Eine deutsche Regiehoffnung für das internationale Genrekino: In „Cuckoo“ spielt die aus „Euphoria“ bekannte Hunter Schafer eine Teenagerin, die mit ihrer Familie in ein Ferienörtchen in die bayrischen Alpen zieht. Doch schon bald muss sie feststellen, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Welches Geheimnis umgibt diesen Ort und den Leiter der Anlage (Dan Stevens)?
Bereits mit seinem zweiten Film ist dem Regisseur Tilman Singer großes gelungen, denn schon jetzt werden Vergleiche mit Body-Horror-Altermeister David Cronenberg gezogen. Und auch wir können euch den Alpen-Albtraum nur wärmstens empfehlen - in der offiziellen FILMSTARTS-Kritik wurde der Schocker mit 4 von 5 möglichen Sternen ausgezeichnet und ist damit zurecht unsere September-Wahl für unsere Initiative „Deutsches Kino ist [doch] geil!“. Mit dieser Kampagne wollen wir mit dem Vorurteil aufräumen, dass es keine guten Filme aus Deutschland geben würde.
FILMSTARTS-Autor Kamil Moll hatte die Gelegenheit, mit „Cuckoo“-Regisseur Tilman Singer ein ausführliches Interview zu führen. Im Gespräch geht es um die Frage, inwieweit man sich von anderen Filmen inspirieren lassen darf, die Liebe zum analogen Filmmaterial und die Einflüsse aus der eigenen Kindheit. Doch zuerst wollten wir wissen, ob es Schwierigkeiten bei der Vorbereitung und Erarbeitung der Rollen gab - denn immerhin ist „Cuckoo“ schon ein wilder Genre-Mix, der den Schauspielenden einiges abverlangt ...
FILMSTARTS: „Cuckoo“ ist kein reiner Horrorfilm, sondern eher eine Genre-Mischung mit Thriller- und Märchenelementen. Und dass diese unterschiedlichen Komponenten zusammengehen, liegt auch daran, dass die Hauptrollen sehr unterschiedlich sind bzw. sehr unterschiedlich gespielt werden: Hunter Schafer gibt eine sehr grundierte, intensive Teenager-Performance, in der man sich als Zuschauer sofort wiederfinden kann. Dan Stevens‘ Spiel ist viel grotesker und überspannter, fast schon over the top. War diese Vermischung von Tonfällen und unterschiedlich temperierten Rollen auch so schon im Drehbuch angelegt und konzipiert, oder entwickelte sich das eher dann in der Vorarbeit mit den Schauspieler*innen?
Tilman Singer: Teil, teils. Gretchen, die Rolle von Hunter Schafer, ist unsere Erdung für den Film, unser Fenster. So habe ich sie auch im Drehbuch beschrieben. Bei Hunter habe ich das sofort gefunden, als ich ihr Tape bekommen habe. Als wir gecastet haben, war gerade die erste „Euphoria“-Staffel gelaufen. Was da aus diesem Tape gesprudelt kam an emotionaler Verbundenheit mit der Rolle und der Geschichte, das war bemerkenswert. Ich war mir sofort sicher, dass sie die richtige Person dafür ist. Alle anderen Rollen hatten eine andere Aufgabe. Die Charaktere, die an diesem Ort agieren, die sollten eher eine Traumwelt herstellen, wie in einem Märchen.
FILMSTARTS: Vor allem die Figur von Dan Stevens funktioniert ja ganz anders.
Tilman Singer: John Malkovich war lange für diese Rolle besetzt, aber unsere Zeitpläne haben nicht funktioniert und wir mussten umbesetzen. Du kannst dir ja vorstellen, wie anders die Rolle geworden wäre. Dan Stevens kam kurz vor dem Dreh dazu. Wir sind gemeinsam durch Köln gelaufen, haben über die Rolle geredet und die langsam zusammengefunden. Dan hat darüber gesprochen, dass Herr König, seine Figur, andere Menschen gar nicht als Menschen sieht, sondern als Objekte in seinem Experiment, die entweder lästig sind oder eben das machen, was er will.
Alles andere ist eigentlich nur gespielt, so wie er vermutet, dass Menschen behandelt werden wollen. Und das hat mir sehr gut gefallen, dem sind wir dann nachgegangen. Ich schreibe immer das Drehbuch so genau, wie ich kann, wie ich es auch im Kopf habe, aber dann schaue ich gerne den Schauspielern zu.
FILMSTARTS: Der Schauplatz deines Films ist ein Hotel-Resort in den bayrischen Alpen. Zum einen sind da die Gebäude auf dem Hotelgelände, die wie übrig gebliebene Relikte aus der klassischen Moderne der späten 50er-Jahre aussehen. Hunter Schafer wiederum spielt eine Slackerin in Sneakers und Bomberjacke, mit strähnigen Haaren und ausklappbarem Butterfly-Messer und erinnert mich eher daran, wie ich so als Teenager in den 90er-Jahren rumlief, obwohl der Film in der Gegenwart spielt.
Tilman Singer: Das ist ja auch direkt aus meiner Kindheit adaptiert, genau.
FILMSTARTS: Und die im Film eingesetzte Musik hat immer wieder Anklänge an 80er-New Wave, Post Punk oder Dream Pop. Das ist ein sehr deutlicher Kontrast, aber rein atmosphärisch geht das alles dennoch sehr gut zusammen. Wolltest du bewusst ein Setting und ein Ambiente schaffen, das sich zeitlich nicht genau zuordnen lässt?
Tilman Singer: Das ist etwas, das ich schon in den Kurzfilmen, die ich alle mit demselben Team gemacht habe, angefangen habe zu erforschen. Dario Mendez, unser Production Designer, versucht, ein historisches Gefühl herzustellen für die Räume, die Umgebung. Das kommt, indem er die Dekaden übereinander lagert. Dass du Architektur aus einer gewissen Zeit hast, Innenarchitektur vielleicht aus einer anderen Zeit, die Mode und die Kostüme sind wiederum anders verortet.
Vor „Cuckoo“ haben wir noch gedacht, wir müssen die Geschichten in der Vergangenheit ansiedeln. „Luz“ spielt zum Beispiel, ohne dass man das konkret erfährt, eher in den 90er-Jahren, auch wenn man darin Technik aus den 60ern wie ein Tonbandgerät sieht. Bei „Cuckoo“ haben wir festgestellt, dass wir das gar nicht so machen müssen. Wir erschaffen ja sowieso eine Traumwelt, ein Paralleluniversum, wo die Sachen leicht anders funktionieren. Und deswegen können die Leute auch Smartphones in der Hand haben. Und das war der Versuch, einfach mal zu sagen: Es ist nicht eine ausgedachte Vergangenheit, sondern ein ausgedachtes Jetzt.
FILMSTARTS: Habt ihr euch auch von den Drehorten inspirieren lassen oder eher konkret nach einer bestimmten Form von Architektur gesucht? Dieses Haus, in dem Hunter Schafer mit ihrer Familie wohnt, das sieht ja z.B. nach einer Villa aus, wie man sie eher in Kalifornien finden würde.
Tilman Singer: Beides. Ich liebe es, on location zu drehen, begeistert zu werden von der Architektur oder von den Orten, die man vorfindet. Dann müssen wir uns mit den Orten arrangieren, denn die sind ja nicht gebaut wie ein Studio oder eine Soundstage. Da steht dann zum Beispiel eine blöde Säule in der Mitte und dann muss man damit umgehen lernen, wie man drumherum filmt. Aber das ist meistens sehr gesund. Dieses Familienhaus habe ich im Drehbuch schon als Glashaus beschrieben. Das war mir wichtig, dass das wie ein Terrarium funktioniert, wo im Zoo die Tiere ausgestellt sind. Man kann von draußen rein und von drinnen raus gucken.
Wir haben bei der Suche rausgefunden, dass der Architekt Richard Neutra, der in Kalifornien maßgeblich für diesen Mid-Century-Bungalow-Stil verantwortlich ist, dass der auch in seiner deutschsprachigen Heimat drei, vier Häuser gebaut hat. Eins davon stand in Wuppertal. Und da haben wir dann gedreht. Das hat sich verbunden, denn im Film kommt ja eine US-amerikanische Familie nach Deutschland, das hat super gepasst. Andere Orte wie das Hotel oder das Krankenhaus haben wir auf einem stillgelegten British Royal Air Force-Gelände gefunden. Das hatte sich die Natur schon zurückgeholt. Es hat für diese Märchenwelt total gepasst.
FILMSTARTS: In den Bergen selber hast du gar nicht gedreht?
Tilman Singer: Nein, das ist alles getrickst. Wir haben Berglandschaften aufgenommen, die wir in den Hintergrund gesetzt haben. Die gibt es in dieser Gegend eigentlich nicht.
FILMSTARTS: „Cuckoo“ ist eine deutsch-amerikanische Co-Produktion, und der Verleih Neon hat den Film in den USA vor ein paar Wochen in über 1500 Kinos starten lassen. Wie war es für dich, dafür auf eine längere Promo-Tour durch die USA geschickt zu werden? Wie hast du den Buzz, der dort durch den Film entstanden ist, wahrgenommen?
Tilman Singer: Das kann ich gar nicht wahrnehmen und auch erst jetzt nur langsam verstehen. Das ist so ähnlich wie beim Drehen, dass man in so einen leicht manischen Zustand kommt, weil man immer unter Strom steht. Bei so einem Release gehört viel Stress, Anspannung und viel Bangen dazu, aber auch Freude, das ist ja auch mein erster größerer Film. Ich lese gerade nichts darüber, nicht aus Arroganz, sondern aus Selbstschutz. Auch wenn andere den Film gut finden, bin ich so neurotisch und denke darüber nach: „Ah, warum finden die das denn jetzt gut und nicht das!“ Ich lese dann in einem halben Jahr ein paar Sachen, wenn es abgeklungen ist, wenn ich mich mit dem nächsten Projekt beschäftige.
FILMSTARTS: Kannst du dir vorstellen, weitere Projekte in den USA zu machen?
Tilman Singer: Total. Ich arbeite weiter mit der Produktionsfirma Waypoint, die auch „Cuckoo“ mitproduziert haben. Das nächste Drehbuch ist auch schon geschrieben. Allerdings drehen wir nicht unbedingt in den Staaten, das ist ein bisschen schwierig dort für einen Low-Budget-Film. Grundsätzlich ist es mir aber eigentlich egal, wo wir drehen. Ich gehe hin, wo ich Filme machen kann.
FILMSTARTS: „Cuckoo“ spielt ja in den bayerischen Alpen, wurde aber nicht dort gedreht. Eine solche Illusion kannst du überall erzeugen, wenn du die richtigen Locations dafür findest.
Tilman Singer: Genau. Wo die Produktion ansässig ist, das ist ja egal. Wo wir drehen, ist das Interessante.
Rückkehr des analogen Filmmaterials
FILMSTARTS: Du hast den Film analog auf 35mm gedreht. Deine vorhergehenden Filme, die an der Kunsthochschule für Medien in Köln entstanden, sind auch alle auf Filmmaterial entstanden. War das eine Entscheidung, die du von Anfang deines Studiums an verfolgt hast, oder wie bist du dazu gekommen, analog zu drehen? Gerade in Deutschland gibt es ja leider kaum jemanden, der noch auf Film dreht. Das ist mittlerweile recht schwierig geworden, das noch machen zu können.
Tilman Singer: Mark my words: Das kommt gerade auf der ganzen Welt zurück. Letzte Woche war ich bei Kodak in Los Angeles, die haben auch erzählt, wie viel wieder gedreht wird.
An der Kunsthochschule für Medien in Köln gab es ein Kameraseminar. Wenn man dort die volle Studienzeit studiert, dann orientiert man sich erst mal in den ersten Semestern, bis man dann in den letzten zwei, drei Semestern sein eigenes Ding macht. Und da hatten wir ein Kameraseminar, wo es wirklich von Null losging. Den Dozenten war es wichtig, uns beizubringen, wie Filmkameras funktionieren, auch die Mechanik und wie man eine Kamera vorbereitet und wartet.
Wir hatten bei einer Übung einen Drehtag im Studio und durften mit einer Rolle 16mm-Film machen, was wir wollen. Und dann haben wir einen Western gedreht. Das habe ich sehr genossen, sich so gut vorzubereiten und auch zu zittern, ob alles klappt. Man kann das Material dann nicht sofort sehen, sondern das muss erst mal ins Labor, und wenn der Film dann nach einer Woche zurückkommt, dann guckst du darauf mit frischen Augen. Das ist wirklich magisch. Seitdem habe ich nie wieder darauf verzichtet, auf Film zu drehen, weil das etwas mit dem Arbeitsprozess macht, was ich nicht missen will. Und dazu gehören eben alle Umstände und Hürden. Am Set merken das auch alle. Alle sind fokussierter, inklusive den Schauspielern und Beleuchtern.
FILMSTARTS: War es denn auch eine Hürde, Produzenten davon zu überzeugen, dass du auf Film drehen möchtest?
Tilman Singer: Ich hatte nie Probleme damit, in der Hinsicht waren mir alle Produzenten wohlgesonnen. Ich stelle das aber auch über mein Management schon am Anfang als Bedingung. Das ist ein guter Zeitpunkt, wenn man die ersten Besprechungen hat, wenn noch alles gut gelaunt sind und es dann zusammen beschlossen wird. Bei meinem Abschlussfilm gab es zwar dafür Förderung und eine Auf-Film-Dreh-Subvention für die Entwicklung und Abtastung des Materials, darüber wurde ein Großteil übernommen. Trotzdem mussten wir auch einiges selbst zahlen. Und wenn man das als Student im digitalen Zeitalter schon selbst macht, dann gibt es später eigentlich keine Ausrede mehr für einen größeren Film.
FILMSTARTS: Was reizt dich am Look von analogem Filmmaterial? Was lässt sich damit einfangen, was digital nicht geht?
Tilman Singer: Wenn ich eine digitale und eine analoge Kamera nebeneinander stelle und die drehen dasselbe Bild, dann kann ich das digitale Material so manipulieren, dass ich später nicht mehr weiß, was was ist. Die Möglichkeit gibt es. Aber du kannst dich nicht psychologisch selbst betrügen und so arbeiten, als würdest du auf Film drehen, mit der Vorsicht, die dafür notwendig ist. Und ich glaube, das spürt man.
Mir ist aber auch wichtig, was das Filmmaterial selbst mitbringt. Ich möchte immer so nah wie es geht an den Farben, die wir auch am Set gesehen haben, bleiben, ich färbe nicht gerne ganze Bilder ein, so eine Monotonie gefällt mir nicht. Und was da an Farben und an Kontrastumfang in so einem Kodak-Material steckt, ist enorm. Wenn das Licht in einem Film dunkler, diesiger wird, habe ich das Gefühl, dass das, was der Film sieht, näher dran ist, als was die digitale 4K-oder 8K-Kamera sieht. Und tatsächlich geht es mir oft so im Kino, auch wenn ich die Filme gut finde, dass wenn ich eine wahnsinnig hochauflösende Projektion sehe, die mit einer wahnsinnig hochauflösenden Kamera gedreht wurde, dann kneife ich manchmal die Augen zusammen, weil ich denke, das ist mir zu scharf. Ich will gar nicht alle Wimpern zählen können, ich würde viel lieber in dieser traumartigen Welt sein, die Kino sein kann.
FILMSTARTS: Habt ihr von „Cuckoo“ auch Filmkopien gezogen? In den USA bekommen in den letzten Jahren ja gerade Genre- und Indie-Filme immer öfter eine limitierte analoge Kinoauswertung.
Tilman Singer: Unser Verleih Neon hat einen Print gemacht. Wir haben neulich in Los Angeles ein Screening gehabt, bei dem eine 35mm-Kopie gezeigt wurde. Die habe ich mir aus der Projektionskabine angeschaut und da kamen mir tatsächlich ein bisschen die Tränen, weil ich nie gedacht hätte, das einer unserer Filme wirklich einen Print bekommt. Was so toll dabei ist, ist das Flickern im Kino. Dieses leichte Flickern, das du in den ersten Minuten noch wahrnimmst, und dann stellt sich dein Gehirn darauf ein. Das holt einen in eine Traumwelt: Etwas passiert, wenn das Bild an- und ausgeht. Wir haben bei „Cuckoo“ auch etwas Ähnliches gemacht. Es gibt eine Slow-Motion-Sequenz kurz vor dem John-Woo-esken Shoot-out am Ende, da haben wir dieses Lampen-Flickern, das man bei älteren Filmen, die on location gedreht wurden, sieht, hergestellt. Da sieht man verlangsamt, wie so ein Licht funktioniert.
Die Einflüsse von "Jurassic Park", Giallo-Filmen und David Cronenberg
Achtung! In diesem Abschnitt folgen Spoiler zu „Cuckoo“. Wer den Film also noch nicht gesehen hat und sich nichts vorwegnehmen lassen möchte, der sollte sich zuerst ins Kino und sich überraschen lassen und anschließend den Rest des Interviews lesen.
FILMSTARTS: Du hast neulich in einem Feature für Letterboxd „Jurassic Park“ von Steven Spielberg als einen deiner vier Lieblingsfilme genannt. „Jurassic Park“ ist ja ein Film über das Erwachen und Erproben von Elterninstinkten und Familiensinn. Etwas, das auch bei „Cuckoo“ eine zentrale Rolle spielt. Könntest du uns erklären, woher die Inspiration für deinen Film herkam? Wie bist du auf die Idee menschlicher Brutparasiten gekommen?
Tilman Singer: Im Grunde hat sie sich angeboten. Zu der Zeit habe ich den Film, den wir davor gemacht haben, „Luz“, gemischt. Da ging es mir nicht besonders gut, ich habe gedacht, niemand wird diesen Film jemand sehen und wir machen den eigentlich nur für uns selbst. Mit diesem Druck musste ich umgehen und zu der Zeit habe ich einen Dokumentarfilm von der BBC über den Kuckuck gesehen, wie er brütet oder eben nicht brütet. Da war ein Bild von den Wirtseltern, die sich um ein Kuckucksküken kümmern, nachdem ihre Küken alle schon aus dem Nest geschubst wurden, das hat mich berührt und auch nicht mehr losgelassen. Und ich habe gedacht: Das ist eine Familiengeschichte, die da darauf wartet, geschrieben zu werden.
FILMSTARTS: Horrorfilme variieren immer wieder die gleichen Motive und Grundideen. Sind andere Horrorfilme für dich auch konkrete Auslöser und Einflüsse für „Cuckoo“ gewesen? Ich musste immer wieder an David Cronenberg denken, weil der Film nicht nur mit Grauen, sondern auch mit Faszination auf diese menschlichen Brutparasiten schaut.
Tilman Singer: Wir wollten deren menschliche Seite zeigen, das war faszinierend. Bei Cronenbergs „Die Fliege“ sieht man, wie das auch andersrum funktionieren kann, wie sich dort Jeff Goldblum immer weiter entmenschlicht im Verlauf des Films. Ich hatte keine konkreten Vorlagen, aber natürlich schwirren mir diese Filme im Kopf herum, auch „Jurassic Park“, den ich zum Teil einen Horrorfilm nennen würde. Stilistisch bin ich nach wie vor von Giallo-Filmen inspiriert. Als ich noch regelmäßig Skateboard fahren gegangen bin, hat man sich immer vor dem Skaten Skateboard-Videos angeguckt, um sich so richtig aufzuhypen. Und so ein bisschen funktioniert das mit Giallo-Filmen bei mir: mal gucken und dann dadurch Bock haben, Filme zu machen. So eine pulsierende Zoom-Sequenz, die einen Herzschlag verdeutlicht oder Ähnliches bei Giallos, das muss man sich ja auch erst mal trauen.
FILMSTARTS: Bei deinem vorherigen Film „Luz“ sieht man den Einfluss von Giallo-Filmen ja auch deutlich.
Tilman Singer: Bei „Luz“ haben wir auch einfach ganze Sequenzen geklaut. Da ist eine Taxifahrt im Auto, im strömenden Regen, die wir in einer Studio-Situation hergestellt haben. Mein Kameramann und ich haben dabei gemerkt: Das ist eigentlich wie die Sequenz bei „Suspiria“ am Anfang. Wir haben den Film noch mal geguckt und festgestellt: Die haben es eigentlich perfekt gelöst. Wir machen es einfach genau so, wir nehmen sozusagen jede Einstellung aus diesem Anfang.
FILMSTARTS: Um manche Einflüsse kommt man nicht herum, weil sie so prägend gewesen sind. Das merkt man möglicherweise auch erst im Nachhinein.
Tilman Singer: Macht ja auch nichts. Warum auch? Warum sich dagegen wehren? Im Grunde ist ja jede Idee eine Zusammensetzung aus verschiedenen Sachen, die man irgendwo mitbekommt. Irgendwo muss sie ja herkommen.