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    Schock
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Schock

    Die deutsche Antwort auf Nicolas Winding Refn

    Von Kamil Moll

    „Die Leute rufen mich an, und ich komme vorbei“: Zunächst wissen wir nichts über Bruno (Denis Moschitto), und das Wenige, das wir im Verlauf von „Schock“ über ihn erfahren werden, erschließt sich eher nur beiläufig und nebenbei. Vor geraumer Zeit verlor er wohl seine Approbation als Arzt. Da war so eine Geschichte, irgendwas mit Drogen, und nun verarztet Bruno eben schwarz und im verhüllenden Schutz der Nacht all jene, die, wenn sie krank werden, nicht in ein Krankenhaus gehen können: illegal in Deutschland Beschäftigte, Menschen ohne Krankenversicherung, auf die ein oder andere Weise Kriminelle und kriminell Gewordene. Er ist jemand, der sich aus allem heraushält und unbeteiligt bleibt, möglicherweise insgeheim davon träumt, wieder in seinem alten Beruf Fuß fassen zu können. Der sich für ein paar Schritte auf die Nachtseite begibt, im irrigen Glauben, genauso einfach wieder zurückzufinden.

    Der eine Schritt ist aber eben der eine zu viel: Vor einem Bordell vernimmt Bruno Schüsse, sieht jemanden herausrennen, hört aus dem Inneren eine stöhnende Stimme. Der Mann, der mit Schusswunde auf dem Boden liegt, ist Giuli (mit ausrasierter, fliehender Stirn und Schmerbauch kaum wiederzuerkennen: Fahri Yardim), Brunos Schwager, der Schulden eintreibt für einen italienischen Gangster. Bruno verbindet seine Wunde und gesteht Giuli, womit er sich selbst über Wasser hält. Das ist der erste Fehler. Durch eine ihm zahlungswillige Patienten zuspielende Anwältin (Anke Engelke) gerät Bruno zudem an einen leukämiekranken Mafioso, der eine in Deutschland nicht zugelassene Antikörpertherapie verlangt. Ein ehemaliger Kollege, ein Apotheker, der ihn unter der Hand mit Medikamenten versorgt, rät Bruno ab, sich auf dieses Geschäft einzulassen. Aber 50.000 Euro sind für Bruno viel Geld, könnten vielleicht einen Neuanfang bedeuten. Also willigt er ein. Das ist der zweite Fehler…

    Als Hauptdarsteller und Regisseur traut sich Denis Moschitto an dein dreckig-dunkles deutsches B-Movie: Gerne mehr davon! Filmwelt
    Als Hauptdarsteller und Regisseur traut sich Denis Moschitto an dein dreckig-dunkles deutsches B-Movie: Gerne mehr davon!

    Von Dominik Graf („Die Sieger“) bis Christoph Hochhäusler („Bis ans Ende der Nacht“) unternahmen in den letzten Jahrzehnten viele Autorenfilmer immer wieder den Versuch, ihre eigene Version eines genuin in deutschen Verhältnissen situierten Genre-Films umzusetzen. An der Kinokasse wurde es ihnen selten mit hohen Zuschauerzahlen gedankt. Selbst Til Schweiger, für lange Zeit einer der erfolgreichsten deutschen Filmemacher und Schauspieler überhaupt, ging zwischendurch mit Kriminalstoffen wie „Schutzengel“ und dem von Christian Alvart gedrehten „Tschiller: Off Duty“ kommerziell baden, weil sich ein an seine Komödienstoffe gewöhntes Publikum nicht auf einen solchen tonalen Wechsel einlassen wollte.

    Thriller und Kriminalgeschichten, so scheint es bis heute, finden eher im deutschen Fernsehen statt, zum Beispiel in langlebigen Reihen wie „Tatort“ und „Polizeiruf 110“, denn auf der großen Leinwand, wo es nicht viel Platz gibt für das Schmierige und Spekulative, das Abgedroschene und Exploitative. Umso erstaunlicher und erfreulicher ist es, dass sich Denis Moschitto für sein gemeinsam mit Daniel Rakete Siegel gedrehtes Regiedebüt an einen Neo-Noir wagte. „Schock“, so erzählte Moschitto es in einem Interview, sei aus seiner Liebe für Nicolas Winding Refns „Pusher“-Trilogie entstanden. Und tatsächlich gemahnt der druckvolle Low-Budget-Style des Films, die sich langsam, aber effektiv entladene Gewalt, an Refns Kopenhagener Triptychon über Drogendealer und andere Kleinkriminelle.

    Kaum wiederzuerkennen: Fahri Yardim ist auch als Produzent mit an „Schock“ beteiligt. Filmwelt
    Kaum wiederzuerkennen: Fahri Yardim ist auch als Produzent mit an „Schock“ beteiligt.

    Seine Stärken bezieht „Schock“ dabei insbesondere aus einer sehr konzentrierten Reduktion aufs Wesentliche. Die Figurenzeichnung wirkt wie hinschraffiert und verzichtet stilsicher auf unnötig erläuternde Backstorys. Auch Köln als Setting der Geschichte wird auf einige wenige, fahl ausgeleuchtete Orte und Räume verdichtet, eine fokussierte Atmosphäre aus Regen und kränklich leuchtenden Lichtröhren dominiert. In dieser kleinformatigen Beschränkung mag zwar kein großer, opulenter Kinowurf gelungen sein, keine epische Gangstergeschichte Kölner Provenienz. Aber den beiden Regisseuren glückte etwas, was vielleicht noch seltener und teurer geworden ist: ein kleines, so dunkel wie widerständig schimmerndes Genre-Juwel, das für alle glitzert, die 100 Minuten lang in die Dunkelheit einer deutsche Großstadt gucken wollen. Ein selbstbewusstes, stolzes B-Movie.

    Fazit: Weniger ist manchmal mehr. „Schock“ erzählt auf konzentrierte Weise und mit stilvollem Gespür für gut entwickelte, eruptive Genre-Gewalt die Geschichte eines ehemaligen Arztes, der sich zu weit auf die Nachtseite traut.

    PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten Vorurteil vom „lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Schock“ ist unsere Wahl für den Februar 2024.

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