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    Premiere: Nach 17 (!) Jahren läuft dieser preisgekrönte Historienfilm heute endlich zum ersten Mal im Free-TV
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Sein erster Kinofilm war Disneys „Aladdin“. Schon in der Grundschule las er Kino-Sachbücher und baute sich parallel dazu eine Film-Sammlung auf. Klar, dass er irgendwann hier landen musste.

    Provokant und zugleich überraschend komisch: Der ausgezeichnete Historienfilm „Ich habe den englischen König bedient“ feiert nach langem Warten seine deutsche Fernsehpremiere – wenn auch leider nur am Programmrand.

    Ein findiger Lügner mit großen Träumen, zahlreiche Verführerinnen, der Glanz des Reichtums und die Anziehungskraft eines herrlich gezapften Biers: In seinen munteren Momenten ist „Ich habe den englischen König bedient“ eine skurril-köstliche Reise entlang der sozialen Leiter.

    Doch Regisseur Jiří Menzel führt uns in seiner Romanadaption durch das harsche Umbrüche erlebende Europa der 1920er bis 1950er, sodass die Geschichte zum Abriss dunkler Kapitel wird. Diese clever konstruierte, emotionale Achterbahnfahrt wurde auf der Berlinale mit dem FIPRESCI-Preis prämiert und feiert jetzt endlich, 17 Jahre nach ihrer Uraufführung, deutsche TV-Premiere: „Ich habe den englischen König bedient“ ist heute, am 16. Oktober 2023, ab 23.10 Uhr im MDR zu sehen.

    Wir können nur empfehlen, einzuschalten oder diese Ausstrahlung wenigstens aufzunehmen, denn eine anschließende Veröffentlichung in der Mediathek ist nicht geplant. Zudem wird „Ich habe den englischen König bedient“ momentan auf keinem Portal als VOD angeboten!

    "Ich habe den englischen König bedient": Schelmisch, charmant, tragikomisch

    Tschechien in den 1920ern: Jan Dítĕ (Oldrich Kaiser in der Rahmenhandlung, Ivan Barnev in der Kernerzählung) ist Würstchenverkäufer. Er ist mindestens einen Kopf kleiner als alle um ihn herum. Und er hat einen Traum: Er will Millionär werden! Ein Zufall gibt ihm die Chance, in die Nähe der Schönen und Superreichen zu rücken: Er jobbt als Aushilfskellner und lernt so einen Handelsvertreter kennen, der ihm hilft, eine Stelle im edlen Hotel Paříž zu bekommen. Dort werden ihm die Gepflogenheiten der Reichen beigebracht und er verliebt sich in die Sudetendeutsche Lisa (Julia Jentsch). Die ist jedoch überzeugte Faschistin...

    Fast hätte es „Ich habe den englischen König bedient“ nicht gegeben: Schriftsteller Bohumil Hrabal veräußerte die Adaptionsrechte an seinem bittersüßen Schelmenroman sogleich zweimal und verstarb, bevor sich das Lizenzchaos entwirren ließ. Das zog einen harschen Rechtsstreit nach sich, aber letztlich gelang es Regielegende Jiří Menzel (Oscar-Gewinner „Liebe nach Fahrplan“), sein Passionsprojekt umzusetzen – und die Filmgeschichte ist daher um einen Streich reicher:

    Damit niemand den Twist dieses Horror-Klassikers errät, ließ der Regisseur die Vorlage aus dem Verkehr ziehen

    Menzel inszeniert den Aufstieg Jan Dítĕs vorerst als gewitzte Underdog-Erfolgsgeschichte eines Kleinbürgers (dessen Nachname noch dazu „Kind“ bedeutet), der gewiefter ist als die Gewieftesten und nimmermüder als die Nimmermüdesten. Doch immer wieder blitzt die Frage auf, ob Dítĕ wirklich das „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Paradebeispiel darstellt, oder ob er eher das unbequeme Zerrbild einer gewissen anderen Romanfigur abgibt.

    Diese Zweifel äußern sich erst zwischen den Zeilen, bis sie schmerzhaft und unübersehbar sind. So arbeitet Dítĕ während der NS-Zeit freudestrahlend in einem SS-Sündenpfuhl, wo sich ranghohe Nazis mit Blondinen paaren – bis die Einrichtung nahtlos zur Kurstätte für Kriegsverletzte umfunktioniert wird.

    Dítĕ zeigt sich in solchen Passagen als rückgratloser Opportunist, der sich bloß als harmloser, verträumter Naivling ausgibt – und somit als negatives Pendant zu Jaroslav Hašeks Romanhelden Josef Schwejk. Der entgeht im Ersten Weltkrieg allen erdenklichen Problemen, weil er das ihn umgebende Geschehen mit seiner Passivität stets ausbremst. Solches Handeln lässt sich aber ebenso als Duckmäusertum und schweigende Mittäterschaft umdeuten...

    Ein schillerndes Film-Festspiel

    So sehr Jan Dítĕs Wendehals-Dasein schmerzt: Menzel inszeniert „Ich habe den englischen König bedient“ nicht als didaktisches Moralstück, sondern lässt mit Genuss Emotionen aufeinanderprallen. Die dunklen Kapitel umfassen auch bitter-absurden Humor, etwa wenn Lisa beim Sex lieber ein Porträt Hitlers fokussiert anstelle das Gesicht ihres Partners. Und die weniger finsteren Abschnitte von Dítĕs Auf- und Abstieg zelebriert Menzel mit verspielter, wandelbarer Inszenierung.

    So werden frühe Stationen als wortlose Slapstickparade inklusive Klaviergeklimper aufgezäumt. Die filmstilistische Zeitreise setzt sich fort mit buntem Hoteltreiben, das mit vitalem Swing und lässigem Jazz fast zur Musicaleinlage aufblüht, ehe Menzel seinen inneren Fellini wachkitzelt und unbeschwert ausgelebten Luxus mit einer Opulenz einfängt, die ebenso beeindruckend wie grotesk gerät.

    Schillernd-grotesk ist auch die Riege an Frauen, die wie Models herausgeputzt sind und Dítĕ bezirzen: Oberflächlich betrachtet sind die Frauen für ihn (und die Kamera) reine Objekte. Schaut man genauer hin, zeigt sich, wie abgeklärt Dítĕ die Frauen in seinem Leben ausnutzt, um aufzusteigen. Und schaut man noch genauer hin, zeichnet sich ab, dass meistens eigentlich die Frauen die Zügel in der Hand halten, der Protagonist das aber weder kapiert noch wahr haben will. Er ist halt ein egozentrischer Emporkömmling, ein ewiges Kind – mal unschuldig, mal begriffsstutzig, mal verzogen und sehr oft unbelehrbar.

    Francis Ford Coppola bereut eines der größten Meisterwerke der Filmgeschichte: "Es hätte nur einen geben sollen"
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