Ein Außenseiter und eine junge Frau, deren älterer Bruder als ihr Vormund dient, verlieben sich ineinander. Was folgt, ist kein schwermütiges Drama, sondern eine sehr kauzige Romanze mit melancholischem Witz. Und um das Gesamtpaket noch bizarrer zu machen, wird all das bestückt mit liebevollen Verneigungen vor einigen der größten komödiantischen Talenten der Filmgeschichte – und einer Legende, deren Erbe noch heute Action-Stars vor Neid erblassen lässt.
Kurzum: Wer sich „Benny & Joon“ anschaut, sollte sich auf eine unangepasste Romantik-Dramödie einlassen, die in keine normierte Schublade passt. Wenn ihr nun Lust auf diese bittersüße Seherfahrung erhalten habt: „Benny & Joon“ ist derzeit als Leih- und Kauf-VOD bei Prime Video erhältlich.
"Benny & Joon": Skurrile Melancholie – und Buster Keaton!
Joon (Mary Stuart Masterson) ist klug und steckt voller Kreativität – und sie lebt seit dem Tod ihrer Eltern bei ihrem älteren Bruder Benny (Aidan Quinn). Der gibt stets acht auf Joon, die impulsive Phasen hat, in denen sie unberechenbar agiert. Vielleicht hat sie eine Form von Schizophrenie, womöglich ist sie eine fehldiagnostizierte Autistin – doch definitiv ist sie eigenständiger, als die meisten ihr zutrauen. Als Joon den melancholischen und ruhigen Sam (Johnny Depp) kennenlernt, der eine Lese- und Schreibschwäche hat und sich wie Buster Keaton aufführt, verliebt sie sich schlagartig in ihn.
Benny begrüßt zuerst diese Dynamik, da Sams ruhige Art Joons Temperament zügelt. Doch als Benny bemerkt, dass sich eine ernsthafte Liebesbeziehung zwischen ihnen anbahnt, versucht er, einen Keil zwischen die Liebenden zu treiben...
Für alle, die ihn noch nicht kennen: Buster Keaton war ein Regisseur und Schauspieler, der zu den größten und wichtigsten Namen der Hollywood-Stummfilm-Ära gehört. Vor allem, weil er in seinen berühmtesten Filmen minutiös geplante, mitunter lebensgefährliche Stunts vollzogen hat – all das mit stoischer Miene.
Unter anderem ließ er eine Häuserfront auf sich krachen, in der nur ein kleines Fensterloch sein Überleben sicherte, und stürzte sich im Purzelbaum riesige Hügel hinunter. In „Der General“ kletterte er sogar ohne Sicherung an einer fahrenden Lokomotive herum – Szenen, wie wir sie heutzutage höchstens noch in „Mission: Impossible“-Filmen mit Tom Cruise zu sehen bekommen.
Keatons versteinertes, kurioserweise dennoch ausdrucksstarkes Gesicht und die trockene Komik, mit der seine Figuren schlechte Ausgangslagen verlassen, nur um in noch miesere Situationen zu stolpern, wird dagegen von Keanu Reeves in der „John Wick“-Saga zelebriert. Doch bevor Cruise und Reeves ihre Buster-Keaton-Begeisterung auslebten, setzte ihm schon Johnny Depp mit „Benny & Joon“ ein Denkmal.
So verneigt sich "John Wick 3" vor 100 Jahren Action-Kino„Schöne Bescherung“-Regisseur Jeremiah S. Chechik nimmt darin zwar Distanz zu Keatons „Größer, teurer, gefährlicher“-Stunt-Orgien, die ihn zu einer der größten Action-Legenden gemacht haben. Trotzdem machen es Chechik und Depp unmissverständlich, wie sehr sie seine Körpersprache, das Timing seiner komödiantischen Routinen und die Charakterzeichnung seiner gutmütigen, überforderten Rollen verehren.
Solch eine Keaton-Hommage, die außerdem kurz Charlie Chaplin und Harold Lloyd Tribut zollt, für eine tragikomische Romanze zu nutzen, die zudem den gesellschaftlichen Umgang mit Neurodiversität behandelt, ist eine ungewöhnliche kreative Entscheidung. Aber sie hilft dem von Barry Berman und Lesley McNeil geschriebenen Film, eine eigene Identität zu entwickeln, statt als bloße Stummfilm-Hommage dazustehen, die sich allein Filmfans mit entsprechenden Vorkenntnissen erschließt.
Außerdem ergänzt Depps Performance als Sam, der stets todernst auftritt und dennoch urkomische Dinge macht, auf verquere Weise die Tonalität, mit der sich Berman, McNeil und Chechik ihrer weiblichen Hauptfigur nähern: Die Stimmung des Films ist verschroben und unangepasst, aber der Witz in ihm generiert sich mehr aus den Umständen als aus den Figuren. Die werden nämlich ernsthafter und respektvoller behandelt, als man angesichts des quirligen Gesamtkonzepts zunächst erwarten würde.
Gewiss würde man den Film heute anders angehen – ihn etwa noch eine Spur filigraner aufziehen und anders besetzen. Dennoch machen sich die Filmschaffenden nicht über Joon lustig, und ebenso wenig verharmlosen oder überdramatisieren sie ihre Lage. Die gerät in „Benny & Joon“ vor allem dann frustrierend, wenn die Gesellschaft nicht mit Joon umzugehen weiß – wohlweislich vermeiden es die Filmschaffenden (zumeist), Joons Wesen als Wurzel eines Problems darzustellen.
Mary Stuart Masterson bekommt zudem den Raum, sie als feisten, zielstrebigen und gewieften Menschen zu zeichnen, der sich nicht durch eine mentale Kondition definiert. Masterson einen sich selbst zum Hampelmann machenden Depp entgegenzusetzen, würde das emotionale Gleichgewicht dieses Films zum Kippen bringen, ebenso wie ein zu tragisch aufspielender Szenenpartner. Aber jemand, dessen Ernst erheiternd ist? Das funktioniert – und macht Lust, sich direkt (wieder) ein paar Buster-Keaton-Klassiker anzuschauen.
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