Es soll sie ja tatsächlich geben: Männer, die ihre Fahrzeuge mehr lieben als ihre Frauen, ihre Familien oder sogar ihren Fußballverein. Wozu das im Extremfall führen kann, sehen wir in „Christine“ von Regie-Legende John Carpenter („Halloween“, „Die Klapperschlange“). Dabei handelt es sich um eine 1983 für das Kino adaptierte, mich bis heute begeisternde Verfilmung eines Romans von Horror-Literatur-Superstar Stephen King („Shining“, „ES“, „Carrie“).
Falls ihr noch nicht wisst, was ihr heute Abend streamen sollt, schaut doch „Christine“. Möglich ist dies beim Video-on-Demand-Händler eures Vertrauens – beispielsweise im Sky Store, bei Apple TV, Google Play oder bei Amazon Prime Video. Wahlweise steht der Titel dort auch als 4K/UltraHD-Variante* für besonders hohe Bildqualität bereit:
"Christine" – der Wagen ist der Star
Das Studio wollte zunächst deutlich größere Namen wie Kevin Bacon, Brooke Shields und Scott Baio für die Hauptrollen. Doch Carpenter konnte die Bosse davon überzeugen, bewusst auf eher unbekannte Akteur*innen zu setzen – das Auto sollte der Star sein. Zumindest in den Nebenparts sind dann aber doch populäre Hollywood-Gesichter wie Harry Dean Stanton („Alien“, „Paris, Texas“), Roberts Blossom („Flucht von Alcatraz“) und Robert Prosky („Dead Man Walking“) sowie die einige Jahre später mit Auftritten in u. a. „Twins“ und „Jerry Maguire“ zum Star avancierte Kelly Preston zu sehen.
Allein die geradezu erotisch inszenierten Momente zwischen Hauptdarsteller Keith Gordon („Dressed To Kill“) und dem von ihm auf den ersten Blick ins Herz geschlossenen Titelstar sind das Einschalten wert. Aber auch die von beeindruckenden, praktischen Effekten dominierten Action- und Horror-Sequenzen machen – ebenso wie die coole, clever von den 1950ern in die 1980er übertragene Atmosphäre des Films – mächtig Laune.
Das ist die Story von "Christine"
Arnie Cunningham (Keith Gordon) ist ein totaler Außenseiter an seiner Highschool. Er sieht nicht gut aus, ist unsportlich und unbeholfen. Zudem besitzt er nicht einmal ein Auto – weshalb er allenfalls davon träumen kann, irgendwann ein Mädchen zu finden, das mit ihm ausgehen würde.
Als Arnie mit seinem einzigen Freund Dennis (John Stockwell) an einer heruntergekommenen Hütte vorbeikommt, sieht er davor einen schrecklich ramponierten Plymouth aus den 1950ern stehen und verliebt sich auf der Stelle in den Wagen. Zu Dennis‘ Entsetzen kratzt Arnie sein Erspartes zusammen und kauft die Rostlaube, die von ihrem Vorbesitzer Christine getauft wurde, bevor dieser darin Selbstmord beging.
Als Arnies Eltern ihm verbieten, Christine vor dem Haus abzustellen, fährt er mit ihr in die Werkstatt von Mr. Darnell (Robert Prosky) und beginnt sie dort eigenhändig zu restaurieren. Die Arbeit an dem Wagen geht erstaunlich gut voran und hilft dem bisher so scheuen Burschen dabei, ein bisher ungeahntes Selbstbewusstsein zu entwickeln. So schafft er es sogar wenig später, Schulschönheit Leigh (Alexandra Paul) anzusprechen, die von der nun komplett wieder hergestellten, in funkelndem Rot glänzenden Christine schwer beeindruckt ist.
Mehr und mehr ergreift das Auto jedoch Besitz von Arnie, der sich schon bald nicht mehr für Leigh oder auch Dennis interessiert. Von seiner neuen Arroganz und Aufmüpfigkeit genervt, beschließen Klassenrowdy Buddy (William Ostrander) und seine Kumpels, ihrem alten Lieblingsopfer eine Lektion zu erteilen. Über Nacht demolieren die Jungs Christine fast bis zur Unkenntlichkeit. Ein grauenhafter Fehler, wie sich bald herausstellt …
John Carpenters "Christine": herrlich gradlinig und visuell bemerkenswert
Wenn es um die verdientesten, wichtigsten Regisseure in der Geschichte des Grusel-Genres geht, steht John Carpenter zweifellos ganz weit oben auf der Liste. Klassiker wie „Halloween“, „Das Ding aus einer anderen Welt“ oder „The Fog - Nebel des Grauens“ sind nur die bekanntesten, einflussreichsten Werke, die unter seiner Ägide entstanden und mit denen er sich längst unsterblich gemacht hat.
„Christine“ hingegen schafft es bei den wenigsten Experten und nicht einmal beim Gros der Carpenter-Fans in seine Top 5. Was ich ein wenig ungerecht finde. Ist der Film doch in Sachen Atmosphäre, Look und Effizienz der Schockmomente einer der besten Jobs, die der New Yorker in seiner langen, beispiellosen Karriere abgeliefert hat. Ähnliches gilt für das Pacing und die Kompaktheit bei gleichzeitigem Einfallsreichtum der Story-Umsetzung.
Dass „Christine“ dennoch häufig nicht mit den ganz großen Carpenter-Highlights genannt wird, mag wohl daran liegen, dass der Meister selbst den Film schon damals eher als eine Art Auftragsarbeit und weniger als eine Herzensangelegenheit betrachtete. Auch gab er mehrfach zu Protokoll, dass Kings Buchvorlage für seinen Geschmack einfach nicht schaurig und extrem genug gewesen sei.
1981 war „Das Ding aus einer anderen Welt“ an den Kinokassen gescheitert und auch die damaligen Kritiken kamen für den genialen Sci-Fi-Schocker kurioserweise alles andere als berauschend daher. So empfand der Filmemacher es für sein weiteres Schaffen als zwingend, als nächstes ein deutlich publikumswirksameres Projekt anzugehen. „Christine“ sollte ihm bei potenziellen Geldgebern wieder mehr Vertrauen und damit Kredit für kommende, erneut deutlich abseitigere Themen einbringen.
Carpenters Manöver ging auf. Der Film spielte tatsächlich allein in den USA mehr als das Doppelte seines Zehn-Millionen-Dollar-Budgets ein und avancierte auch in zahlreichen weiteren Ländern zum Hit. So konnte Carpenter, der im direkten Anschluss noch weitere Mainstream-Titel wie „Starman“ oder „Big Trouble In Little China“ inszenierte, sich ab Ende der 1980er wieder verstärkt seinen eigenen Themen widmen.
So kalkuliert dieses Vorgehen klingen mag, so positiv wirkte es sich auf „Christine“ aus. Denn der Regisseur ging hier sehr viel gradliniger und im positiven Sinne nüchterner zur Sache als bei vielen seiner vorherigen und folgenden Arbeiten, in die er emotional deutlich stärker involviert war.
Da die Technologie im Bereich der Spezialeffekte in den letzten vier Dekaden enorme Fortschritte gemacht hat, mag „Christine“ diesbezüglich vielleicht etwas altbacken wirken. Doch dieser Umstand macht für mich persönlich heutzutage einen Großteil seines Charmes aus. Und der sich aus knackigen Old-School-Rock-Nummern von Acts wie George Thorogood, den Rolling Stones, Ritchie Valens oder Buddy Holly zusammensetzende Soundtrack trägt sein Übriges dazu bei.
Unbestreitbar und jenseits jeder Diskussion ist für mich allerdings die sich komplett organisch anfühlende Eleganz, mit der Carpenter die relativ simple Story in einen herrlich fließenden, nahezu ohne Längen ausgestatteten Film transferierte. Dafür sorgten auch kleine, von Drehbuchautor Bill Phillips („Die Maulwürfe“) vorgenommene Änderungen an der Geschichte der Vorlage. So entwickelt Christine hier etwa schon im grandiosen, in den 1950ern spielenden Prolog auf dem Fabriklaufband ein Eigenleben und wird nicht erst vom bösen Geist ihres ersten Besitzers in diese Richtung animiert. Zudem sind die knallige Farbgebung und das in vielen Szenen geradezu strahlende Licht echte, visuelle Highlights – genau wie der wunderschöne Titelstar.
Carpenter verschliss während der Dreharbeiten insgesamt 22 Autos. Da 1958er Plymouth Furys Anfang der 1980er schon sehr rar waren (es wurden überhaupt nur 5303 Exemplare hergestellt!), kaufte das Produktionsteam außerdem ähnlich aussehende Modelle aus den Belvedere- und Savoy-Reihen der Marke auf und richtete diese her. Sie alle sollten als Totalschäden auf kalifornischen Schrottplätzen landen. Nur zwei der „Christine“-Wagen konnten von privaten Liebhabern von dort gerettet und restauriert werden. Wer sich heutzutage einen noch verkehrstüchtigen '58 Fury zulegen möchte, muss etwa eine halbe Million Dollar auf den Tisch legen. Dem Rest von uns bleibt zumindest noch ein unverändert Spaß machender Film.
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Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.