Erfolgs-Regisseur Simon Verhoeven („Nightlife“) erzählt in „Girl You Know It’s True“ die unglaubliche, aber wahre Geschichte der Popsensation Milli Vanilli und ihrem Produzenten Frank Farian (Matthias Schweighöfer). Zu den größten Herausforderungen zählte dabei sicher, zwei passende Hauptdarsteller zu finden – denn die mussten zwar nicht singen können, aber doch verdammt gut tanzen und den Originalen auch noch möglichst ähnlich sehen. Bekommen haben die Rollen als Rob und Fab schließlich Tijan Njie, einem deutschen TV-Publikum bekannt aus „Alles was zählt“ und „Let’s Dance“, sowie Elan Ben Ali, der zum Zeitpunkt des Castings gerade erst die Schauspielschule in Frankreich abgeschlossen hatte.
Wir haben die beiden Shooting-Stars in einem Berliner Hotel zum ausführlichen Interview getroffen:
FILMSTARTS: Wie oft habt ihr in den letzten zwei Jahren das Musikvideo zu „Girl You Know It’s True“ gesehen?
Elan Ben Ali: Ich würde sagen, dass Tijan und ich die Zahl der Views bestimmt um zwei Millionen nach oben getrieben haben. Also wirklich sehr oft. Aber der Song ist auch heute noch frisch und wir lieben die Musik, es hat sich also zum Glück nie wie eine Verpflichtung angefühlt.
Tijan Njie: In meinen Spotify-Jahrescharts ist Milli Vanilli jedenfalls die klare Nummer eins. Ich habe in meiner Heimatstadt vor vielen Jahren als DJ gearbeitet – und immer wenn ich Milli Vanilli aufgelegt habe, sind die Leute total ausgerastet, und das gilt auch heute noch.
FILMSTARTS: Wie viel kanntet ihr von der ganzen Milli-Vanilli-Story, bevor ihr zum Projekt dazugestoßen seid?
Tijan Njie: Ich kannte die Songs und natürlich den großen Skandal. Aber wo genau die Jungs herkamen, was ihre Wurzeln sind, das wusste ich nicht und genau das hat mich deshalb auch so fasziniert.
Elan Ben Ali: Als ich mir das Musikvideo zu „Girl You Know It’s True“ zum ersten Mal angesehen habe, kamen mir der Song sowie der Look von Rob und Fab zwar sofort irgendwie bekannt vor. Aber ansonsten wusste ist gar nichts über Milli Vanilli, bevor wir mit der Arbeit am Film begonnen haben.
FILMSTARTS: Die Suche nach zwei passenden Hauptdarstellern war wahrscheinlich der wichtigste Schritt bei der Vorbereitung des Films. Wie genau lief der Casting-Prozess aus eurer Perspektive ab?
Tijan Njie: Es war eine lange Reise von uns. Wenn ich das jetzt alles erzähle, sitzen wir vermutlich noch morgen früh hier. In der ersten Runde wurde noch gar nicht erwähnt, um was für einen Film es sich eigentlich handelt. Ich sollte dafür ein Vorstellungsvideo, ein Tanz-Video und ein Gesangs-Video einschicken – und obwohl ich ja nicht wusste, dass es um Milli Vanilli geht, habe ich in der Vorstellung erzählt, dass ich zwar nicht der beste Sänger bin, aber dafür sehr gut so tun kann, als ob ich ein guter Sänger wäre. Das war ein lustiger Zufall. Die Vorsprechen haben sich insgesamt über fast ein halbes Jahr hingezogen – und am Ende hatte Simon Verhoeven offenbar das Gefühl, dass wir gut genug im Lip Sync sind. (lacht)
Elan Ben Ali: Ich hatte gerade die Schauspielschule abgeschlossen, als ich für das Casting angefragt wurde. Allerdings hieß es, dass ich in Englisch drehen müsste – und mein Englisch war zu dem Zeitpunkt noch echt schlecht. Aber offenbar war der französische Akzent sogar gewünscht – und so wurde ich in die nächste Runde eingeladen. Das dritte Casting fand dann in Deutschland statt – mit zwei Kandidaten für Fab und drei Kandidaten für Rob. Sie wollten einfach sehen, wie die Chemie zwischen uns ist. Ich war jedenfalls immer noch sehr nervös wegen meiner Aussprache – und dann war Tijan zufällig der erste, den ich auf der Terrasse getroffen habe. Wir haben uns unterhalten und eine Verbindung aufgebaut – und dann mussten wir kurz darauf lustigerweise genau die Szene spielen, bei der sich Rob und Fab das erste Mal hinter den Kulissen einer Fernsehshow kennenlernen.
FILMSTARTS: Milli Vanilli hat zwei Jahre lang nur so getan, als würden sie singen – und trotzdem ist bei all diesen Konzerten niemandem etwas aufgefallen. Wie schwer war es denn, derart überzeugend nicht zu singen?
Tijan Njie: Immer wenn wir den Song „Blame It On The Rain“ performt haben, war es für mich ultraschwer, nicht einfach mitzusingen – denn der Gesang hat mich persönlich Rob noch nähergebracht. Deshalb ist es auch immer wieder passiert, dass ich mich plötzlich selbst laut singen gehört habe. Aber natürlich war es meine Aufgabe, das Publikum davon zu überzeugen, dass ich nur meine Lippen bewege – und das ist tatsächlich alles andere als leicht.
Elan Ben Ali: Ich kann bestätigen, dass er diesen Song wirklich über alles liebt.
FILMSTARTS: Gerade für eine deutsche Produktion sind speziell die Konzertszenen wirklich groß angelegt – selbst in vielen teuren Hollywoodfilmen sehen die Zuschauermassen längst nicht so überzeugend aus wie in „Girl You Know It’s True“. Wie viele Menschen waren denn beim Dreh dieser Szenen tatsächlich anwesend?
Tijan Njie: Es waren so viele! Bestimmt ein paar hundert. Für uns hat sich das wirklich angefühlt, als würden wir ein reales Konzert geben. Die Kameras hat man da sofort vergessen – stattdessen haben wir für die Milli-Vanilli-Fans performt und uns völlig in dem Publikum verloren.
FILMSTARTS: Wo wir schon darüber sprechen, sich in etwas zu verlieren. Tijan, ich bin mir sicher, dass sich das gesamte Publikum von „Girl You Know It’s True“ in Robs strahlend-grünen Augen verlieren wird. Wie war es, als du dich das erste Mal so gesehen hast – und hast du darüber nachgedacht, die Kontaktlinsen einfach zu behalten?
Tijan Njie: Das war gerade am Anfang ziemlich hart. Ich trage keine Brille und habe auch noch nie solche Linsen benutzt. Deshalb mussten sich meine Augen erst einmal dran gewöhnen, dass da plötzlich etwas ist. Aber irgendwann war es für mich einfach der logische letzte Schritt, um mich endgültig in Rob zu verwandeln – schließlich ist es fast so, als würde ich durch seine Augen sehen. (lacht)
FILMSTARTS: Die Outfits von Rob und Fab sind ja nicht nur sehr, sehr auffällig – sondern auch sehr, sehr eng. Hat sich das nicht auch ein bisschen merkwürdig angefühlt, damit auf der Bühne zu performen?
Elan Ben Ali: Meine erste Reaktion war: „Seid ihr euch sicher, dass man damit überhaupt tanzen kann?“ Aber irgendwann hat man das alles vergessen – und sich auf der Bühne einfach wie ein echter Superstar gefühlt, auch weil die Achtziger in Sachen Mode und Musik genau meine Zeit sind.
FILMSTARTS: Der Applaus und die Schreie des Publikums haben auf Milli Vanilli damals sicherlich wie eine Droge gewirkt. Konntet ihr das zumindest im Ansatz nachvollziehen, als ihr die Konzertszenen vor einigen hundert Zuschauenden gedreht habt?
Elan Ben Ali: In dem Moment habe ich überhaupt erst verstanden, was das Publikum für Rob und Fab bedeutet haben muss. Es hat sich eher angefühlt wie ein Konzert als ein Filmdreh. Immer wenn jemand „Cut“ gerufen hat, wollten wir sofort weiter performen – so kraftvoll war es. Als ich jünger war, wollte ich mal Rapper werden, habe mich dann aber zum Glück dagegen entschieden – und trotzdem liebe ich es, dort auf der Bühne zu stehen und von den Leuten angefeuert zu werden.
Tijan Njie: Es gab einen Punkt, da hatten wir schon mehr als sechs oder sieben Stunden getanzt, als Simon Verhoeven uns fragte, ob wir wirklich noch einen weiteren Take durchhalten würden. Aber das Publikum hat uns einfach so viel Energie gegeben. Immer wenn wir auf die Bühne kamen, haben sie sofort mit dem Kreischen und Jubeln angefangen, da war so viel Liebe im Saal.
Das macht mächtig Laune – hat aber auch eine tragische Seite
FILMSTARTS: „Girl You Know It’s True“ ist ein verdammt unterhaltsamer Film, hat aber natürlich auch eine tragische Seite. Gibt es für euch eine Lehre, die man aus der ganzen Milli-Vanilli-Story ziehen kann?
Elan Ben Ali: Ich würde sagen, da gibt es sogar eine ganze Menge. Spannend ist zum Beispiel dieses ganz bekannte Meme, dass es inzwischen von Rob und Fab gibt: „Milli Vanilli watching people get famous for lip syncing on TikTok.“ Und da ist ja was Wahres dran: Jeder will berühmt werden, auch wenn er etwas nicht kann – nur ist das heute in den Sozialen Medien total normal und von jedem akzeptiert, während es damals noch für einen riesigen Skandal gesorgt hat.
FILMSTARTS: Wir haben „Girl You Know It’s True“ ja für unsere Reihe „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt. Warum haben wir uns richtig entschieden?
Tijan Njie: Wir bringen eine Zeit zurück, die laut, schrill und positiv grenzenlos war. Da kann man wunderbar drin schwelgen. Zugleich erzählen wir von der tiefen Freundschaft zwischen Rob und Fab – und auch wenn diese tragisch endet, gibt es keine klaren Antworten, wie das alles nun genau zu bewerten wäre, stattdessen kann wirklich jeder seine ganz eigene Sicht auf die Dinge entwickeln, und das macht’s halt noch mal ganz besonders spannend.
„Girl You Know It’s True“ läuft aktuell in den deutschen Kinos.
PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Girl You Know It’s True“ ist unsere Wahl für den Dezember 2023.