Es fühlt sich komisch an, eine Produktion als Geheimtipp zu empfehlen, die sechs Oscars gewonnen hat – darunter die Trophäe für den besten Film. Aber wenn es einen Film gibt, bei dem man sich das trauen kann, dann ist es dieser hier: „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ von Kathryn Bigelow lockte 2009 gerade einmal 67.336 Menschen in die deutschen Kinos.
Und auch wenn spätere TV-Ausstrahlungen dieses Kriegsdramas eine größere Reichweite generierten, so verdiente er sich damit leider noch immer nicht den Status eines Mainstream-Hits. Daran muss sich etwas ändern: „The Hurt Locker“ läuft heute, am 25. Juni 2024, ab 22.05 Uhr bei Tele 5. Außerdem ist der Film beim Sky-Streamingdienst WOW im Abo enthalten!
Außerdem ist der Film als VOD bei Amazon Prime Video* verfügbar.
Warum ist „The Hurt Locker“ so unbekannt? Vielleicht liegt es am Thema – der Irakkrieg war Ende der 2000er prominent in den Nachrichten und wurde hierzulande mehrheitlich kritisiert, während die US-Bevölkerung anders dachte. Zur Erinnerung: Dokumentarfilmer Michael Moore wurde einst bei den Oscars für seine Kritik am Irakkrieg ausgebuht – eine heute undenkbare Situation, die sehr anschaulich den US-Patriotismus der 2000er-Jahre symbolisiert.
Hollywood-Filme über das Thema erweckten für Außenstehende daher oft den Anschein, das Sujet zu unkritisch behandeln. Doch es wäre vollkommen falsch, „The Hurt Locker“ als Produkt des Hurra-Militarismus zu betrachten!
Darum geht’s in "The Hurt Locker"
Mitten im Irakkrieg: Die Moral sinkt, denn der Krieg scheint endlos. Verschnaufpausen gibt es nicht, alle Mitglieder des US-Militärs wähnen sich unentwegt in Lebensgefahr. Die Elite-Einheit des US-amerikanischen Bombenräumkommandos geht jedoch ein besonderes Risiko ein – und wird eines Tages auf den Kopf gestellt. Ihr Vorgesetzter Matt Thompson (Guy Pearce) stirbt bei einer Entschärfung. Zwar wird mit Staff Sergeant William James (Jeremy Renner) schnell ein Nachfolger gefunden, jedoch bringt er die Ordnung in der Einheit völlig durcheinander.
Denn James ist nicht nur ein absoluter Adrenalinjunkie, sondern obendrein alles andere als ein Teamplayer. Daher haben Sergeant JT Sanborn (Anthony Mackie) und Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty) große Probleme damit, unter ihm zu handeln – ganz gleich, wie meisterlich er seinen Beruf beherrscht. Es entstehen ernsthafte Spannungen, die den Kriegsalltag erschweren und die Gruppe im Einsatz unnötig gefährden …
Bigelow kreiert gewissermaßen das Anti-"Top Gun"
Falls ihr zu jenen gehört, die diesen Film bislang ignoriert haben, weil ihnen das Thema Irakkrieg nicht zusagt: Springt über euren Schatten! Denn „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ sieht den Konflikt durchaus kritisch und hat darüber hinaus einen allgemeingültigen Schwerpunkt: Wie für Bigelow typisch, ist dieses Kriegsdrama eine Erörterung männlicher Psyche, gefiltert durch ihre weibliche, somit nicht unmittelbar betroffene Brille.
Bigelows Filme kritisieren regelmäßig maskuline Lebensentwürfe und fragile Egos, die von einem ungesunden Erwartungsdruck an ein vermeintlich „richtiges“ Auftreten als Mann angetrieben werden. Vor allem überkompensierte emotionale Unsicherheiten sind ein wiederkehrendes Element in ihrem Schaffen – so auch in „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“. Hier äußert sich dies insbesondere dadurch, wie sich Bigelow der Figur William James nähert.
"Nein, das könnt ihr nicht machen!": Darum weigerte sich Jeremy Renner, wieder bei "Mission: Impossible" mitzuspielenAuf dem Papier unterscheidet ihn nichts von eigenwilligen, riskant lebenden Militärhelden wie Tom Cruises Maverick in „Top Gun“ oder seinen zahlreichen Nachahmern im 80er- und 90er-Actionkino. In diesem Film dagegen werden James' Distanznahme gegenüber seinem Kollegium und sein unorthodoxes Handeln im Einsatz nicht glorifiziert, sondern dienen wiederholt als Triebfeder für Anspannungen. Konsequenterweise ist die Mit-Kollegen-oben-ohne-herumalbern-Szene in „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ emotional auch deutlich komplexer als das Volleyball-Musikvideo in „Top Gun“.
Bigelow lässt es allerdings nicht allein auf dem Konflikt- und Spannungselement beruhen: Statt James einfach als unsympathischen Protagonisten abzustempeln, rückt die Regisseurin zudem nah an seine verletzlichen Seiten und beleuchtet, weshalb er seinen Mäkeln zum Trotz unser Mitleid verdient hat. Sie fängt ein, wie er mit seinem Gehabe nicht nur seinem Umfeld, sondern auch seinem eigenen seelischen Wohl schadet. Die Regisseurin gibt somit Marvel-Star Jeremy Renner den Raum für eine der besten Perfomances in seiner Karriere.
Unter anderem mit gequälten Blicken und einem schroffen Lächeln, das stets kurz davor ist, zu einer Trauermiene zu verfallen, erweckt er das Porträt eines Mannes zum Leben, der mit mechanischer Sicherheit die Extremsituation des Bombenentschärfens meistert – und sonst kontinuierlich versagt. Er kann keine beruflichen Bindungen aufbauen, die Beziehung zu seiner (Ex-)Frau (gespielt von Evangeline Lilly) nicht aufrecht erhalten, und in heimatlicher Ruhe dreht er durch. Er benötigt die situative, existenzielle Angst – und er erkennt, welchen Teufelskreis diese Abhängigkeit nach sich zieht.
Dichte Spannung mit vier Marvel-Stars
Ein Aspekt, der heute zwangsweise anders wirkt als noch 2009, ist natürlich das Casting. Bigelow erläuterte damals, sie hätte absichtlich eher unbekannte Gesichter besetzt, um ein erhöhtes Maß an Unvorhersehbarkeit zu erreichen. Welch Ironie, dass inzwischen vier der Stars aus „The Hurt Locker“ prominente Rollen im größten Kinofranchise aller Zeiten, dem Marvel Cinematic Universe (MCU), ausfüllten.
Mittlerweile sind Renner und Anthony Mackie Weltstars, Evangeline Lilly hat ihren Ruhm mit der „Hobbit“-Trilogie und ebenfalls dank Marvel („Ant-Man“-Filme) weit über die „Lost“-Fanbase hinaus ausgebaut, und auch Guy Pearce erlebte nach „The Hurt Locker“ eine kleine Renaissance (mit einem Marvel-Abstecher in Form von „Iron Man 3“).
Es ist aus heutiger Sicht ungeheuerlich erfrischend, Renner und vor allem Mackie in einer größeren Pre-Marvel-Rolle zu sehen. Mackie wurde vor „The First Avenger – Winter Soldier“ oft nur in kleinen Parts besetzt, seit seinem Durchbruch orientieren sich seine Rollen oftmals an seinem Marvel-Ruf. In „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ dagegen kann er sich frei entfalten.
Noch mehr beeindruckt aber Bigelows inszenatorische Annäherung an den Irakkrieg: Sie verzichtet auf große Schussgefechte und hektische Überfälle, und zeigt ihn stattdessen als Aneinanderreihung ständiger, schwer zu erkennender und daher umso beklemmender wirkender Bedrohung. Das Paradebeispiel dafür sind die sich langsam entfaltenden, atmosphärisch dichten Entschärfungsszenen, in denen man die Luft mit einem Messer schneiden könnte.
Aber auch eine zentrale Szene, in der die Helden von einem Sniper beobachtet werden und gebannt warten müssen, dass er sich wieder verzieht, ist von erdrückender Spannung. Der prägnante, dreckige Look mit nervös vibrierenden HD-Kamera-Aufnahmen, die jedes Staubkorn auffangen, das ihnen entgegenkommt, rundet den Gesamteindruck des Films ab: Bigelow zeigt, wie jede noch so banale Kleinigkeit den Durchblick zerstören kann, wenn man unter ständigem Druck steht.
Dass Kriegsfilme die Augen öffnen können, belegt auch Clint Eastwood: Er hat seine Kinoliebe diesem Genre zu verdanken, wie ihr im folgenden Artikel nachlesen könnt...
Augenöffnendes Erlebnis: Dieser Kriegsfilm-Klassiker hat Clint Eastwoods Begeisterung fürs Kino entfachtDies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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