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    "Aber dass die Leute in Ohnmacht fallen, damit haben wir nicht gerechnet": Das große FILMSTARTS-Interview zum intensiven Gangster-Thriller "Schock"
    Christoph Petersen
    Christoph Petersen
    -Chefredakteur
    Schaut 800+ Filme im Jahr – immer auf der Suche nach diesen wahrhaftigen Momenten, in denen man dem Rätsel des Menschseins ein Stück näherkommt.

    Für den Februar haben wir den düsteren Köln-Noir-Thriller „Schock“ für unsere Initiative „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt – da gehört ein Interview mit den Regisseuren Daniel Rakete Siegel und Denis Moschitto natürlich zwingend dazu…

    Filmwelt

    Düster-atmosphärischen Genrekino aus Deutschland – das trauen sich noch immer viel zu wenige, und darum ist es auch besonders erfreulich, dass im Fall von „Schock“ (seit dieser Woche in den deutschen Kinos) etwas richtig Starkes dabei herausgekommen ist: Ursprünglich wollten die guten Kumpels Daniel Rakete Siegel („Im Knast“) und Denis Moschitto („Rheingold“) nur die Regie zusammen übernehmen – aber dann ist Moschitto kurzfristig doch noch zusätzlich als Hauptdarsteller eingesprungen. So verkörpert er nun den Arzt Bruno, der wegen einer Drogengeschichte seine Approbation verloren hat – und nun illegal in der Kölner Nacht unterwegs ist, um allen zu helfen, die sich nicht regulär an einen Arzt oder ein Krankenhaus wenden können oder wollen.

    Allerdings gerät er dabei zwischen die Fronten eines Bandenkrieges, an dem unter anderem auch sein Schwager Giuli (Fahri Yardım) und eine zwielichtige Anwältin (Anke Engelke) beteiligt sind. Je mehr er sich freizuschwimmen versucht, desto tiefer wird Bruno in die ganze Scheiße mit hineingezogen – bis er schließlich sogar einen Finger verliert und den herausragenden Knochen mit eher ungewöhnlichen Methoden verarztet…

    FILMSTARTS: „Schock“ ist ein verdammt düsterer, teilweise auch ganz schön harter Gangsterfilm aus Deutschland. Aus wie vielen Produzentenbüros wurden ihr mit der Idee herausgeschmissen, bevor es dann geklappt hat?

    Daniel Rakete Siegel: Bis auf ganz wenige Ausnahmen haben wir gutes Feedback bekommen. Alle haben gesagt, dass es schwierig wird – und das war ja auch so, aber rausgeschmissen wurden wir nicht, eigentlich hatten da alle Bock drauf.

    Denis Moschitto: Es war wirklich überraschend. Filmemachen ist immer schwer – und wir haben es ganz besonders schwer gehabt. Aber an vielen Stellen war es auch überraschend leicht – ich glaube, es war einfach die richtige Zeit. Wir haben ganz häufig gehört: „Endlich Genre!“ Auch unser Redakteur beim WDR hat gesagt, dass er schon immer mal Genre machen wollte. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sowieso, die haben sich alle wahnsinnig gefreut. Alle haben wir nicht überzeugt, aber dann die entscheidenden Personen eben schon.

    FILMSTARTS: Wie schwer war es, diesen ganz speziellen Look des Films zu finden?

    Daniel Rakete Siegel: Eigentlich gar nicht so schwierig. Wir haben dafür diverse Kameratests gemacht, vor allem weil wir bei den Drehs so wenig Licht hatten. Für die Tech-Nerds: Wir haben mit der extrem empfindlichen Sony Venice gedreht. So konnten wir mit extrem wenig künstlicher Beleuchtung auskommen, die wir sonst ja auch nachträglich irgendwie wieder hätten herausfiltern müssen. Zum Beispiel, wenn unsere Hauptfigur in der Apotheke Rambazamba macht – da war es so dunkel, dass man mit bloßem Auge nichts mehr erkennen konnte. Aber sobald alle ihre Kopflampen angemacht haben, standen da plötzlich 30 Leute im Raum, die man vorher gar nicht gesehen hat. Das schafft eine sehr eigene Stimmung. Im Grading ist dann in Bezug auf Look und Textur noch eine Menge passiert, aber da könnte ich euch jetzt einen halben Abend lang mit den Details volllabern. Das Wesentliche ist: Wir haben versucht, alles möglichst schon vor Ort so einzufangen, wie wir es haben wollen.

    FILMSTARTS: Mir geht es in Berlin-Filmen immer total auf den Sack, wenn eine Figur um eine Ecke fährt und plötzlich in einem ganz anderen Stadtteil herauskommt. Wenn ich jetzt in Köln statt Berlin wohnen würde: Ist „Schock“ einer dieser Filme – oder habt ihr schon drauf geachtet, dass die Stadt in sich schlüssig ist?

    Denis Moschitto: Hast du uns irgendwann mal belauscht, als wir darüber geredet haben? Das ist eine sehr schöne Frage, weil uns das auch wahnsinnig auf die Nerven geht. Wir haben schon im Drehbuch konkrete Straßennamen verwendet. Da stand dann nicht: „Bruno sitzt im Auto, seine Augenbrauen beben.“ Sondern: „Bruno fährt die Bochumer Straße entlang.“ Wenn er irgendwo einsteigt und irgendwo wieder aussteigt, dann sind wir die Strecken selbst abgefahren. Deshalb stimmt auch die Zeit, die er braucht, um dort anzukommen – zumindest zu 90 Prozent, würde ich sagen.

    Denis Moschitto ist ungeplant als Hauptdarsteller eingesprungen - und nun kann man sich keinen anderen mehr in der Rolle vorstellen. Filmwelt
    Denis Moschitto ist ungeplant als Hauptdarsteller eingesprungen - und nun kann man sich keinen anderen mehr in der Rolle vorstellen.

    FILMSTARTS: Freut mich, das zu hören. François Truffaut ist ja der Legende nach selbst mit der U-Bahn die Strecke von einem Drehort zum nächsten abgefahren, um dort dann die Uhren konkret einstellen zu können. Natürlich kriegt man das als Zuschauender gar nicht so offensichtlich mit – und doch glaube ich, dass diese Stimmigkeit unterbewusst eine ganz große Rolle spielt …

    Daniel Rakete Siegel: Das war uns halt auch enorm wichtig. Das labyrinthische Köln ist eben eine recht enge Stadt. Überall sind Einbahnstraßen – und wenn man einmal in die falsche Richtung unterwegs ist, muss man einmal durch die halbe Stadt fahren, um wieder in die andere Richtung zu kommen. Und dabei immer wieder über …

    Denis Moschitto: … den Rhein …

    Daniel Rakete Siegel: Genau! Alle Straßen führen über den Rhein und wieder zurück. Deshalb, glaube ich, ist Köln die richtige Stadt für den Film. Es ist diese Enge und dass man oft nicht genau weiß, wie groß die Räume sind, in denen Bruno sich bewegt. Es ist alles eng und unübersichtlich, labyrinthisch eben. […] Trotzdem ist es wahnsinnig schwer, in Köln zu drehen, weil alle die Schnauze voll haben – die Stadt, die Anwohner, eigentlich alle. Also kriegt man ziemlich viel Druck – und es ist alles wahnsinnig teuer.

    Denis Moschitto: Außerdem gibt es auch so ein paar ausgelatschte Motive. Wenn du einfach so nach Köln kommst und sagst, ich will hier drehen, dann kriegst du, wenn du Pech hast, erst mal die 33 Motive angeboten, wo schon 500 Tatorte gedreht wurden. Das zu vermeiden, ist gar nicht so easy. Es gibt da so eine Plattenbausiedlung, da wird einfach alles gedreht, weil das die einzige Siedlung ist, wo die Verantwortlichen sagen: „Ja, okay, ihr könnt hier drehen.“ Also wird da wirklich alles gedreht – und auch uns wurde die angeboten. Wir haben uns das angeguckt und waren nicht glücklich damit. Also haben wir einfach nicht nachgelassen, haben die Leute aufgefordert weiter zu suchen und hatten schließlich halt Glück.

    Von links nach rechts: FILMSTARTS-Redakteur Pascal Reis, Regisseur Daniel Rakete Siegel, Regisseur und Hauptdarsteller Denis Moschitto, FILMSTARTS-Chefredakteur Christoph Petersen. Webedia GmbH
    Von links nach rechts: FILMSTARTS-Redakteur Pascal Reis, Regisseur Daniel Rakete Siegel, Regisseur und Hauptdarsteller Denis Moschitto, FILMSTARTS-Chefredakteur Christoph Petersen.

    FILMSTARTS: Es gibt in „Schock“ die vielleicht unangenehmste Szene, die ich seit langer Zeit gesehen habe, wenn mit einer Präzisionsraspel der abgeschnittene Finger bearbeitet wird…

    Denis Moschitto: Damit bist du nicht alleine. Die Szene hat zum Teil heftige Reaktionen ausgelöst, aber nicht nur diese. Wir mussten unsere Premierenvorstellung auf dem Filmfest München schon nach zehn Minuten unterbrechen, weil eine Zuschauerin kollabiert ist. Als das dann noch einmal bei einem anderen Screening passiert ist, diesmal wegen der von dir angesprochenen Raspel-Szene, waren wir schon überrascht.

    Daniel Rakete Siegel: Natürlich wollten wir auch Grenzen ausloten, und "Schock" wird seinem Namen und dem Genre dahingehend auch gerecht. Aber dass Leute plötzlich in Ohnmacht fallen, damit haben wir nicht gerechnet. Das war auch nicht unsere Absicht.

    FILMSTARTS: So oder so fiel es mir wirklich schwer, da hinzuschauen. Was waren denn eure Vorbilder? Gab es Filme oder Regisseur*innen, an denen ihr euch orientiert habt?

    Denis Moschitto: Wir haben natürlich Filme geschaut und darüber gesprochen. Aber so wirklich Vorbilder hatten wir eigentlich nicht. Zuletzt kam oft der Vergleich mit „Drive“ von Nicolas Winding Refn auf.

    FILMSTARTS: Wir haben ihn ja in unserer Filmkritik eher mit der „Pusher“-Trilogie von Refn in Verbindung gebracht…

    Denis Moschitto: Das finde ich gut. Ich verstehe ja, dass man da irgendwie eine Parallele zu „Drive“ finden will – aber ich sehe die irgendwie nicht. Die „Pusher“-Trilogie mag ich sehr gerne – gerade den zweiten Teil. Es ist einer der besten Gangsterfilm, die es gibt. Wenn ich also irgendwohin geschielt habe, dann war es das. Aber auch die Safdie-Brüder haben sicherlich eine Rolle gespielt bei uns.

    FILMSTARTS: Wir haben „Schock“ ja für unsere Aktion „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt – und damit kommt jetzt eure Chance für schamloses Marketing: Warum haben wir uns mit dieser Wahl richtig entschieden?

    Denis Moschitto: Es ist natürlich immer schwer, das über den eigenen Film zu sagen – aber ich glaube, dass „Schock“ einzigartig ist! Er dürfte eigentlich gar nicht existieren, so wie er ist – und wenn man Genre liebt, aber die Hoffnung verloren hat, dass Gene aus Deutschland möglich ist, dann muss man sich diesen Film anschauen. Unsere Mission war genau das – die Leute zu überzeugen, dass ein deutscher Film doch geil ist!

    Daniel Rakete Siegel: Ich würde noch hinzufügen, dass sich der Film lohnt, weil man als Zuschauer*in gefordert wird. Man muss ein bisschen was machen, man muss ein bisschen was aushalten, man muss vielleicht mitdenken, man muss Andeutungen erkennen. Man muss sich dazu verhalten, ob Bruno sich noch im moralisch oder ethisch vertretbaren Rahmen bewegt. Man muss Bock haben, das darin erkennen zu wollen – und dann ist der Film etwas Besonderes für ein Publikum, das sich nicht nur berieseln lassen möchte.

    Das sehr launige Gespräch mit den „Schock“-Regisseuren hat insgesamt übrigens mehr als eine halbe Stunde gedauert – und wenn ihr wollt, könnt ihr es euch in unserem Podcast Leinwandliebe auch einfach in voller Länge anhören:

    Und wenn ihr es noch nicht bemerkt habt: Für uns ist „Schock“ eine absolute Empfehlung – und das definitiv nicht nur, weil man deutsches Genrekino ohnehin viel mehr unterstützen sollte. So lautet das Fazit unserer ausführlichen Kritik etwa: „Der Film erzählt auf konzentrierte Weise und mit stilvollem Gespür für gut entwickelte, eruptive Genre-Gewalt die Geschichte eines ehemaligen Arztes, der sich zu weit auf die Nachtseite traut.“

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