Eigentlich hat „RRR“ seinen Status als „Geheimtipp“ schon sehr, sehr lange hinter sich gelassen. Schließlich schien 2022 plötzlich die ganze Welt über das Action-Epos zu reden. „Avatar 2“-Regisseur James Cameron und sein Kollege Steven Spielberg gehören zu den vielen prominenten Fans, die den Film öffentlich feierten. Bei den Oscars 2023 gab es sogar einen Goldjungen für den besten Filmsong. Doch ich habe das Gefühl, dass „RRR“ trotzdem noch viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt – und kann das auch an Zahlen festmachen.
So finden sich auf unserer Webseite hier mittlerweile zwar deutlich mehr (übrigens größtenteils sehr, sehr positive) User-Wertungen zu „RRR“, aber immer noch viel zu wenig für einen solchen Action-Blockbuster. Ein sehr gutes Indiz dafür, dass ein Film bei der breiten Masse noch immer unter dem Radar läuft. Schreckt euch ab, dass ihr noch keine Erfahrungen mit indischem Kino besitzt? Oder ist die Laufzeit von über drei Stunden ein Hindernis? Mein Plädoyer ist deutlich. Wischt diese Gedanken beiseite – zumal „RRR“ ein perfekter Einstieg ins indische Kino ist und sogar sehr einfach auf zwei Abende aufgeteilt werden kann (dazu mehr am Ende des Artikels).
Und passend dazu gibt es S.S. Rajamoulis einzigartigen Film beim größten deutschen Streamingdienst Netflix im Abo – in der Hindi-Sprachfassung mit deutschen Untertiteln.
"RRR" – muss man einfach sehen!
Das Geschehen spielt im Indien es Jahres 1920. Der britische Gouverneur Scott (der 2023 leider verstorbene „Ahsoka“-Fanliebling Ray Stevenson als herrlich fieser Bösewicht) und seine Frau Catherine (Alison Doody – auch bekannt als Dr. Elsa Schneider aus „Indiana Jones 3“) entreißen den Bewohnern eines Dorfes ein kleines Mädchen und nehmen es mit nach Delhi. Doch sie ahnen nicht, dass der Stamm einen Beschützer hat: Komaram Bheem (N. T. Rama Rao Jr.) schwört, das Mädchen wieder zu finden und begibt sich in die Hauptstadt, wo er getarnt als Muslim und Mechaniker eine Rettungsaktion vorbereitet und nach einem Weg sucht, in den massiv geschützten Palast einzudringen.
Doch die britischen Besatzer bekommen Wind von der Sache und machen sich auf die Suche nach dem Retter. Vor allem der junge Polizist A. Rama Raju (Ram Charan) sieht seine Chance gekommen. Trotz mutiger Heldentaten ist er bislang bei jeder Beförderung übergangen worden, weil er halt kein weißer Brite ist. Er schwört, Bheem zu fangen. Doch als die beiden so muskelbepackten wie mutigen Männer das erste Mal aufeinandertreffen und gemeinsam einen kleinen Jungen retten, ahnen sie nicht, wer der jeweils andere ist. Und so werden sie die allerbesten Freunde und unzertrennlich. Doch in den wenigen Stunden, in welchen sie sich nicht sehen, verfolgen sie weiter ihre geheimen Missionen...
Was für ein Wahnsinn „RRR“ ist, macht schon der Prolog deutlich, der quasi schon drei ganze Filme auf einmal bietet. Zuerst sehen wir in einer harmonisch-elegant beginnenden und dann brutal und ergreifend werdenden Sequenz die Entführung des Mädchens, bevor in zwei gigantischen Actioneinlagen die beiden Helden vorgestellt werden. Während Bheem riesige wilde Bestien fängt (die später in einem sensationellen Shot noch mal einen großen Auftritt haben), prügelt sich Rama für die britische Krone durch Aufständische – und zwar nicht durch ein Dutzend, sondern ganz allein gegen Hunderte.
Das unterstreicht, wie groß, nein, wie gigantisch gedacht „RRR“ ist. Hier ist alles nicht nur eine Spur überhöht, sondern ins Unermessliche gesteigert und es wird jeder Superlativ bemüht. Da reicht es halt nicht, gegen eine Übermacht zu kämpfen, da muss diese gleich so groß sein, dass sie das komplette Bild in einer weit herausgezoomten Luftaufnahme ausfüllt.
"RRR" ist ein Fest der Superlative
Und so ist das bei allem in „RRR“. Alles wird in Superlative gesteigert. Die englischen Besatzer foltern nicht einfach nur brutal, sie foltern super-brutal. Und die Freundschaft zwischen Bheem und Rama ist halt nicht nur eine Männerfreundschaft, sondern es ist die allerbeste, intensivste, männlichste Freundschaft, die man je in einem Film gesehen hat. Wenn es eine Tanzszene auf einem Sommerfest gibt, wird nicht einfach nur getanzt, sondern es wird so wild, schnell und lange getanzt, bis nur noch einer stehen kann. Und auch wenn bei „RRR“ immer wieder das Testosteron förmlich aus dem Film heraustrieft, ist er gleichzeitig auch eine ungemein emotionale Geschichte mit vielen unterschiedlichen Tönen.
Eine Liebesgeschichte des unbeholfenen Bheem mit der Britin Jenny (Olivia Morris) ist kein Fremdkörper, sondern unterhält als wunderbar eigene kleine RomCom. Und die tragische Hintergrundgeschichte von Rama, die quasi von einem eigenen Film-im-Film zur Halbzeit als lange Rückblende erzählt wird, lässt dessen Tun plötzlich in einem neuen Licht erscheinen – und stellt nochmals alles auf den Kopf.
Falls ihr euch wundert, was der Titel „RRR“ bedeutet? Eigentlich war das nur ein Arbeitstitel, der deutlich machen sollte, dass hier mit Regisseur Rajamouli und den Schauspielern Rama Rao und Ram Charan drei indische Mega-Stars das erste Mal zusammenarbeiten. Doch der Titel klang so cool und kam so gut an, dass man ihn behielt und nachträglich eine Interpretation suchte. Weltweit wurde so der Zusatztitel „Rise, Roar, Revolt“ dazu gepackt – was gut die mitreißende Begeisterung für den Freiheitskampf der Hauptfiguren verdeutlicht.
Wie sehr es aber vor allem um die Stars geht, merkt man, wie nicht nur ihre allerersten Auftritte, sondern alle weiteren zelebriert werden. Da hält der Film immer mal kurz inne, um dem Publikum Raum zu geben, einfach nur zu applaudieren. Im Kino wurde das reichlich gemacht und vor Begeisterung aufgejauchzt. Aber auch auf Netflix haben diese Momente ihren Reiz – selbst wenn ihr nicht ekstatisch von der Couch aufspringt.
"RRR" funktioniert auch aufgeteilt auf 2 Abende
Ich habe ja bereits zu Beginn versprochen, dass es Abhilfe gibt, wenn euch „RRR“ zu lang ist. Das ist kein Problem. Wie sehr viele indische Filme wurde „RRR“ auch mit einer bewusst gesetzten Pause produziert. Im Kino gibt es dann eine sogenannte „Intermission“, in welcher man auf die Toilette gehen, sich mit einem neuen Getränk versorgen oder kurz die Beine ausschütteln kann. Netflix hat zwar leider die Anzeige entfernt, dass nun die Intermission beginnt, aber man kann den perfekten Moment dafür noch immer erkennen. Wenn ihr das nachfolgende Bild seht, dann ist der perfekte Moment, um zu pausieren, falls ihr eure „RRR“-Erfahrung über zwei Abende verteilen wollt:
Auf Netflix bleibt das Bild auch einige Zeit eingeblendet, bevor es mit der Handlung weitergeht. Das beste „RRR“-Erlebnis gibt es meiner Ansicht nach natürlich, wenn man den Film in einem Rutsch schaut. Aber gerade unter der Woche und/oder mit Kindern, die vorher ins Bett gebracht werden wollen, ist diese Aufteilung in quasi zwei Spielfilme mit regulärer Länge von rund 90 Minuten eine gute Möglichkeit. Das wichtigste ist nämlich am Ende: Egal wie, schaut „RRR“! Denn es ist der Actionfilm, den ihr aus dem Jahr 2022 unbedingt gesehen haben solltet!
Und falls euch danach interessiert, wer sich so einen gigantischen Actionfilm ersonnen hat, empfehle ich euch die ebenfalls auf Netflix verfügbare Dokumentation „Meister des indischen Films: SS Rajamouli“. Hier ist ein Trailer:
Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.