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    Ich habe den für mich wichtigsten Film der Welt nach 20 Jahren im Kino wiedergesehen – das Erlebnis hat meine Erwartungen noch übertroffen
    Michael Bendix
    Michael Bendix
    -Redakteur
    Schaut pro Jahr mehrere hundert Filme und bricht niemals einen ab. Liebt das Kino in seiner Gesamtheit: von Action bis Musical, von Horror bis Komödie, vom alten Hollywood bis zum jüngsten "Mission: Impossible"-Blockbuster.

    Mit 8 Jahren wollte ich nichts sehnlicher, als „Titanic“ im Kino zu sehen – ein Wunsch, der sich erst 26 Jahre später erfüllt hat. Das Erlebnis hat mich unendlich glücklich, aber auch ein bisschen wehmütig gemacht.

    Auch auf die Gefahr hin, wie ein alter Mann zu klingen, für den früher alles besser war: Es ist ja nicht nur so, dass die meisten aktuellen Blockbuster die Versprechen, die sie etwa im Trailer machen, nicht einhalten – meistens versprechen sie nicht einmal mehr etwas. Oder wann habt ihr zuletzt im Kino gesessen und bei der Vorschau für einen neuen Multimillionen-Film aus Hollywood ungläubig und mit großen Augen auf die Leinwand gestarrt? Wann konntet ihr es wirklich kaum erwarten, endlich in voller Länge zu sehen, was euch sorgfältig ausgewählte Bilder und eine geschickte Spannungsdramaturgie gerade angeteasert haben?

    Bei mir ist das eine ganze Weile her, und eine Erinnerung an dieses Gefühl bietet Woche für Woche das Hackesche Höfe Kino in Berlin. Dort wird nämlich jeden Freitag ein Film-Klassiker von 35mm gezeigt – also in seiner analogen, je nach Zustand der Kopie farbechten Ursprungsform. Aktuell wird so die ursprüngliche „Mad Max“-Trilogie wiederaufgeführt.

    Zum einen bietet analoge Filmprojektion ohnehin ein ungleich haptischeres Filmerlebnis, nicht umsonst schwören Regisseure wie Christopher Nolan, Quentin Tarantino oder Paul Thomas Anderson auch im digitalen Zeitalter noch auf klassischen Zelluloid-Film. Zum anderen bekomme ich als knapp Zu-spät-Geborenener auf diese Weise die Möglichkeit, zahlreiche Filme, die ich erst auf Videokassette oder im Fernsehen entdeckte, zum ersten Mal im Kino zu erleben – und zwar so, wie sie schon zu ihrer Entstehungszeit über die große Leinwand flimmerten.

    Twister“, „Mission To Mars“ oder „Der Soldat James Ryan“ sind nur einige der Blockbuster, denen ich in diesem Rahmen wiederbegegnet bin – und schon die Original-Filmvorschauen, die im Vorfeld gezeigt werden, wecken nicht zuletzt durch ihre oftmals geschickte Komposition regelmäßig so viel mehr Vorfreude, als es die meisten heutigen Trailer mit ihrem immer gleichen Aufbau und ihren immer gleichen CGI-Effekten vermögen. Am allermeisten gefreut habe ich mich im Vorfeld allerdings auf einen Film, der für mich einmal der wichtigste der Welt war (und es seit einigen Monaten vielleicht wieder ist): „Titanic“ von James Cameron!

    Wie mit "Titanic" meine Filmleidenschaft begann

    Ich war 8 Jahre alt, als „Titanic“ die deutschen Kinos eroberte. Und auch, wenn ich natürlich viel zu jung war, um den Film zu sehen (eigentlich auch, um mich derart für ihn zu interessieren), entwickelte ich eine regelrechte Obsession für das Katastrophen-Melodram. Alle hatten ihn gesehen: mein Vater, meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester, Menschen aus der Nachbarschaft, sogar meine Oma.

    Ich bekam mit, wie plötzlich alle über diesen Film zu sprechen schienen (etwas, das ich weder davor noch danach in vergleichbarer Form erlebt hatte), musste aber natürlich zu Hause bleiben, als meine Eltern das Haus verließen, um „Titanic“ im Kino zu schauen. Ich bettelte stundenlang, dass sie mich doch bitte, bitte mitnehmen mögen, natürlich ohne Erfolg. Während meine Eltern wie Millionen von anderen Menschen also zu Zeug*innen der tragischen Liebe zwischen Jack (Leonardo DiCaprio) und Rose (Kate Winslet) und natürlich des spektakulären Untergangs des titelgebenden Luxusdampfers wurden, lag ich trotzig weinend im Bett, denn ich wollte diese Bilder nicht erst „in ein paar Jahren“ sehen, sondern JETZT SOFORT.

    Bis es dann wirklich so weit war, strich aber trotzdem einige Zeit ins Land, in der mich „Titanic“ nicht mehr losließ. Ich hörte den Soundtrack von James Horner, den sich meine Eltern als CD ins Regal gestellt hatten, rauf und runter, zeichnete das Kinoplakat ab und malte mir den Film in den strahlendsten Farben aus.

    Mit 10 Jahren war es schließlich so weit: Im Urlaub kauften sich meine Eltern James Camerons Milliarden-Hit auf VHS, und der Gedanke, dem Film so nah zu sein, ihn aber immer noch nicht sehen zu können, war für mich schlicht unaushaltbar. Ich tat also das Naheliegende: Unter Tränen nervte ich meinen Vater und meine Mutter während der Fahrt nach Hause so lange, bis sie – wenn auch erst am Ende der mehrstündigen Autoreise! – endlich klein bei gaben.

    Man könnte meinen, dass auf einen so langen Vorlauf, verbunden mit Erwartungen, die allmählich ins Unermessliche gewachsen waren, nur eine Enttäuschung folgen kann – doch das Gegenteil war der Fall: „Titanic“ überwältigte mich ganz genau so, wie ich es mir all die Jahre vorgestellt hatte – und vielleicht kann man sogar sagen, dass dieses Erlebnis die Initalzündung für meine bis heute andauernde Kinoleidenschaft gebildet hat, die mich schließlich zu FILMSTARTS führen und diesen Text schreiben lassen sollte.

    Kann mich "Titanic" noch einmal so überwältigen wie als Kind?

    Ich habe den Film in den darauffolgenden Jahren noch unzählige Male gesehen, danach aber lange nicht mehr. Meine Cinephilie wurde zu einem meiner wichtigsten Identitätsmarker, hat sich immer weiter verstärkt und mit jedem Eintritt in neue Filmwelten immer wieder gewandelt. Während ich als Kind vor der Frage stand, was es mit mir machen würde, mir „Titanic“ nicht nur vorzustellen, sondern ihn tatsächlich zu Gesicht zu bekommen, lautete die Frage im vergangenen Februar, vor dem 35mm-Screening in den Hackeschen Höfen, wie folgt: Wie würde dieser Film, der mir einmal so unglaublich wichtig gewesen war, heute auf mich wirken, mit einem ungleich größeren (nicht nur) filmischen Erfahrungsschatz und fast zwei Jahrzehnte, nachdem ich ihn zuletzt gesehen hatte?

    Die Antwort war ein Kinoerlebnis, an das so schnell wahrscheinlich nichts anschließen wird: „Titanic“ löste seine Versprechen ein zweites Mal ein – ich konnte mich an jede einzelne Szene erinnern, und trotzdem überrollte mich der Film wie bei meiner Erstbegegnung. Selbst die Gegenwarts-Rahmenhandlung um Brock Lovett (Bill Paxton), der mit seiner Crew zum Wrack des gesunkenen Schiffes taucht, um ein lange verschollenes Diamantencollier zu finden, erwies sich nicht als die potenzielle Schwäche, von der ich insgeheim ausgegangen war – vielmehr funktioniert sie als wunderschöner Kunstgriff, der sich viel Zeit dafür nimmt, uns an die mythische Dimension des Stoffes heranzuführen und die Vergangenheits-Erzählung dadurch umso faszinierender zu machen.

    Überhaupt: Zeit. Rund 190 Minuten dauert „Titanic“, und er braucht jede einzelne davon. Cameron hat im Grunde den letzten großen Hollywood-Monumentalfilm gedreht (Michael Bay hat es mit „Pearl Harbor“, den ich ebenfalls in den Hackeschen Höfen wiedergesehen habe, später zumindest noch einmal versucht), der seine Geschichte mit einer solchen Geduld und Sorgfalt ausbreitet, wie man es im hochbudgetierten Blockbuster-Kino seitdem vielleicht nie mehr gesehen hat – auch bei ihm selbst nicht. Zugleich ist „Titanic“ durchzogen von einem tiefen Glauben an seine eigenen Überwältigungsmechanismen und Affekte, sodass er sie sich nicht nur verdient, sondern jeder von ihnen auch tatsächlich verfängt.

    Jack und Rose, die bei untergehender Sonne am Bug der Titanic stehen, er hält sie fest, sie breitet die Arme aus und ruft „Ich fliege“, dazu James Horners schwelgerischer Score: Nur einer von vielen ikonischen Momenten, die in die Annalan der Popkultur eingegangen sind, die oft zitiert und noch öfter parodiert wurden – die ihre emotionale Schlagkraft aber auch fast drei Jahrzehnte später nicht verfehlen. Als würde die Liebe zum allerersten Mal auf die Leinwand gebannt, ohne jeden Funken von Abgeklärtheit, dafür voller Emphase und dem ständigen Willen zum größtmöglichen Bild, das sich herstellen lässt.

    Das Erleben des Films verbindet sich mit meinen persönlichen Erinnerungen, und einmal mehr ringt mir „Titanic“ mehr als nur eine Träne ab. Auch viele Tausend Filme später ist es das für mich vielleicht schönste Kinowerk der Welt. Und der Untergang, in dem sich praktische und digitale Effekte auf noch immer eindrucksvolle Weise ergänzen (wann kehrt Hollywood endlich dahin zurück?), ist ohnehin ein großes und perfekt komponiertes Spektakel.

    Als im Abspann Céline Dions „My Heart Will Go On“ erklingt, bleibt auch ein bisschen Trauer zurück: Wird sich jemals ein Regisseur wieder an ein solches Projekt wagen? Wird James Camerons Vermächtnis tatsächlich in „Avatar 5“ bestehen? Die Antworten würden mich wahrscheinlich nur ernüchtern – also zehre ich lieber von diesem Kinoabend, der mir endlich gegeben hat, was mir vor 26 Jahren verwehrt geblieben ist.

    Die Dreharbeiten zu „Titanic“ sind mittlerweile fast so mythenumwoben wie das zugrundeliegende Ereignis selbst. Warum eines Tages plötzlich das blanke Chaos ausbrach, erfahrt ihr im folgenden Artikel:

    Ein kotzender James Cameron und 80 Crew-Mitglieder unter Drogen: Der Tag, als am "Titanic"-Set das Chaos ausbrach

    Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.

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