 2024
    Vorführungen (241)

    FILMSTARTS: „Alter weißer Mann“ ist ja als Gewinner unserer Aktion „Deutsches Kino ist [doch] geil!“, in der wir jeden Monat einen deutschen Film – egal welcher Größe – redaktionell wie einen Blockbuster behandeln. Was könnte man deiner Meinung nach noch tun, damit das deutsche Kino hierzulande wieder so geschätzt oder gar gefeiert wird, wie es das in vielen Fällen auch einfach verdient hat?

    Jan Josef Liefers: Man könnte es auch in den Medien wieder mehr zu schätzen wissen und neben aller Kritik als wertvoll und unverzichtbar hochhalten, statt es bei jeder Gelegenheit zu dissen.

    FILMSTARTS: Barbie“ und „Oppenheimer“ haben ja 2023 gezeigt, dass Kinofilme vom gegenseitigen Erfolg profitieren können. Die Leute haben wieder Bock aufs Kino. Welchen aktuellen deutschen Kinofilm sollten sie sich also nach „Alter weißer Mann“ anschauen?

    Jan Josef Liefers: Ich werde mir, sobald es geht, den Kafka-Film „Die Herrlichkeit des Lebens“ anschauen. Hatte dazu noch keine Gelegenheit. Dora Diamant wohnte in Berlin in meiner unmittelbaren Nachbarschaft, ich bin ein großer Fan von Kafkas Literatur, einiges in der heutigen Welt lässt ihn sehr aktuell erscheinen. Und ich will mir den schwedischen Film „Hypnose“ bald ansehen.

    „Alter weißer Mann“ läuft seit dem 31. Oktober in den deutschen Kinos. Und wenn ihr noch mehr über die Hintergründe der Komödie erfahren wollt, dann empfehlen wir euch unseren Podcast Leinwandliebe, denn darin stand uns Simon Verhoeven, der Autor und Regisseur von „Alter weißer Mann“, ausführlich Rede und Antwort:

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