Steven Spielberg ist ein absoluter Meisterregisseur und sicherlich eine der entscheidenden Personalien, wenn es um die Filmsozialisation von unzähligen Menschen geht. Klassiker wie „Der weiße Hai“, „E.T. - Der Außerirdische“, seine „Indiana Jones“-Trilogie oder auch die „Jurassic Park“-Blockbuster haben ganze Generation geprägt und nachhaltig ins Staunen versetzt. Tatsächlich aber hat Steven Spielberg deutlich mehr auf dem Kasten als „nur“ magischen Eskapismus zu liefern. Das haben bereits seine oscarprämierten Meilensteine „Schindlers Liste“ und „Der Soldat James Ryan“ auf hochgradig intensive Art und Weise unter Beweis gestellt.
Mit dem ebenfalls von Tatsachen inspirierten „München“ aus dem Jahre 2005 aber hat Steven Spielberg noch einmal ein ganz neues Kapitel für sich aufgeschlagen: Härter, düsterer und desillusionierter ist der Regisseur nämlich nie zur Tat geschritten. Falls ihr den beklemmenden Rache-Thriller mit Eric Bana („Black Hawk Dawn“) und Daniel Craig („Glass Onion“) bislang noch nicht gesehen haben solltet, könnt ihr den Film nun im Abo von Netflix nachholen.
Darum geht’s in "München"
Im Zuge der Olympischen Sommerspiele 1972 in München kommt es zu einem grausamen Terroranschlag durch die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“. Diese stürmt das olympische Dorf und tötet elf israelische Athleten. Auf Rache sinnend stellt die israelische Regierung auf Geheiß der Ministerin Gold Meir (Lynn Cohen) eine Todesliste zusammen, auf der sich die Namen der elf Verantwortlichen befinden, die daraufhin aus dem Weg geräumt werden sollen.
Der junge Mossad-Agent und ehemalige Personenschützer Avner Kaufman (Eric Bana), Sohn eines israelischen Helden, wird speziell für diesen Auftrag ausgesucht, der ausschließlich in Europa und keinen arabischen Ländern durchgeführt werden soll. Außenpolitische Komplikationen sollen dadurch vermieden werden. Zusammen mit seinem Team (u. a. Daniel Craig) nimmt Avner den Auftrag an und macht sich auf die Jagd nach den Terroristen...
Härter war Steven Spielberg nie
Man muss zuerst einmal einordnen, in welchem Kontext sich der Film „München“ bewegt. Obgleich sich dieser an tatsächlichen Ereignissen orientiert, erzählt Steven Spielberg hier keine wahre Geschichte im eigentlichen Sinne. Stattdessen ist sein Rache-Meisterwerk eine Adaption des Romans „Die Rache ist unser“ von George Jonas. Letztlich gibt es nur drei Fakten, die „München“ letztlich in der Realität verwurzeln: Das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972, die Reaktion der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir, die daraufhin die Entscheidung fällte, die Verantwortlichen gnadenlos zu verfolgen und die bedeutende Anzahl der vermeintlichen Täter, die kurze Zeit später den Tod fanden.
Der Rest folgt den Gesetzmäßigkeiten der künstlerischen Freiheit. Und auf mich erscheinen diese Freiheiten so, als hätte Spielberg sie genutzt, um ambivalenter, kontroverser und düsterer denn je – im wahrsten Sinne des Wortes – loszufeuern. Denn was hier sofort auffällt, ist nicht nur der grobkörnig-schroffe Look, der an das brodelnde Thriller-Kino der 1970er-Jahre erinnert, als noch Regisseure wie Henri Verneuil oder Costa-Gavras die Finger in politische Wunden zu legen wussten. Es ist auch die Gewalt, die Spielberg hier abbildet.
Mag Spielberg in „Der Soldat James Ryan“ bereits bewiesen haben, dass er mehr als nur in der Lage ist, grausam Gewalt in Szene zu setzen, hatte diese in ihrem historischen Kontext aber durchaus eine ikonische Strahlkraft, die letztlich auch Videospiele wie „Call Of Duty“ oder eben auch Filme wie „Black Hawk Down“ maßgeblich zur Nachahmung bewegten. Die Brutalität des Weltkriegs-Dramas ist heftig, gerade in den ersten 30 Minuten, „München“ geht aber noch einen Schritt weiter, weil er das Unvermittelte immerzu ambivalent rahmt. In „Der Soldat James Ryan“ steckt hinter den Gewehrsalven letztlich eine Sinnhaftigkeit, eine Wertigkeit. In „München“ regiert meiner Meinung nach nur die lähmende Leere.
Rache ohne Erlösung
Was Steven Spielberg in „München“ im Kern zeigt, ist, dass Gewalt zwangsläufig Gegenwalt erzeugt. Es bleibt aber nicht bei dieser eher plakativen Thesen, denn Spielberg setzt direkt zur nächsten Ebene an, wenn er die Gewalt-Erkenntnis schließlich mit der Frage verknüpft, was ein Land dazu antreibt, sich selbst zu verteidigen, in dem es einfach noch mehr Blut vergießt und damit auch noch mehr Leid stiftet – und zwar auf beiden Seiten. Avner Kaufman, der von Eric Bana mit pulsierender Körperlichkeit gespielt wird, ist Täter und Opfer zur gleichen Zeit. Die Grenzen sind fließend.
Dass „München“ so unheimlich beklemmend ist, liegt daran, dass Spielberg letztlich immer noch eine Sache interessiert: der Mensch. Damit tritt „München“ dann doch noch in die Tradition des vorherigen Spielberg-Schaffens, denn die Empathie, die der Regisseur hier nicht nur für die israelische, sondern auch für die arabische Seite beweist, ist fast schon charakteristisch für den „Indiana Jones“-Macher. Vor allem Anver wird zum Dreh- und Angelpunkt dieser grimmig-dichten Auseinandersetzung mit dem Faktor Mensch, wenn diesem das souveräne Grinsen nach und nach aus dem Gesicht gestoßen wird.
Am Ende ist Anver nur noch ein ständig schwitzender, kreidebleicher Schatten seiner selbst. Sein Leben wurde nicht nur durch die Gewalt erschüttert, sondern auch durch die Zweifel an den Idealen, nach denen er sein Leben zuvor ausgerichtet hat. Damit begreift sich „München“ auch als eindringliche Dekonstruktion des klassischen Vergeltungskinos, wenn er das Gespenst namens Rache auf erschütternde Art auf die Protagonisten zurückfallen lässt. „München“ ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit Terrorismus und dem Israel-Palästina-Konflikt. Der Film erzählt eine universelle Geschichte über das Individuum in einer tödlichen Spirale.
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Heute Abend streamen: Die spektakuläre Fortsetzung zum besten Blockbuster aller ZeitenDies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.