Noch während er an „Die Eiskönigin 2“ gearbeitet hat, wurde Oscargewinner Chris Buck mit der Aufgabe betraut, einen Animations-Blockbuster ganz konkret zur Feier von Disney100 zu entwickeln. Einige Jahre später startet nun „Wish“ von Chris Buck und Fawn Veerasunthorn in den deutschen Kinos:
Im magischen Königreich Rosas müssen alle Bewohner*innen ihren größten Wunsch an den König Magnifico (Stimme im Original: Chris Pine) abgeben, der diese sicher verwahrt – und regelmäßig einen davon im Rahmen einer großen Zeremonie erfüllt. Aber ohne Wünsche durchs Leben zu gehen, ist zugleich auch eine ziemlich freudlose Angelegenheit - zumindest bis die 17-jährige Asha (Ariana DeBose) einen vom Himmel gefallenen Stern entdeckt, der die Fähigkeit besitzt, den Menschen ihre Wünsche zurückzugeben…
FILMSTARTS: Zu Beginn stand der Plan, einen Jubiläums-Film zum 100. Geburtstag von Disney zu machen. Wie war es, eine solche Aufgabe auf den Tisch zu bekommen? War das nicht ein unfassbarer Druck?
Chris Buck: Wir wussten zunächst nur, dass wir eine originale Geschichte mit neuen Charakteren und neuer Musik erzählen wollten. Wir haben dann jeweils ein Bild aus jedem unserer Langfilme an die Wand gepinnt – so hatten wir 100 Jahre Disney-Geschichte direkt vor uns. Es gab da all diese verschiedenen Farben und Designs, aber eine Konstante ist uns besonders aufgefallen – immer wieder schauen Figuren zu den Sternen und wünschen sich etwas. Da haben wir die Anwesenheit von Walt Disney gespürt, der uns ins Ohr flüstert: „Es ist das Wünschen! Es muss um das Wünschen gehen!“
FILMSTARTS: Darüber hinaus gibt es EINE MENGE Easter Eggs im Film, mit denen ihr auf die Filme der vergangenen 100 Jahre verweist. Das erste Mal schaut man „Wish“ natürlich wegen der Story und den Emotionen. Aber wie oft müsste ein echter Disney-Fan sich den Film wohl ansehen, bis er alle Anspielungen entdeckt hat?
Chris Buck: Wir haben erst einmal sichergestellt, dass die Story auf einem soliden Fundament und für sich steht. Das war eine Menge Arbeit – und erst dann kam der Spaß, all diese Verbeugungen vor unserer Geschichte hinzuzufügen. Wir haben eine Liste – es sind mehr als 100 Anspielungen auf die Disney-Historie versteckt. Manche sind offensichtlicher als andere. Bei einigen werden die Fans ganz schön suchen müssen. Ein Easter Egg wurde extra für mich eingebaut – aber sie mussten es mir zeigen, sonst hätte ich es wahrscheinlich auch nicht entdeckt: Ich war der Animation Supervisor für die Figur von Großmutter Weide in „Pocahontas“ – und nun ist sie in einer der Waldszenen im Hintergrund zu sehen. Es ist eine Herausforderung, sie zu finden – aber sie ist da!
FILMSTARTS: Wenn man Zeit hat, sich drei Disney-Klassiker als Vorbereitung auf den Kinobesuch von „Wish“ anzusehen – welche sollten das sein?
Fawn Veerasunthorn: Es ist keine Voraussetzung, sich vorab Disney-Filme anzusehen. Ich denke, „Wish“ steht auf eigenen Beinen – und wenn man in letzter Zeit keine Disney-Filme gesehen hat, dann bringt er hoffentlich die Magie und die Freude an diesen Filmen zurück.
FILMSTARTS: Könnt ihr ein wenig über eure Vision für die Ästhetik des Films sprechen? „Wish“ hat schließlich einen sehr speziellen Look…
Fawn Veerasunthorn: Es sieht einfach wunderschön auf der großen Leinwand aus, man fühlt regelrecht die Textur der Papierseiten und Wasserfarben. Wir wollten die Geschichte des Studios ehren, aber im selben Moment auch die Vorteile moderner Technologien für uns nutzen. Also haben wir uns auf der einen Seite vom Märchenbuch-Look von „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ und „Pinocchio“ inspirieren lassen. Aber zugleich nutzen wir die CG-Techniken, um das Publikum regelrecht in die Bilder eintauchen zu lassen. Hoffentlich empfindet man etwas Vertrautes und Wohliges, während es sich im selben Moment auch frisch und neu anfühlt.
FILMSTARTS: Mir scheint es, als würde die moderne Technologie vor allem danach streben, fotorealistische Animationen zu ermöglichen. Ist es also womöglich viel schwieriger, Filme wie „Wish“ zu animieren, wo es eben nicht um „perfekt“ ausgeleuchtete Szenerien, sondern um einen ganz eigenen künstlerischen Ansatz, nämlich das Nachempfinden der Atmosphäre klassischer Märchenbücher geht?
Chris Buck: Ja. Von sich aus will der Computer Dinge so realistisch wie möglich machen. Aber über die Jahre haben wir herausgefunden, wie wir die Technologie trotzdem so gut es geht einsetzen können, um unserer künstlerischen Vision zu dienen – und dann fühlen sich all die neuen technischen Möglichkeiten plötzlich auch wieder frisch und aufregend an.
FILMSTARTS: „Wish“ kommt nicht einfach nur in Cinemascope, sondern in einem sogar noch breiteren Bildformat heraus. Ist das ein bewusstes Statement fürs Kino? Schließlich wird dieses besondere Format vor allem auf der großen Leinwand noch viel stärker zur Geltung kommen als dann ein paar Monate später auf Disney+ …
Chris Buck: Viele von uns haben während der Pandemie von zuhause aus gearbeitet. Wir haben also viele Dinge nur auf Computerbildschirmen geschaut. Erst nach unserer Rückkehr ins Studio konnten wir uns unsere Arbeit plötzlich auf der großen Leinwand betrachten – uns so kam die Idee: „Okay, lasst uns das Widescreen-Format wirklich ausreizen!“ Es ist ein Format, das wir seit „Dornröschen und der Prinz“ aus dem Jahr 1959 nicht mehr verwendet haben.
Fawn Veerasunthorn: Ja, das 2.55:1-Format ist wirklich extrem breit – aber gerade das hat uns noch mal besonders herausgefordert, uns über jedes einzelne Bild des Films Gedanken zu machen. Egal wo man den Film stoppt, es sollte immer wie ein Gemälde aussehen.
FILMSTARTS: Während ihr beim Bildformat voll aufgedreht habt, gab es ein Element, bei dem ihr genau den entgegengesetzten Weg gegangen seid. Euer Produzent Peter Del Vecho hat mir nämlich gerade schon im Gespräch verraten, dass der Stern zu Beginn des Prozesses noch die Fähigkeit besaß, sich in alle möglichen Dinge zu verwandeln…
Chris Buck: Ja, das war eine Reise. Aber als wir dann bei dieser simplen Version des Sterns angekommen waren, haben wir zugleich realisiert, dass sie eine weitere Verbeugung vor einem wichtigen Teil unserer Geschichte ist – nämlich dem hüpfenden Ball, mit dem jeder Animationskünstler zu Beginn seiner Karriere lernt, wie das mit dem Zusammendrücken und Auseinanderziehen funktioniert. Und dann hat unser Charakterdesigner ihm eine herzförmige Maske rund um die Augen und den Mund gegeben – und das erinnert an Mickey Mouse. Und der letzte Schritt war, ihm seine Stimme zu nehmen – und ihn nur mit Pantomime kommunizieren zu lassen. So ist Stern für mich auch ein Ausdruck der Magie unserer Animatoren – man erkennt das Talent eines wirklich begabten Animators, wenn er einem Charakter wie Stern auch ohne Stimme all diese Emotionen verleihen kann.
FILMSTARTS: Ich habe in den vergangenen 20 Jahren eine Menge Disney-Animator*innen interviewt – und dabei immer wieder ähnliche Geschichten gehört, wie die des legendären deutschen Disney-Zeichners Andreas Deja, der schon als kleiner Junge einen Brief mit seinen Zeichnungen an Disney geschickt hat. Wie ist es denn, für eine Firma zu arbeiten, von der die meisten Angestellten ganz einfach auch selbst seit ihrer Kindheit Fans sind?
Chris Buck: Und alle vereint eine Liebe für Disney – und das ist auch der Grund, warum so viele unbedingt an „Wish“ mitarbeiten wollten. Es ist eben auch ein Liebesbrief an Walt Disney und all die Animationskünstler, die vor uns gekommen sind…
„Wish“ läuft ab dem 30. November 2023 in den deutschen Kinos!
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