Autos beim Fallschirmsprung, im Kampf gegen ein Atom-U-Boot und im Weltall: Bevor die „Fast & Furious“-Saga auf immer absurdere Situationen setzte, ging es um illegale Straßenrennen. Doch nicht nur dieser Filmfan würde einem Kurzfilm-Klassiker zusprechen, weitaus stärkere Straßenraserei zu bieten als sämtliche „Fast & Furious“-Filme. Denn „Rendezvous“ zeigt in einer einzigen, komplett ungeschnittenen Aufnahme, wie jemand in der Pariser Innenstadt auf die Straßenverkehrsordnung pfeift:
Über ein Dutzend rote Ampeln werden ignoriert, das Tempolimit wird fast durchweg durchbrochen, es gibt riskante Fahrbahnwechsel, viel zu eng geschnittene Kurven und es wird kurz über den Gehweg gebrettert. All das gefilmt aus der Egoperspektive der Frontstoßstange. Der auch unter seinem Originaltitel „C'était un rendez-vous“ bekannte Raserei-Klassiker ist noch bis zum 30. November 2024 in der arte-Mediathek abrufbar.
"Rendezvous": Paris am frühen Morgen, Motorenjaulen frei von Sorgen
Ein Auto saust aus dem Tunnelausgang an der Porte Dauphine, rast über die Avenue Foch, durchquert den gewaltigen Kreisverkehr am Arc de Triomphe, brettert die ikonische Champs-Elysées hinunter, durchkreuzt den Place de la Concorde und den Louvre, fährt blitzschnell entlang der Grand Opéra Paris und der Galeries Lafayette, holpert durch die Mausefalle Pigalle und dröhnt den Montmartre hinauf, bis es bei den Stufen vor Sacré Coeur Halt macht.
Diese potentiell halsbrecherische Spritztour ist frei von Spezialeffekten und wird ohne Zeitraffer wiedergegeben. Zurückgelegt wird in weniger als neun Minuten eine 10.597 Kilometer lange Strecke, für die man in Paris tagsüber eine Stunde Fahrzeit einrechnen sollte. Seit der Uraufführung anno 1976 analysieren Fans „Rendezvous“ akribisch und errechneten eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 km/h – auf dem Streckenabschnitt Champs-Elysées wird sogar von 122 km/h im Schnitt ausgegangen.
Regisseur Claude Lelouch, der Klassiker wie „Ein jeglicher wird seinen Lohn empfangen …“, „Ein Mann und eine Frau“ und „Weggehen und wiederkommen“ inszenierte, spricht sogar davon, kurzzeitig die Spitzengeschwindigkeit von 200 km/h erreicht zu haben – was jedoch vielfach angezweifelt wurde.
Eine Stadtfahrt, die der Gerüchteküche ordentlich einheizte
Da „Rendezvous“ zeitweise nur in (Untergrund-)Filmfanzirkeln kursierte, kam es zu einer gewaltigen Legendenbildung. Es entstanden die wahnsinnigsten Gerüchte, welcher Sportwagen beim Dreh verwendet wurde. Und es wurde gemutmaßt, dass die französische Formel-1-Größe Jacques Lafitte oder der in mehreren Motorsportdisziplinen beheimatete Belgier Jacky Ickx das Auto steuerten.
In Wahrheit saß Lelouch am Steuer, als Beifahrer hatte seinen Kameramann Jacques Lefrançois und seinen Key Grip Henri Quérol im Wagen, bei dem es sich um den Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 handelte – eine leistungsstarke Limousine. Lelouch und Lefrançois entschieden sich für dieses Auto, da es zwar schnell, aber recht sanft gefedert ist. Nur so konnten sie den visuellen Geschwindigkeitsrausch mit einem recht verwacklungsfreien Bild vereinen.
Für den nötigen akustischen Kick legte man Tonaufnahmen einer Ferrari-Spritztour auf derselben Strecke über das am Mercedes geschossene Bild. Eine kleine Schummelei durfte also sein – der Begeisterung für den Film tut dies keinen Abbruch. Zu den namhaften Fans von „Rendezvous“ zählt etwa laut Spiegel der in „Le Mans 66“ von Matt Damon verkörperte Tuning-Experte Carroll Shelby.
Zufälle und Beinahe-Unfälle
Dass es „Rendezvous“ gibt, haben die Auto- und Filmwelt einzig dem Zufall zu verdanken: Nach den Dreharbeiten seines Dramas „Ein Hauch von Zärtlichkeit“ hatte Lelouch noch etwas unbelichtetes Filmmaterial über. Also beschloss er, einen Kurzfilm zu drehen. Mit dem wollte er seiner damaligen Freundin Gunilla Friden einen ungewöhnlichen Liebesbeweis machen, indem er für sie im halsbrecherischen Tempo die Stadt der Liebe durchquerte.
Konsequenterweise verewigte Lelouch sowohl Fridens Auto (einen Mini Cooper, der im Kurzfilm nahe Sacré Coeur parkt) als auch sie selbst. Sie fällt ihm am Ende des Films in die Arme. Friden war auch eine von nur zwei Personen, die in den Dreh von „Rendezvous“ eingeweiht waren, ohne mit Lelouch im donnernden Mercedes zu sitzen: Er gab Friden vor Beginn seiner Fahrt via Telefonzelle Bescheid, dass sie sich in zehn Minuten an den Stufen der Sacré Coeur bereithalten soll.
Die andere Person, die in diese Irrsinnsfahrt eingeweiht wurde, war „Mann unter Feuer“-Regisseur Élie Chouraqui. Der war damals Lelouchs Assistent und erhielt die Aufgabe, ihm an der kritischsten Stelle seiner geplanten Strecke auszuhelfen: Chouraqui positionierte sich mit einem Walkie-Talkie hinter dem Arkadenbogens im Hof des Louvre und sollte sich via Funk melden, wenn an dieser schwer einsehbaren Stelle keine freie Bahn herrscht. Lelouch hätte dann eine Alternative gewählt – doch beim Dreh versagte das Walkie-Talkie!
Es ist also nicht nur dem Zufall zu verdanken, dass „Rendezvous“ entstanden ist, sondern auch riesiges Glück, dass aus dem Kurzfilm-Stunt kein gefilmter Autounfall geworden ist. Insofern verwundert es nicht, dass sich der damalige Polizeipräfekt höchstpersönlich einschaltete und Lelouch den Führerschein entzogen hat – laut Wiener-Online aber nur für symbolische fünf Minuten.
Derartigen Konsequenzen hatte Christopher McQuarrie derweil nicht zu befürchten: Wie er im Podcast-Interview mit dem britischen Filmmagazin Empire verriet, ließ er sich von „Rendezvous“ zu einigen Szenen in „Mission: Impossible – Fallout“ inspirieren. Ästhetisch, selbstredend – nicht hinsichtlich der Guerilla-Drehmethoden! Was McQuarrie noch so plant, das erfahrt ihr wiederum im folgenden Artikel:
Noch vor "Top Gun 3": Tom Cruise übernimmt Hauptrolle im Zweiter-Weltkriegs-Actioner vom "Mission Impossible 7"-Regisseur