Fast fünfzehn Western hat Clint Eastwood in seiner Karriere als Schauspieler und Regisseur gedreht. Zu Weltruhm verhalf ihm ursprünglich auch genau dieses Genre, nachdem er hier als namenloser Pistolero in Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“, „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“ dafür gesorgt hat, den Armen, den Hilflosen und ein Stück weit auch sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen.
Mit „Erbarmungslos“, den ihr ab sofort bei WOW (ehemals Sky Ticket) streamen könnt, rechnet Clint Eastwood nicht nur mit seiner eigenen Vergangenheit als Revolverheld ab, sondern auch mit den romantisierten Mythen des Western an und für sich. Für uns zählt das vierfach oscarprämierte Meisterwerk zu den besten Western aller Zeiten und konnte im offiziellen FILMSTARTS-Ranking sogar Klassiker wie „Leichen pflastern seinen Weg“, „Nackte Gewalt“ oder auch „Django“ hinter sich lassen.
Darum geht es in "Erbarmungslos"
Im staubigen Kaff Big Whiskey wird die Prostituierte Delilah (Anna Levine) von zwei Männern verprügelt und mit einem Messer schwer im Gesicht verletzt. Sheriff Little Bill Daggett (Gene Hackman) denkt jedoch nicht daran, die beiden Cowboys dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Er verpflichtet sie nur, dem Saloonbesitzer Skinny (Anthony James) im Frühjahr fünf Ponys zu bringen, um den finanziellen Verlust auszugleichen, der wegen Delilahs entstelltem Gesicht für ihn entstanden ist.
Die anderen Prostituierten, allen voran Strawberry Alice (Frances Fisher), beschließen in ihrer Wut, eine Belohnung für denjenigen auszusetzen, der die beiden Cowboys mit dem Tode bestraft. Der junge Möchtegern-Haudegen Elroy Tate (Jaimz Woolvett) bekommt Wind von der Sache, traut sich aber nicht, gegen die beiden Männer allein anzutreten und beschließt, den Ex-Revolverhelden William Munny (Clint Eastwood) anzuheuern, der seit Jahren zurückgezogen auf einer kleinen Farm lebt. Da er das Geld gut gebrauchen könnte, macht er sich mit Elroy und seinem alten Freund Ned (Morgan Freeman) auf den Weg...
Clint Eastwoods ultimativer Western
Mit „Erbarmungslos“ zieht Clint Eastwood einen Schlussstrich unter jenes Genre, das ihn einst zum Star gemacht hat. Das Beeindruckende daran ist, dass sich Filme wie „Für eine Handvoll Dollar“, „Ein Fremder ohne Namen“, „Pale Rider“ oder „Der Texas“ gewissermaßen wie Prequels zu „Erbarmungslos“ lesen lassen. Eastwood geht es nicht darum, seine Western-Vergangenheit in den Dreck zu sehen, sondern er beweist für mich eine ungemein weise Einsicht, wenn er deutlich macht, dass Männer nur dann in der Zukunft bestehen können, wenn sie die Bereitschaft an den Tag legen, sich endlich zu ändern.
Eastwoods William Munny ist deswegen auch die Weiterentwicklung seiner vorherigen Revolverhelden. Ein Mörder, dessen Ruf ihm meilenweit vorauseilt, der früher aufgrund seiner absoluten Gnadenlosigkeit gefürchtet war, sich inzwischen aber seit mehr als elf Jahren zurückgezogen hat, um sich selbst weiszumachen, dass er ein neuer Mensch geworden ist. In Wahrheit aber konnte er sich beim Schießen nicht mehr konzentrieren, weil er die Schreie seiner Opfer immer und immer wieder in seinem Kopf gehört hat.
Als Western- und Eastwood-Fan erweist es sich als ungemein wohltuend zu sehen, wie „Erbarmungslos“ mit den Klischees und Konventionen des Genres aufräumt. Fast schon amüsant ist die Szene, in der sich Munny für sein neues Abenteuer vorbereitet, mit dem Colt allerdings keine einzige Blechbüchse trifft und sein Pferd kaum noch besteigen kann. Clint Eastwood stimmt hier nicht nur einen Abgesang auf den Western an, sondern dekonstruiert sich auch als Western-Ikone, indem er sich sehr menschlich und dadurch angreifbar und leidend zeigt.
"Erbarmungslos" geht unter die Haus
Wirklich grandios wird „Erbarmungslos“ für mich genau dann, wenn es um William Munnys Beziehung zum Töten geht. Obwohl dieser immer wieder beteuert, sich verändert zu haben, hat dieser Mann in seinem Leben zu viel gesehen, erlebt und (vor allem) getan, um sich noch wirklich verändern zu können. Der Ruf, der ihm anhaftet, ist nach wie vor fester Bestandteil seiner Identität – und genau das ist die Tragik von „Erbarmungslos“. Munny kann seiner Vergangenheit nicht entkommen, genau wie Eastwood für viele immer die Western-Ikone sein wird, von der er sich so oft distanzieren wollte.
Dass der so packende, reflektierte und von Traurigkeit durchdrungene „Erbarmungslos“ darüber hinaus formidabel inszeniert ist und prächtige Landschaftsaufnahmen bietet, versteht sich von selbst. Auch diese gewissermaßen kanonisierten Bildwelten werden von Eastwood hinterfragt und von ihrer zweifelhaften Romantik befreit. Hinter den Bergen wartet auf William Munny nämlich schon lange kein Sonnenaufgang mehr, sondern nur weitere Narben auf Körper und Seele. Man kann sich nicht selbst entkommen.
Aber nicht nur wenn es um Filme geht, kann Clint Eastwood ein ziemlich harter Knochen sein. Die erste Begegnung von Hugh Jackman mit Clint Eastwood ist ebenfalls alles andere als harmonisch ausgefallen. Mehr dazu hier:
"Du hältst die Schlange auf": So unangenehm war Hugh Jackmans erste Begegnung mit Clint EastwoodDies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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