Mittlerweile lässt sich das breite Publikum darauf ein, dass Animationsfilme viele Genres abdecken: Märchenmusicals wie „Die Eiskönigin“ werden ebenso zu Hits wie Slapstick der Marke „Minions“ oder Abenteuer im Stil von „Drachenzähmen leicht gemacht“. Anfang der 2000er dagegen wurden reihenweise Trickfilme, die sich gegen die Musicalformel der 1990er sträubten, mit der kalten Schulter begrüßt.
Zwar bauen sie seither ihre Fangemeinde langsam, aber stetig aus. Dennoch genießen sie noch immer nicht vollauf die ihnen gebührende Achtung. Einer dieser Filme ist das Sci-Fi und Fantasy vereinende Abenteuerspektakel „Atlantis – Das Geheimnis der verlorenen Stadt“ mit starken Designs von „Hellboy“-Schöpfer Mike Mignola. Der Disney Channel zeigt „Atlantis – Das Geheimnis der verlorenen Stadt“ heute, am 6. Juli 2024, ab 20.15 Uhr. Außerdem könnt ihr „Atlantis“ bei Disney+ abrufen:
Darum geht es in "Atlantis – Das Geheimnis der verlorenen Stadt"
Kartograph und Linguist Milo Thatch (Stimme im Original: Michael J. Fox) wird verlacht, weil er an den Mythos der versunkenen Stadt Atlantis glaubt. Allein der Exzentriker Preston B. Whitmore (John Mahoney) vertraut ihm: Whitmore enthüllt, dass er eine Expeditionscrew beschäftigt, die Milos Expertise benötigt, um Atlantis zu entdecken.
Milo ist Feuer und Flamme, auch wenn ihn Teile der Truppe argwöhnisch betrachten. Am vermuteten Standort von Atlantis angekommen, folgt eine Überraschung: Wo alle bloß Artefakte vermuteten, befindet sich eine lebende Kultur! Angeführt wird diese von König Kashekim Nedakh (Leonard Nimoy) und seiner Tochter Kida (Cree Summer), die rasch einen Draht zu Milo entwickelt...
Zu Tisch wurde den Musicals abgeschworen
Bei einem Budget, das auf 90 bis 120 Millionen Dollar geschätzt wird, nahm „Atlantis“ im Kino bloß 186,1 Millionen wieder ein. Das Publikum war 2001 also noch nicht soweit – in den Disney-Trickstudios war man hingegen längst bereit für abenteuerlich-frischen Wind:
Nachdem sie mit „Der Glöckner von Notre Dame“ ein weiteres Zeichentrickmusical fertigstellten, lud Produzent Don Hahn im Herbst 1996 die „Die Schöne und das Biest“-Regisseure Gary Trousdale & Kirk Wise zum Essen ein, um ihre nächsten Schritte zu planen. Hahn erläuterte ihnen und Drehbuchautor Tab Murphy, dass sie eine einmalige Chance hätten:
Das Studio sei sehr zufrieden mit ihnen – und es hätte gerade kein Projekt in der Pipeline, das man ihnen aufbrummen könnte. Daher schlug Hahn vor, dass sie gemeinsam eine Idee ausarbeiten, um in die Offensive zu gehen, bevor ihre Vorgesetzten sie einem Film zuteilen! Auf Anhieb kristallisierte sich heraus, dass Wise, Trousdale, Murphy und Hahn eine Pause von der Märchen- und Musicalwelt wollten.
Stattdessen nahmen sie sich vor, eine andere filmische Disney-Tradition ins Zeichentrickmedium zu übertragen: Ambitionierte Abenteuerfilme im Stile des Kino-Meilensteins „20.000 Meilen unter dem Meer“ frei nach Jules Verne. Den haben wir euch übrigens kürzlich als Streaming-Tipp näher vorgestellt:
Da „20.000 Meilen unter dem Meer“ solch ein einflussreicher Disney-Klassiker ist, kam das Quartett zuerst auf die Idee, einen anderen Verne-Roman zu adaptieren: „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“. Diese Idee verwarfen Hahn, Murphy, Wise und Trousdale letztlich, als sie sich die Vorlage nochmal durchlasen und als öde empfanden. Daraufhin entschieden sie, eine eigene Geschichte zu entwerfen, die aber das Flair des französischen Schriftstellers atmet: Ein mit Monstern bestücktes, retro-futuristisches Abenteuer über Atlantis!
Monster, Kämpfe und die Erkundung einer einzigartigen Welt
Bereits der turbulente Prolog setzt ein Zeichen, indem er den tragisch-spektakulären Untergang von Atlantis zeigt. Anschließend entwickelt sich der Film zum gewitzten Expeditionsabenteuer mit einer dysfunktionalen Crew voller Charakterköpfe – sozusagen zu einer familientauglichen Vereinigung aus Action in der Tradition von „Das dreckige Dutzend“ und einem Jules-Verne-Fiebertraum: Wenige Minuten nach dem rasanten Auftakt wird ein gigantisches Forschungsschiff von einem mechanischen Leviathan zerstört.
Das Finale wiederum ist ein explosiver Luftkampf im Inneren eines schlummernden Vulkans – inklusive gewaltigem Bleihagel, Energiestrahlen-Schusswechsel und einem mutierenden Fiesling! Dazwischen entstehen und zerbrechen Allianzen, werden Figuren mit den Folgen von Profitgier konfrontiert und die Gepflogenheiten in Atlantis erkundet – eine durch Hochmut zum Dasein als Schatten ihrer selbst verdammten Kultur.
Die Charakterentwicklung der Nebenfiguren hätte zwar gewiss davon profitiert, hätte das Filmteam die Erlaubnis (und das Budget) erhalten, näher an eine 120-minütige Laufzeit zu rücken. Dafür ist die Abfolge an bildgewaltigen Sequenzen atemberaubend – auch abseits der Actioneinlagen: Das im extrabreiten CinemaScope-Format erkundete Atlantis wird als faszinierendes Kuddelmuddel verschiedenster Kulturen präsentiert und gewinnt durch ein einmaliges Designprinzip massiv an Charakter.
Denn diese von Komponist James Newton Howard hervorragend mit forsch-verspielter, in einigen Sequenzen zudem esoterisch-magischer Musik unterlegte Filmwelt ist eine Verschmelzung aus klassischen Disney-Prinzipien und der unverkennbaren Feder des „Hellboy“-Schöpfers Mike Mignola: Das „Atlantis“-Team lud ihn als Berater und Mitgestalter ein, weshalb in diesem Trickfilm-Abenteuer kühne Flächen auf kantig-filigrane Verzierungen treffen und große, schwere Schatten auf sich perspektivisch überlappende Ebenen fallen.
„Atlantis“ wirkt deswegen wie ein zum flüssig-gleitenden Leben erweckter, mit wuchtig-impulsiven Wendepunkten versehender Comicheft-Geheimtipp – eine betörende, fesche Anomalie im Disney-Kanon! Wenn ihr zum Vergleich überprüfen wollt, was im Realfilmkino demnächst mit Mignolas berühmtester Schöpfung passiert, solltet ihr noch euch den folgenden Artikel zu Gemüte führen:
"Hellboy" ist zurück! Erster Trailer zum Fantasy-Reboot zeigt den Nachfolger von "Stranger Things"-Star David Harbour*Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.