Ob in Jim Hensons verspielt-finsterem „Die Reise ins Labyrinth“, im Disney-Zeichentrickfilm „Alice im Wunderland“ oder im frostigen Finale des Stanley-Kubrick-Schockers „Shining“: Die Filmgeschichte umfasst einige unvergessliche Irrgärten. Das Labyrinth aus „Dave Made A Maze“ mag längst nicht den Popularitätsgrad der genannten Beispiele genießen. Doch seit Jahren beweist sich die fantasievolle Horror-Persiflage als Geheimtipp mit großem Kultpotential, der unermüdlich seine Fangemeinde ausbaut.
Aufgrund seiner Verschrobenheit mag seine Zielgruppe nicht allzu groß sein, dafür ist es ein „Wenn man ihn mag, liebt man ihn!“-Fall. Und momentan kann man kostenlos herausfinden, ob man zu dieser Gruppe zählt: Das im Bastel-Look präsentierte Fantasy-Kleinod „Dave Made A Maze“ ist aktuell kostenlos bei Amazon Freeve abrufbar.
Tipp für alle Filmfans, die eine Sammelleidenschaft hegen und/oder die Werbeunterbrechungen bei Freevee umgehen möchten: „Dave Made A Maze“ erschien als Blu-ray-Edition* in stilechter Pappverpackung mit lesenswertem Booklet.
"Dave Made A Maze": Horror-Konventionen im Pappkarton
Dave (Nick Thune) ist ein Künstler, der sich mit seinen Selbstzweifeln im Weg steht: Nichts, was er anfängt, bringt er zu Ende. Daher liegt er selbst im Alter von 30 Jahren seinen Eltern auf der Tasche. Als seine Freundin Annie (Meera Rohit Kumbhani) verreist, beginnt er ein neues Projekt: Ein Pappkarton-Labyrinth im eigenen Wohnzimmer.
Als Annie zurückkehrt, ist sie schnell genervt: Dave behauptet, er könne sein Pappprojekt nicht verlassen. Also begibt sie sich mit weiteren Anvertrauten Daves ins Labyrinth, um ihn herauszuzerren. Gemeinsam müssen sie feststellen, dass es von innen viel, viel größer ist, als es von außen aussieht. Ganz davon zu schweigen, wie viele unerklärliche Gefahren im Labyrinth lauern!
Mit einer anderen Besetzung und ein paar geänderten Rollennamen könnte „Dave Made A Maze“ glatt der lang erwartete „Community“-Film sein. In der Kultserie gibt es schließlich einige fantasievolle Episoden, die etwa in einer überdimensionalen Kissenburg spielen oder die Hauptfiguren als Knetmännchen zeigen. Diese Folgen nehmen Erzählkonventionen auf die Schippe und untersuchen zugleich das Innenleben der „Community“-Clique.
Die besten Sitcoms aller ZeitenRegisseur/Autor Bill Watterson und Autor Steven Sears gehen in „Dave Made A Maze“ ähnlich vor. An der Oberfläche ist ihre nicht einmal 500.000 Dollar teure Produktion eine quirlige Genrepersiflage mit denkwürdigem Stil: Das Innenleben des Labyrinths besteht aus über 2800m² Pappe, Fäden, Spielkarten, Pappmaché und anderem Bastel-Krimskrams. Diese ambitioniert-kindliche Optik bewahrt Dave, Annie und Co. jedoch nicht vor einem blutrünstigen Monster und tödlichen Fallen – deren Auswirkungen sich selbstredend ebenfalls in Bastelstunde-Ästhetik zeigen.
Das weckt nicht nur Erinnerungen an schräge „Community“-Episoden, sondern auch an den französischen Kult-Regisseur Michel Gondry, und ist dank des überbordenden Einfallsreichtums ebenso witzig wie erstaunlich. Aber wer tiefer vordringen möchte, wird unter dem lustigen Do-It-Yourself-Look ein gewieftes Loblied auf Kreativität sowie eine nuancierte Auseinandersetzung mit dem kreativen Arbeitsprozess finden.
Ein Hoch auf die Imperfektion!
Daves immer größere Ausmaße und letztlich ein Eigenleben entwickelndes Pappkarton-Labyrinth steht stellvertretend für Kreativprojekte generell. Dafür, wie man sich in ihnen verlieren kann. Wie in ihnen bewusste und unbewusste Entscheidungen aufeinanderprallen. Was Kollaboration bezweckt. Und dafür, welche Auswirkungen sie auf Künstler*innen und ihr Umfeld haben:
So ein Kunstwerk (ob Labyrinth, Gemälde, Buch, Film, Musikalbum oder, oder, oder) mag erfüllend sein, nimmt aber zwangsweise Lebensraum ein – und kann auch Stress verursachen. Das ist zwar nahezu niemals so gefährlich wie innerhalb Daves Papp-Labyrinth, trotzdem muss man unbedingt lernen, damit umzugehen.
Aber wenn man lernt, damit umzugehen, ist Kreativität transformierend und bereichernd, weshalb man sich nicht von übermäßiger Selbstkritik lähmen lassen sollte. Das wird in „Dave Made A Maze“ auf sogleich mehreren Ebenen ausgedrückt. Nicht nur, weil die Bastelwelt des Films von verschiedenen Texturen und Unebenheiten geprägt ist, sondern auch, weil Watterson und Kameramann Jon Boal auf Makel drauf halten:
"Es gab keinen Grund, weiter Regie zu führen": Dieses Meisterwerk hat Steven Spielberg fast dazu gebracht, seine Karriere zu beendenDen handgemachten Kulissen, Püppchen und optischen Illusionen in „Dave Made A Maze“ ist anzusehen, dass manchmal zu viel Klebstoff verwendet wurde, Kanten eingeknickt sind oder Buntstiftstriche zu grob gezogen wurden. Doch diese Imperfektionen verleihen der Fantasiewelt ihre Lebendigkeit, sind Ausdruck der Persönlichkeit der Filmcrew.
Ebenso ist die Doku, die einer von Daves Freunden dreht, nicht perfekt: Leute verhaspeln sich, das Mikro ragt ab und zu ins Bild. Aber die Doku bleibt in Arbeit, während Dave wegen solcher Patzer sofort das Handtuch geworfen hätte. Sein Pappabenteuer letztlich lehrt Dave, dass es besser ist, gekonnt mit Schwächen umzugehen, als gar nichts zu erschaffen.
Eine Aussage, die nicht nur der anderweitig in eine Starre verfallenden, kreativen Seele aus dem tiefsten Inneren spricht. Sondern auch eine, die wir uns öfter vor Augen halten sollten, wann immer wir Kunst konsumieren: Wenn wir ein gesamtes Werk wegen eines Fehlers aufgeben, verlieren wir mehr als wir mit dieser Haltung gewinnen.
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