Die Walt Disney Animation Studios werden am heutigen Montag 100 Jahre alt! Zur Feier des Jubiläums finden – nach einem spektakulären 90-sekündigen Super-Bowl-Spot als Startschuss – noch das ganze Jahr hindurch unter dem Motto Disney100 die verschiedensten Events statt.
Aus diesem Anlass haben wir uns in Berlin mit Clark Spencer getroffen, der in seinen 30 Jahren bei Disney nicht nur zwei Oscars (für „Zoomania“ und „Encanto“) gewonnen hat, sondern seit August 2019 auch noch den Posten als Präsident der Walt Disney Animation Studios innehat.
Aber bevor wir mit ihm über die vergangenen (und kommenden) 100 Jahren im Animations-Geschäft kommen, müssen wir dann doch erst noch mal über Bruno sprechen, selbst wenn der Titel des unlängst zum erfolgreichsten Disney-Song aller Zeiten avancierten „We Don't Talk About Bruno“ eigentlich davon abrät…
FILMSTARTS: Stell dir mal folgende Situation vor: Zwei Wochen vor dem Kinostart von „Encanto“ kommt ein Analyst zu dir und prognostiziert, dass „Nur kein Wort über Bruno“ sogar noch erfolgreicher wird als „Let It Go“. Was hättest du da gemacht? Ihn auf der Stelle gefeuert?
Clark Spencer (lacht): Man kann so etwas nie wirklich vorhersagen. Als Lin-Manuel Miranda uns das Demo gab, hatten wir schon direkt das Gefühl, es mit einem phänomenalen Song zu tun zu haben. Aber selbst als das Publikum bei einer Preview „Nur kein Wort über Bruno“ zu seinem favorisierten Song gewählt hat, wären wir nie auf die Idee gekommen, dass er dermaßen einschlagen könnte. Wenn man bedenkt, was für einen kulturellen Fußabdruck „Let It Go“ hinterlassen hat und was der Song auch für Disney Animation als Company bedeutet, dann ist der Erfolg von „Nur kein Wort über Bruno“ schon ziemlich unglaublich.
FILMSTARTS: War das der überraschendste Erfolg deiner Karriere?
Clark Spencer: Es war auf jeden Fall sehr überraschend. Man kann sich ja auch nicht hinsetzen und sagen, wir machen jetzt das nächste „Let It Go“, das ist eine unmögliche Aufgabe. Zumal „Nur kein Wort über Bruno“ auch noch ein Ensemblesong ist – und trotzdem hat er vor zwei Wochen einen Grammy gewonnen. Duos gewinnen Grammys, Bands gewinnen Grammys, Solokünstler gewinnen Grammys – aber Ensembles gewinnen eigentlich nie etwas. Das spricht ebenfalls dafür, was für eine unglaubliche Melodie uns Lin-Manuel Miranda da geliefert hat.
FILMSTARTS: Es gibt einige Studios, die gerade 100 Jahre alt werden. Aber Disney scheint das Ganze mit Disney100 noch mal auf einen ganz anderen Level zu heben – angefangen mit einem eigenen Jubiläums-Spot beim Super Bowl …
Clark Spencer: Nicht viele Firmen schaffen es, 100 Jahre alt zu werden. Deshalb ist es nicht einfach ein unglaublicher Meilenstein für uns. Es ist damit auch an der Zeit für die Walt Disney Animation Studios, sich vor allem bei zwei Gruppen zu bedanken: den Künstlern, die all diese Geschichten, Welten und Figuren kreiert haben, aber auch bei den Fans, die uns erlaubt haben, ein Teil ihres Lebens zu sein, die ins Kino gekommen sind und sich – ebenso wie wir – in die Charaktere verliebt haben.
FILMSTARTS: Aber ein Super-Bowl-Spot ist ja trotzdem noch mal eine ganz andere Hausnummer (und dazu auch noch verdammt teuer). Wie hast du das erlebt?
Clark Spencer: Sie haben uns den Spot vielleicht vier oder fünf Tage vor der Ausstrahlung gezeigt – und es war schon sehr emotional. Wenn man jeden Tag zur Arbeit geht, dann macht man in der Regel nicht diesen Schritt zurück, um darüber nachzudenken, was dieser Moment eigentlich bedeutet. Aber wenn man dann den Spot schaut, mit all diesen von Walt Disney Animation kreierten Charakteren und den Fans in den Freizeitparks, dann berührt einen das. Ich selbst war mit zehn Jahren zum ersten Mal im Disney Land – und zwar, nachdem wir zuvor ein ganzes Jahr lang darüber gesprochen haben. Das hat Eindruck hinterlassen – ich erinnere mich daran, als sei es gestern gewesen. Wen ich nun die Kids im Spot sehe, dann weiß ich deshalb, was es bedeutet – und nun auch selbst ein Teil davon zu sein, ist schon ziemlich großartig.
FILMSTARTS: Gibt es etwas, von dem du dir gewünscht hättest, dass es auch im Spot vorkommt?
Clark Spencer: Natürlich könnte jeder auf etwas zeigen, von dem er sich persönlich wünscht, dass es drin gewesen wäre. Aber dass der Spot ausgerechnet mit „Open Your Eyes“ aus „Encanto“ startet, hat mich schon sehr berührt. Und dann endet er auch noch mit „Rapunzel – Neu verföhnt“ – ebenfalls ein Film, der mir persönlich viel bedeutet, weil er speziell musikalisch eine neue Renaissance von Walt Disney Animation eingeläutet und überhaupt erst Filme wie „Die Eiskönigin“, „Vaiana“ und „Encanto“ möglich gemacht hat. Also schon aus ganz egoistischen Gründen war ich sehr erfreut über die Auswahl.
FILMSTARTS: In den vergangenen 100 Jahren gab es viele kleine und große Veränderungen im Animations-Sektor – aber wohl keine hat so einen Einfluss gehabt wie die Einführung der Computer-Animation. War es das jetzt – oder wird es in den kommenden 100 Jahren noch einmal so eine bahnbrechende Neuerung geben, die wir uns heute nur vielleicht noch gar nicht vorstellen können?
Clark Spencer: Für mich ist der Kern der Animation das Geschichtenerzählen – und daran hat auch die Computeranimation nichts geändert. Technologie ist ein Teil unserer Arbeit – und Walt Disney war schon immer ganz vorne mit dabei, wenn es um Innovationen geht. Natürlich pushen wir da auch immer weiter, um das Publikum zu überraschen und um Storys erzählen zu können, die so zuvor nicht möglich gewesen wären. Die visuellen Limitierungen werden garantiert immer weniger. Aber so furchterregend es auch scheint, nach 100 Jahren voller Innovationen noch einmal 100 Jahre lang Animationsfilme machen zu wollen – am Ende geht es doch nur darum, starke Geschichten zu erzählen.
FILMSTARTS: Wie sieht es denn mit Künstlicher Intelligenz im Animations-Sektor aus – wie intensiv setzt ihr euch damit aktuell auseinander?
Clark Spencer: Jeder spricht momentan darüber und versucht herauszufinden, was es bedeutet. Wo ist der Mehrwert und wo sind die potentiellen Probleme. Wir glauben allerdings daran, dass die handgemachte Natur unserer Arbeit extrem wichtig ist. Es ist eine Fehleinschätzung, dass die Künstler seit dem Wechsel zu Computeranimationen eine kleinere Rolle spielen – der Storyboard Artist zeichnet noch immer jedes Panel, der Visual Animation Artist malt noch immer jedes Bild und die Animatoren animieren immer noch jeden Charakter in 24 Bildern pro Sekunde. Wenn es zu perfekt wird und zu realistisch aussieht, dann gibt es auch keinen Grund mehr, es überhaupt als Animations-Projekt umzusetzen. Bei dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz geht es also nicht einfach darum, wie wir uns das Leben leichter machen können, sondern vor allem darum, wie wir die handgemachte Natur des Produkts trotzdem weiterhin sicherstellen können.
FILMSTARTS: Disney100 läuft noch das ganze restliche Jahr hindurch weiter. Was sind die Events, auf die du dich persönlich am meisten freust?
Clark Spencer: Für uns kommt das größte Event eindeutig im November mit unserem neuen Film „Wish“. Ein klassischer Disney-Weihnachtsfilm mit einer großartigen Welt und unglaublicher Musik. Aber vor allem weggeblasen hat mich der visuelle Stil – er erinnert an den Wasserfarben-Look, wie man ihn von vielen Disney-Klassikern kennt, aber mit einem modernen Touch, da sich die Kamera dank CGI viel freier bewegen kann. Zudem geht es in der Story um das Wünschen – und was würde besser passen zur Zelebration eines 100-jährigen Disney-Jubiläums…
FILMSTARTS: Ist es Zufall, dass jetzt ein so passender Film genau in diesem Jahr herauskommt? Oder habt ihr euch schon vor fünf Jahren zusammengesetzt und überlegt, was für einen Film ihr für den 100. Geburtstag braucht?
Clark Spencer: Es ist ironisch, dass du ausgerechnet fünf Jahre sagst. Es war nämlich tatsächlich im Jahr 2018, als Jennifer Lee und Chris Buck nach der Fertigstellung von „Die Eiskönigin 2“ angefangen haben darüber nachzudenken, was für eine Story zum 100-jährigen Jubiläum Sinn ergeben würde. Es war keine von Firmenseite zugewiesene Aufgabe, sie haben einfach gemeinsam gebrainstormt – und dann kam „Wish“ dabei heraus. Der Film fängt die 100 Jahre wunderschön ein, ohne dass es sich anfühlt, als würden wir in der Vergangenheit festhängen, es ist trotzdem eine zeitgemäße Originalstory. Es gibt diese Momente bei einem Film, wo man es einfach fühlt – und man fühlt es bei „Wish“…
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