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    Dieser gnadenlose Kriegs-Schocker hat eines der verstörendsten Enden der Kinogeschichte
    Michael Bendix
    Michael Bendix
    -Redakteur
    Schaut pro Jahr mehrere hundert Filme und bricht niemals einen ab. Liebt das Kino in seiner Gesamtheit: von Action bis Musical, von Horror bis Komödie, vom alten Hollywood bis zum jüngsten "Mission: Impossible"-Blockbuster.

    Bei „Combat Shock“ muss man sich auf ein ziemlich unangenehmes Filmerlebnis einstellen, bei dem der Schmutz aus jedem Bild trieft – doch vergessen wird man es mit Sicherheit nicht so schnell!

    '84 Entertainment / Troma Entertainment

    Seit Juli 2024 ist Berlin um eine (Kino-)Attraktion reicher: Einmal im Monat findet im Filmrauschpalast Moabit die Reihe „Pleasure Dome“ statt, die sich filmischen Double Features in bester Grindhouse-Tradition verschrieben hat. Gezeigt werden thematisch mal lose, mal ganz direkt zusammenhängende Genre- und Exploitation-Filme, immer in analoger 16mm- oder 35mm-Projektion.

    In der bis dato letzten Ausgabe standen dreckige New-York-Filme auf dem Programm, in denen von Gott und der Welt verlassene Männer keine andere Option mehr sehen, als völlig am Rad zu drehen: Abel Ferraras „The Driller Killer“ wurde dabei „Combat Shock“ vorausgeschickt, mit dem der seit den späten 90er Jahren in Berlin lebende Filmemacher Buddy Giovinazzo vor fast 40 Jahren sein Regiedebüt hinlegte.

    Combat Shock
    Combat Shock
    1 Std. 31 Min.
    Von Buddy Giovinazzo
    Mit Rick Giovinazzo, Veronica Stork, Mitch Maglio
    User-Wertung
    3,0

    Giovinazzo war bei der Aufführung selbst zu Gast und verglich den Film in seiner kurzen Einführung mit einem Zahnarztbesuch: eine eher unangenehme Erfahrung, bei der man hinterher aber meist feststellen würde, dass es ja doch gar nicht so schlimm war wie befürchtet.

    Das trifft es ziemlich gut: „Combat Shock“ ist trotz aller Unebenheiten, die der überschaubare Erfahrungsschatz der meisten Beteiligten und ein ebenso limitiertes Budget von gerade einmal 40.000 US-Dollar eben so mit sich bringen, eine wahre Grenzerfahrung. Wir verfolgen einen Tag im Leben des arbeitslosen Vietnam-Veteranen Frankie (Ricky Giovinazzo, der Bruder des Regisseurs), der mit seiner entfremdeten Ehefrau (Veronica Stork) und einem Mutanten-Baby (!) im abgeranztesten New Yorker Apartment lebt, das man sich nur vorstellen kann – und der viele Jahre nach seiner Rückkehr aus Vietnam noch immer jede Nacht von Albträumen und Visionen geplagt wird.

    Giovinazzo habe einen Film drehen wollen, „in dem alles schiefgeht, was nur schiefgehen kann.“ Das fängt bei der sauer gewordenen Milch im Kühlschrank an, von der Frankie natürlich erst mal einen beherzten Schluck nimmt, und hört bei den örtlichen Drogen-Gangstern, die ihm auf den Fersen sind, noch lange nicht auf. Auch auf dem Arbeitsamt zeigt man ihm die kalte Schulter, und sein ihn für tot haltender Vater, an den er sich in seiner Verzweiflung hilfesuchend wendet, entpuppt sich als pleite und todkrank. Als ihm bei einem spontanen Raubüberfall eine Waffe in die Hände fällt, kommt es zur Eskalation ...

    ... die wir an dieser Stelle natürlich noch nicht im (verstörenden) Detail vorwegnehmen wollen, die es aber mehr als in sich hat – ein kleiner Spoiler: Niemand wird diesen Tag überleben.

    "Taxi Driver" trifft "Eraserhead"

    Giovinazzo hat für „Combat Shock“ alles auf eine Karte gesetzt: Der ausschließlich auf Staten Island gedrehte Film (ja, das gilt auch für die in Saigon spielenden Flashbacks) wurde ohne Drehgenehmigung realisiert, die Schauspieler*innen stammen bis auf wenige Ausnahmen aus dem direkten Umfeld des Regisseurs, und für die benötigte Finanzierung sorgte Giovinazzo größtenteils selbst – so griff er beispielsweise sogar auf Geldgeschenke zurück, die er zu seiner eigenen Hochzeit bekommen hatte.

    Während Giovinazzo ein Autorenfilm im Stil von „Taxi Driver“ und „Eraserhead“ vorschwebte, wurde der ursprünglich unter dem Titel „American Nightmares“ firmierende Film von der berüchtigten B-Movie-Schmiede Troma Entertainment („The Toxic Avenger“) aufgekauft – und als sensationalistischer Actionreißer vermarktet, was dem depressiven, hoffnungslosen Tonfall von „Combat Shock“ so gar nicht entsprechen mag.

    Aufgrund seiner Brutalität wurde bei „Combat Shock“ in vielen Ländern trotzdem gnadenlos die Schere angesetzt, zudem nahm auch Troma eigene Schnittänderungen vor und fügte neue Szenen hinzu, um ihn besser in das Portfolio der Produktionsfirma eingemeinden zu können. Deshalb kursiert heute eine Vielzahl verschiedener Schnittfassungen. Wer den Film uncut erleben möchte, kann etwas tiefer in die Tasche und zur limitierten 3-Disc-DVD-Edition von '84 Entertainment greifen:

    Damals war kaum jemand richtig glücklich mit „Combat Shock“. Denn das Publikum, das sich für diese zutiefst fatalistische, teils rätselhafte Genre-Mixtur mit ihrem schonungslosen Blick auf soziale Realitäten hätte erwärmen können, wurde größtenteils nicht erreicht. Wer allerdings gemäß dem offiziellen Poster „Rambo 2“ erwartet hatte, musste zwangsläufig enttäuscht werden. 38 Jahre später lohnt dieser blut- und schmutztriefende Rohdiamant des Underground-Kinos unbedingt eine Wiederentdeckung – natürlich nur auf eigene Gefahr!

    Welcher auf ganz andere Art und Weise an Grenzen gehende Film zahlreiche Zuschauer*innen aus dem Kinosaal trieb, erfahrt ihr im folgenden Artikel:

    Krasser als jeder Horrorfilm: Echte Leichen und Innereien treiben Publikum massenweise aus dem Kinosaal

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