Lange Zeit passte zwischen dieses Regie-Schauspieler-Duo kein Blatt Papier: Tim Burton und Johnny Depp. Gemeinsam erweckten sie den Scherenhandjungen Edward zum Leben („Edward mit den Scherenhänden“), entführten uns in Gothic-Gruselwelten („Sleepy Hollow“) oder ließen kunterbunt-skurrile Welten entstehen („Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Alice im Wunderland“). Ihr nach meiner Meinung bester gemeinsamer Film ist jedoch weit weniger märchenhafter – dabei aber durchaus fantasievoll, denn in diesem geht es um die schier grenzenlose Magie des Kinos.
Es handelt sich um das Biopic „Ed Wood“ – eine Ode an einen der ganz großen Träumer des amerikanischen Kinos. Den gleichnamigen Regisseur und Outsider-Künstler, auf dessen Leben der Film basiert, dürften viele von euch wahrscheinlich durch seinen Trash-Film „Plan 9 from Outer Space“ kennen, der bis heute als angeblich schlechtester Film aller Zeiten verschrien ist.
Der Film ist eine persönliche Verneigung vor einem schrecklich missverstandenen Künstler, in dem sich anscheinend Burton als auch Depp wiederfinden können. Unwillens, sich anzupassen und zu verbiegen und bereit, für den eigenen Traum alles zu geben – selbst wenn dies bedeutet, von der Gesellschaft verspottet und verhöhnt zu werden. Gerade Johnny Depp, der in „Ed Wood“ den kauzigen Träumer verkörpert, spielt diesen mit einer für ihn regelrecht ungewohnten Passion und emotionalen Vielschichtigkeit, die der Mime sonst oftmals in der Verkörperung seinen skurrilen Figuren missen lässt – was ihn für mich nach wie vor zu seinem besten Film werden lässt.
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Und darum geht es in "Ed Wood"
Im Jahr 1952 bekommt der chronisch blanke Ed Wood (Johnny Depp) die Gelegenheit, mit „Glen or Glenda“ eine Low-Budget-Produktion über eine Geschlechtsumwandlung zu drehen – natürlich sagt er sofort zu. Bei den Dreharbeiten lernt er auch den in die Jahre gekommenen Dracula-Darsteller Bela Lugosi (Martin Landau) kennen und überzeugt ihn, Teil seines nächsten Filmprojekts zu werden. Dabei soll es sich um einen ambitionierten Science-Fiction-Film handeln.
Neben Lugosi hat Ed Wood gleich einen ganzen Haufen skurrilen Persönlichkeiten um sich versammelt, mit denen er sein Traumprojekt angehen will. Mit dabei sind seine Freundin Dolores Fuller (Sarah Jessica Parker), die TV-Horror-Ansagerin Vampira (Lisa Marie), den TV-Hellseher Criswell (Jeffrey Jones) und sogar sein Chiropraktiker. Doch dann stirbt Lugosi überraschend während der Dreharbeiten – doch ans Aufgeben ist nicht zu denken...
"Ed Wood" ist die pure Kino-Liebe
Es wäre so einfach gewesen, eine billige Komödie über den angeblich schlechtesten Regisseur aller Zeiten zu drehen. Ihn als unfähigen Stümper hinzustellen, der einfach nur schlechte Filme gedreht hat. Nicht aber unter der Leitung von Tim Burton. Dieser begegnet allen Figuren auf Augenhöhe – und schenkt ihnen sein Herz.
Ed Wood wird nicht auf das (zugegebenermaßen mäßig gelungene) Endprodukt reduziert, vielmehr wird der Weg dorthin als das eigentliche Kunstprodukt begriffen. Und dieser ist nicht nur durch schicke Schwarzweiß-Bilder äußerst stilvoll in Szene gesetzt, sondern gestaltet sich stellenweise auch brüllend komisch und tief tragisch.
Ist es möglich, selbst mit den geringsten Mitteln Kinokunst zu schaffen? Mit viel Leidenschaft und Kreativität durchaus. Das zumindest versichert uns Tim Burton in seinem Biopic glaubhaft, was aber nicht unbedingt heißen muss, dass auch andere Personen das finale Produkt zu schätzen wissen. Neben vielen kreativen Einfällen und eine schier unglaubliche Detailverliebtheit (ich sage nur das umgestoßene Kreuz auf dem Friedhof), wird der Film auch durch sein wunderbares Schauspieler*innen-Kabinett getragen: Bill Murray („Ghostbusters“), Sarah Jessica Parker („Footloose“), Martin Landau („Verbrechen und andere Kleinigkeiten“), Patricia Arquette („True Romance“) und Vincent D'Onofrio („Full Metal Jacket“) – bis in die kleinste Rolle ist dieses Biopic stimmig besetzt.
An den Kassen ging der Film baden
Das Herzstück ist jedoch zweifelsohne der von Johnny Depp mit einem ansteckenden Idealismus gespielte Ed Wood, der sich trotz herber Enttäuschungen nie kleinkriegen lässt. Ganz im Gegensatz übrigens zum echten Ed Wood. Dieser scheint irgendwann doch die negativen Stimmen und Kritiken zu nah an sich herangelassen zu haben, denn er hat sich später im Alkohol verloren und nur noch miserable Pornos gedreht. Und auch das ist ja ein Vorteil des Kinos, denn die Leinwand muss ja kein sklavischer Spiegel der Realität sein. Stattdessen kann der Regisseur entscheiden, wann er das Bild ausblendet und den Vorhang zuzieht...
Ganz im Stile eine „Ed Wood“-Films ging das Biopic an den Kinokassen übrigens gnadenlos unter und entwickelte sich erst im Nachhinein zum Kult-Hit. Und auch Johnny Depp hält diesen Film ungeachtet seiner mauen Einspielzahlen für einen seiner besten Filme. Mehr dazu könnt ihr hier lesen:
Dies ist eine überarbeitete Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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