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    Cuckoo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Cuckoo

    Ein deutsche Regiehoffnung für das internationale Genrekino!

    Von Kamil Moll

    Wenn dieser Sound erklingt, ein hoher, schriller Schrei, der so durchdringend laut und umfassend ist, dass dabei der Kehlkopf vibriert wie der Subwoofer eines Lautsprechers, dann setzt einfach alles aus und geht auf Repeat: Gretchen (Hunter Schafer) hört den Klang zunächst von ihrer Halbschwester Alma (Mila Lieu), aus deren kleinem Körper die rhythmischen Schreie als Erstes dringen. Das Filmbild beginnt zu vibrieren und verliert jegliche Stabilität, die Geschwister fallen aus der Zeit, geraten in eine Schleife, bei der sich nur wenige Sekunden immer wieder aufs Neue wiederholen, bis der Schrei endlich verstummt. Auch sonst wirkt im Resort Alpschatten, einer pittoresken Hotelanlage mitten in den bayrischen Alpen, in das Gretchen mit ihrem Vater Luis (Marton Csokas) und seiner zweiter Frau Beth (Jessica Henwick) reist, bereits auf den ersten Blick vieles sehr merkwürdig.

    Betrieben wird der Erholungskomplex von Herrn König (Dan Stevens, seit Maria Schraders „Ich bin dein Mensch“ geübt im deutsch-amerikanischen Sprachwechsel), der der Familie einen Bungalow auf dem Gelände zur Verfügung stellt, damit Luis dort an den Entwürfen für ein weiteres neues Resort arbeiten kann. Zentral für das Leben innerhalb der Anlage scheint auch eine Klinik zur Behebung chronischer Krankheiten zu sein, die finanziell von König gefördert wird und sich alsbald als buchstäbliche Brutstätte erweist. Auch die Hotellobby, in der Gretchen einen Job als Pförtnerin beginnt, um ihre deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern, scheint von Krankheit geprägt: Frauen, die sich krampfartig übergeben oder somnambul durch die Eingangshalle wanken, eine mit Sonnenbrille und Hoodie verhüllte Gestalt, die Gretchen zu verfolgen beginnt und deren markerschütternder Schrei zwischen Warnruf und Waffe die Zeit anzuhalten und zu wiederholen vermag.

    Gretchen (Hunter Schafer) muss auf der Suche nach den Geheimnissen des Alpschatten-Resorts eine ganze Menge einstecken! Neon
    Gretchen (Hunter Schafer) muss auf der Suche nach den Geheimnissen des Alpschatten-Resorts eine ganze Menge einstecken!

    Ihre Hauptrolle spielt die großartige Hunter Schafer als eine moderne Slackerin in Sneakers und Bomberjacke, mit strähnigen Haaren und ausklappbarem Butterfly-Messer. Damit überführt sie gekonnt ihre längst zum Jugendidol avancierte Figur aus der Serie „Euphoria“ in ein verdichtetes Kinosetting, wovon der Film immens profitiert. Denn kaum jemand beherrscht momentan die Balance zwischen Toughness und Introvertiertheit besser als Schafer – und nur mit einer derart grundierten Teenager-Performance kann es sich „Cuckoo“ erlauben, die meisten anderen Rollen ins geradezu Märchenhafte zu entgrenzen. Selbst Dan Stevens‘ Figur, in weißen Leinenkleidern und mit Nickelbrille scharf an der Grenze zum Schmierentheater, wirkt so durch Teenager-Augen betrachtet plötzlich nur noch wie ein sich besonders lächerlich abstrampelnder Erwachsener. Ein leicht zu durchblickender New-Age-Guru für das 21. Jahrhundert.

    Bereits mit „Luz“, seinem auf 16mm gedrehten Abschlussfilm an der Kölner Kunsthochschule für Medien, bewies Tilman Singer ein Gespür für analoge Texturen, die deutlich über die vordergründigen Marker eines bloß Retro-orientierten Horrorkinos hinauswiesen. „Cuckoo“, der nun mit einem erheblich größeren Budget und auf 35mm-Filmmaterial produziert wurde, lässt einen erst recht darüber staunen, wie viel Genrefilme mit dem Wechsel zum Digitalen an ästhetischer Dringlichkeit verloren haben. Denn wann konnte man zuletzt schon eine derart undurchdringliche Dunkelheit, eine absolute Schwärze des Bildes sehen wie bei Gretchens nächtlicher Fahrradfahrt durch einen Wald, bei der das Licht der Lampe nur so viel Helligkeit spendet, dass auf der Fahrbahn grotesk verzerrte, herannahende Schatten erkennbar werden? Auch die milchig-weiße Beleuchtung des Krankenhauses, die einen nebligen Dunst über die Räume legt, oder die grell erhellte Eingangshalle eines Hotels zeigen, mit welcher Liebe zur Inszenierung und handwerklichem Wissen Singer den Look des Films entworfen hat.

    Auch eine Hommage an David Cronenberg - aber (fast) schon auf Augenhöhe

    Umso beglückender ist es bei so viel visueller Finesse aber auch, dass sich der Film stets der eigenen Ableitung aus einer langen Genretradition bewusst ist und seinen höheren psychosexuellen Unsinn über Brutparasiten und Leihmutterschaft mit einem informierten, ironischen Humor ausstattet. Gerade im sehr lustvollen Umgang mit seinem Material, der Faszination für körperliche Verformungen, lässt sich der so oft wie selten richtig gut beschworene Einfluss der Filme von David Cronenberg (die explizite Nähe zu „Parasiten-Mörder“ und „Die Brut“ versucht der Film erst gar nicht zu kaschieren) erkennen. Mit „Cuckoo“ empfiehlt sich Tilman Singer so als ein Hoffnungsträger des internationalen Horrorfilms, der seinen namhaften Einflüssen zunehmend näher auf Augenhöhe entgegenblickt.

    Fazit: Dank analogem Look und der großartigen Hauptdarstellerin Hunter Schafer gelingt Tilman Singer mit „Cuckoo“ ein Horror-Highlight über Brutparasiten und Teenager-Ängste.

    Wir haben „Cuckoo“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er in der Sektion Berlinale Special gezeigt wurde.

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