Verleiher haben Übung darin, ein und denselben Film in verschiedenen Versionen zu veröffentlichen. Denn so mancher Film musste für die erwünschte FSK-Freigabe gekürzt werden, wird aber trotzdem auch als Uncut-Version angeboten. Bei vielen anderen Filmen wurde als Alternative zur Kinofassung ein Director's Cut nachgereicht.
Doch es ist eine absolute Ausnahme, wenn ein Film nicht bloß seine Laufzeit und seine Altersfreigabe ändert, sondern sogleich seine Zielgruppe und sein (Sub-)Genre: Der kaum bekannte Kannibalen-Schocker „The Wishing Forest“ wurde in Deutschland sogleich zweifach ins Heimkino gebracht! Einmal uncut mit FSK-Freigabe ab 18 Jahren als Horrorfilm namens „Quest For The Unicorn“ und einmal als das familientauglich beworbene FSK-12-Fantasy-Abenteuer „Das Geheimnis des Einhorns“!
Kannibalen, Einhörner und zwei FSK-Freigaben!
Die Low-Budget-Produktion „The Wishing Forest“ alias „Quest For The Unicorn“ dreht sich um die Witwe Brigid (Karin Brauns), die nur einen Weg kennt, um ihr Leben in die Erfolgsbahn zu lenken: Sie begibt sich in den gefürchteten Wald der Wünsche. Dieser wird zwar von einem Kannibalenstamm bevölkert, der einer barbarischen Göttin huldigt. Jedoch soll sich im Wald ein Einhorn befinden, das Wünsche erfüllt. Und so beginnt eine gefährliche Quest, während der Brigid es mit blutrünstigen Wilden, einem mächtigen Krieger und einem gerissenen Dieb zu tun bekommt...
Inszeniert wurde der 2018 produzierte Fantasy-Horror-Abenteuer-Mix von Jadzia & Leia Perez, die nie zuvor und seither auch nie wieder Regie geführt haben. Als Produktionsschmiede diente iDiC Entertainment, ein Studio, das sich vor allem durch die vielfach verrissene und in Deutschland stark gekürzte Slasher-Reihe „Playing With Dolls“ von Rene Perez einen (schlechten) Namen gemacht hat.
Kurzum: iDiC Entertainment hofft zumeist auf uninformierte Spontankäufe und Filmfans, die es besser wissen sollten, aber ihre Neugier nicht zügeln können. Trotzdem konnte selbst iDiC Entertainment wohl kaum ahnen, was das deutsche Label Great Movies mit „The Wishing Forest“ anstellen sollte: Es erstellte sogleich zwei Schnittfassungen des Films!
Einerseits wurde die unzensierte, etwa 70 Minuten lange und mit einer FSK-Freigabe ab 18 Jahre gesegnete Fassung als „Quest For The Unicorn“ veröffentlicht. Wenige Monate zuvor kam der Film aber bereits unter dem Titel „Das Geheimnis des Einhorns“ in den Handel – gekürzt auf nur noch 58 Minuten Laufzeit, mit FSK 12 und einem märchenhaften Einhorn-Titelbild, das im Supermarktregal zwischen der „Bibi & Tina“-Reihe, den „Wendy“-Filmen und ähnlichen Wohlfühlproduktionen nicht groß auffällt.
Bei zwölf Minuten Laufzeitverlust blieb natürlich bloß ein sprunghaft erzählter Rumpf von einem Film übrig, da nicht nur Szenen der Schere zum Opfer fielen, in denen die Heldin blutige Leichenteile findet oder ihr ein Kannibale ein noch blutendes, frisches Herz zum Verzehr anbietet. Auch Fluchtsequenzen, Teile des Vorspanns (!) und drastische Auseinandersetzungen zwischen Nebenfiguren mussten für die FSK-Freigabe ab zwölf Jahren weichen.
Was nach Blut und Gedärmen gierenden Horrorfans ein Graus ist, ist aber nicht automatisch für Familien ein Hochgenuss, wie etwa die Amazon-Kritiken zu „Das Geheimnis des Einhorns“ verraten. Schließlich ist Low-Budget-Exploitation noch immer Low-Budget-Exploitation, wenn man sie um ihre Spitzen beraubt. So warnt die Amazon-Spitzenbewertung: „Eines mal vorneweg: Das hier ist, auch wenn das Cover es suggerieren will, kein Kinderfilm! Zwei großbrüstige Schönheiten werden in Szene gesetzt, teilweise sogar oben ohne.“
Wenige Einträge darunter bereut ein Elternteil zurückliegende Entscheidungen: „Meine Tochter hat ihn zum Geburtstag geschenkt bekommen. Nach 10 Minuten haben wir ausgemacht! Zu Beginn läuft eine vollbusige Frau durch den Wald – es wirkt wie ein billiger selbstgedrehter Pornofilm. […] Das ist KEIN Kinderfilm ab 12!!! Das ist eine Mischung aus Horror- und Sexfilm.“
Wer nun spürt, wie sich diese morbide Neugier wieder zu Wort meldet, kann natürlich Geld und Lebenszeit verschwenden, um sich selbst von dieser Kuriosität überzeugen. Man kann aber auch das Konto schonen und zu den Kolleg*innen von Schnittberichte.com wechseln. Dort wird nämlich detailliert erklärt, wie aus der Quest durch den Kannibalenwald ein (Möchtegern-)Familienfilm wurde. Das ist nicht nur äußerst amüsant – man spart sich so auch Lebenszeit, die dann in bessere Filme investiert werden kann!
Echt schaurig: Dieser fast in Vergessenheit geratene Disney-Horrorfilm (!) erlebt gerade einen zweiten Frühling*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.