In „Past Lives - In einem früheren Leben“ (ab dem 17. August 2023 im Kino) erzählt Celine Song von einer Geschichte, die auf ihrer eigenen Biografie basiert. Als kleines Kind verlässt Nora die Heimat Korea und ihre Jugendliebe Hae Sung. Zwölf Jahre später sehen sich beide per Video-Chat wieder, bald werden ihre Gespräche zum festen Bestandteil ihrer Tage. Weitere zwölf Jahre später reist Hae Sung nach New York, um Nora das erste Mal seit Kindheitstagen wieder zu treffen. Die ist dort mittlerweile mit Arthur verheiratet....
Wie Song diese Dreieckskonstellation ganz ohne die typischen Klischees und Kitsch, aber trotzdem unglaublich berührend erzählt, ist die größte Stärke von „Past Lives“. Herausragende 5 Sterne gibt es dafür in unserer Kritik - die von uns selten vergebene Höchstwertung.
Im ausführlichen FILMSTARTS-Interview verrät sie uns, wie ihr das gelang und wie sie mit ihren drei Schauspieler*innen Greta Lee (Nora), Teo Yoo (Hae Sung) und John Magaro (Arthur) dabei ganz unkonventionelle Ansätze bei den Proben gewählt hat. Warum sich die beiden Männer außerhalb des Drehs ihrer Szenen nie sehen durften, ist nur eine der Sachen, die wir im Interview erfahren.
Einstieg mit einem Rätsel
FILMSTARTS: Die Eröffnungsszene von „Past Lives“ hat mich sofort gefesselt. Wie kamst du auf die Idee, mit einer externen Perspektive zu beginnen und erst einmal andere Leute über das uns als Publikum in diesem Moment ja auch noch unbekannte Trio im Zentrum deiner Geschichte spekulieren zu lassen?
Celine Song: Ich wollte, dass es gleich zu Beginn die Andeutung eines Rätsels gibt und das Publikum sich wie Detektive fühlt, die sich fragen: Wer sind diese Menschen füreinander? Es ist natürlich kein Krimirätsel, aber ein Rätsel des Lebens: Wie sind diese drei Menschen zur selben Zeit an diesem Tisch gelandet?
Ich hätte meinen Film auch nicht wirklich schreiben und dann drehen können, wenn ich nicht gewusst hätte, was die erste Szene sein soll. Diese Szene war mir von Anfang an klar...
FILMSTARTS: Und wenn am Ende der Szene Nora direkt in die Kamera schaut, lädt sie uns quasi ein, nun mit ihr das Geheimnis zu lüften?
Celine Song: Genau, Noras Blick in die Kamera heißt das Publikum willkommen, macht aber auch gleichzeitig klar: „Ich sehe dich auch!“.
Die Szene entstand aus meinem Eindruck heraus, dass viele Zuschauer*innen nicht einfach nur Menschen beim Leben zuschauen wollen, sie möchten sie richtig beobachten, um ein Rätsel zu lösen. Ich hoffe, dass die Leute nach dem Einstieg noch aufmerksamer oder mit einer anderen Perspektive schauen, weil sie das Geheimnis herausfinden wollen. Mir geht es mit dem Auftakt darum, erst einmal das Interesse des Publikums zu wecken.
FILMSTARTS: „Past Lives“ ist dein erster Film und erzählt eine Episode aus deinem Leben. War es dir immer klar, dass du diese sehr persönliche Geschichte selbst inszenieren wirst? Oder gab es zwischenzeitlich auch die Befürchtung, dass du dein Projekt jemand anderen anvertrauen musst, damit es überhaupt gemacht wird?
Celine Song: Man hofft natürlich immer, dass man selbst inszenieren darf. Aber du musst in erster Linie selbst überzeugt sein, dass du die beste Person dafür bist. Ich hatte dann den Vorteil, dass es ein wenig einfacher war, alle anderen von mir als die richtige Regisseurin zu überzeugen. Schließlich war das Skript bereits zweisprachig und es war einfach notwendig, eine Verbindung zu beiden Sprachen zu besitzen, damit dieser Film am Ende funktioniert. Und gerade weil es meine persönliche Geschichte ist, hatte ich immer das Gefühl, alle überzeugen zu können, dass ich das selbst inszenieren muss.
Keine Treffen, keine Berührungen - so liefen die Proben zu "Past Lives" ab
FILMSTARTS: Von der Theaterbühne kennst du die Arbeit mit den Schauspieler*innen, doch mich interessiert, wie du hier beim Film das Thema angegangen bist. Besonders eine Szene fasziniert mich unglaublich. Nora und Arthur sprechen im Bett über die Dynamik ihrer Beziehung – und ich finde diese Szene so natürlich. Sie wirkt null geskriptet, wie eine spontane Unterhaltung. Wie konntet ihr das erreichen? War dafür besonders viel Proben nötig? Oder gar nicht und es war alles Improvisation?
Celine Song: Improvisation gab es gar nicht. Wir haben uns da wirklich streng an das Drehbuch gehalten. Aber wir führten vorher zwei Proben durch – wobei das vielleicht ein missverständlicher Begriff ist. Es war keine klassische Probe der Szene, sondern wir saßen zusammen und sind den Text durchgegangen, um gemeinsam herauszufinden, worum es in der Szene geht und zu besprechen, wie sie deswegen ablaufen muss.
Das ist ein Prozess, bei dem wir wirklich sehr hart arbeiteten und der mir von meiner Bühnenarbeit vertraut ist. Gerade hier habe ich, glaube ich, sehr von meinem Hintergrund als Dramatikerin profitiert.
FILMSTARTS: Eine interessante Geschichte, die ich in dem Zusammenhang hörte: Während Du mit Greta Lee (Nora) und John Magaro (Arthur) dann so eng an einer Szene gearbeitet hast, sollst Du die beiden Männer komplett getrennt haben. Es ist zu lesen, dass John Magaro und Teo Yoo (Hae Sung) überhaupt nicht miteinander interagieren durften. Das ist ja sehr außergewöhnlich, riskant und mutig. Was war die Idee dahinter und wie gezeigt sich das im Film?
Celina Song: Mir ging es darum, was für die Schauspieler hilfreich ist. Beide konnten sich so komplett auf ihre eigene Chemie mit „Nora“ Greta Lee konzentrieren. Sie konnten sich voll auf ihre eigene Beziehung fokussieren, unabhängig voneinander ihre Figuren entwickeln.
Zudem besteht ein wichtiger Teil ihrer Geschichte darin, dass sie sich nicht kennen. Wenn sie das erste Mal im Film aufeinandertreffen, dann ist es auch wirklich ihr erstes Zusammentreffen. Dabei prallen diese unterschiedlichen Prozesse aufeinander und es hilft, dass sie in dieser Szene wirklich unbeholfen miteinander wirken.
Ich hatte für jede Paarung einen eigenen Ansatz. Greta Lee und Teo Yoo probten so zwar zusammen, aber sie durften sich nicht nahe kommen. Sie haben sich nicht einmal die Hand gegeben, überhaupt nicht berührt – weil dann im Film jede Berührung, wie zum Beispiel die Umarmung beim Wiedersehen, auch so ein unbeholfen, seltsamer Augenblick ist.
Das ist übrigens kein Prozess, den man nun auch für andere Filme machen muss. Ich hatte nur das Gefühl, dass es für diesen speziellen Film ein Ansatz ist, den ich versuchen sollte. Denn es ist ein Film voller außergewöhnlicher Begegnungen und außergewöhnlicher Abschiede. Und alles, was wir tun können, um diese Momente besonders einzurichten, das war es wert, es zu versuchen.
Die Zusammenarbeit mit Kameramann Shabier Kirchner
FILMSTARTS: Während du dich in diesen Bereichen auf von der Bühne bekanntem Terrain bewegst, ist die kinematografische Seite von „Past Lives“ etwas Neues. Doch ich bin besonders beeindruckt davon, wie dein Film aussieht. Wie hast du mit deinem Kameramann Shabier Kirchner den richtigen visuellen Stil erarbeitet?
Celine Song: Mit Shabier war es wie Liebe auf den ersten Blick. Ich traf mich mit verschiedenen Kameraleuten für den Job, doch bei ihm war sofort eine Verbindung da. Mit ihm konnte ich über den gesamten Film sprechen, nicht nur über die Technik und die Frage, welche Linse wir nutzen, um was wie umzusetzen. Es ging um die Figuren, die Geschichte, die Gefühle, welche jeder Moment erzeugen soll. Diese Art sprach mich an.
Und das setzte sich den ganzen Dreh durch fort. Wir waren quasi alle fünf Minuten im Austausch – das ging soweit, dass ich richtig merkte, „Ich muss mit Shabier reden“, wenn wir uns doch mal einen Moment länger nicht gesprochen hatten. Wir haben auf so einer grundlegenden Ebene an dem Film gearbeitet und dabei ging es immer darum, was für die Geschichte und die Szene visuell das Richtige ist.
Für mich ist Shabier einer der besten Bildgestalter, die es gerade gibt. Seine Bilder sehen einfach nicht nur schön aus, sie erzählen die Geschichte.
FILMSTARTS: Was ich beim zweiten Sehen von „Past Lives“ erst so richtig erfassen konnte, ist der Sound. Der spielt unbewusst eine so bedeutende Rolle, diese Erzählung zu verstärken – von den Geräuschen der Schauplätze bis hin zur Musik. Dabei ist er aber nie wirklich offensichtlich präsent. Gerade der Soundtrack bleibt oft subtil im Hintergrund. Wie war da deine Herangehensweise?
Celine Song: Genau, ich wollte eine Musik, die im Film unverzichtbar ist. Da gibt es den Klang der Städte – zum einen New York City und zum anderen Seoul. Beide klingen unterschiedlich, verfügen über ihren eigenen Ton. Wir haben sogar extra eine zweite Einheit noch mal nach Seoul geschickt, um mehr Geräusche für Korea aufzunehmen, damit wir so viel wie möglich über diese Akustik transportieren können.
Gleichzeitig durfte der Sound aber auch nicht zu aufdringlich sein. Natürlich könnte es auch eine Version des Films geben, in der ständig Orchestermusik anschwillt. Aber ich strebte ein immersives Gefühl an, dass die außergewöhnlichen Momente im gewöhnlichen Leben herausstellt. Es war also Zurückhaltung gefragt und hier haben die Jungs der Indie-Rock-Band Grizzly Bear einen tollen Job gemacht.
Ich wollte unbedingt mit ihnen arbeiten, weil sie auch verstehen, wie man eine Geschichte erzählt. Sie wissen, dass es nicht nur darum geht, Musik unter eine Filmsequenz zu legen, sondern diese etwas transportieren zu lassen. Und sie besitzen auch großen Respekt vor Stille und sind bereit, diese zuzulassen.
Wie ich es dir gerade mit Shabier erzählte, war es auch mit ihnen. Wir tauschten uns zuerst über die Geschichte und die Figuren aus, fanden heraus, was für diese das Beste ist. Und bei dem Gespräch konnte dann auch mal herauskommen, dass das Beste ist, dass in einem Moment gerade keine Musik zu hören ist, sondern wir nur den Klang des Windes, der Stadt oder das Hupen von Autos haben. Mit zwei Komponisten arbeiten zu dürfen, die wissen, wann Musik benötigt wird und wann nicht, die so dem Publikum Raum geben, selbst zu fühlen, das war der Schlüssel für den Sound meines Films.
Dreh auf 2 Kontinenten - mit Rückhalt von Indie-Schmiede A24
FILMSTARTS: Du hast „Past Lives“ selbst als kleinen Independent-Film bezeichnet. Andererseits fand der Dreh in verschiedenen Ländern an diversen Schauplätzen statt - dann auch noch während der COVID-Pandemie, was ja Aufwand und Kosten noch weiter in die Höhe trieb. Wie schwierig war es da, als Debütregisseurin diese Vision durchzuboxen? Denn ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dann vielleicht jemand kommt und sagt: „Hmm.. Das kostet ja alles. Können wir die Korea-Szenen nicht weglassen?“
Celine Song: Für mich war klar, dass alles enthalten sein muss. Ich könnte mir den Film ohne die Szenen in Korea zum Beispiel gar nicht vorstellen. Mir wurde zum Glück nie gesagt, dass ich etwas reduzieren muss. Da muss ich auch A24 [dem Studio hinter dem Film] dankbar sein, die nicht nur so was nie verlangt haben, sondern im Gegenteil immer ihr Bestes gaben, um den besonderen Anforderungen des Films gerecht zu werden.
Natürlich brachte da gerade COVID viele Herausforderungen mit sich – aber ich weiß nicht, ob es deswegen schwieriger war. Als Debütregisseurin besitze ich nur die eine Erfahrung, aber wie es in Gesprächen mit anderen klingt, hat jeder Film so seine eigenen besonderen Herausforderungen. Am Ende hatte ich das Glück, dass an meiner Seite immer Leute waren, die den großen Umfang eines Drehs in zwei verschiedenen Ländern mit zwei verschiedenen Teams und über einen Handlungszeitraum von 24 Jahren so bedingungslos unterstützt haben, weil sie immer an den Film und meine Vision glaubten.
FILMSTARTS: Gibt es denn Vorbilder? Filme oder Regisseur*innen, welche dich beeinflussten, selbst hinter die Kamera zu gehen oder sogar „Past Lives“ direkt prägten?
Celine Song: Ich bin als großer Filmfan aufgewachsen und mich haben unglaublich viele beeinflusst. Da jetzt ein bis zwei zu nennen, wäre falsch. Ich könnte dir für zehn Jahre jeden Tag neue Filmtitel nennen, weil mich so viel geprägt hat.
Aber für „Past Lives“ gab es wirklich bestimmte Filme, auf die ich noch einmal genauer anschaute. „Mein Essen mit André“ von Louis Malle zum Beispiel, weil dieser Film so genau zeigt, wie nur ein Gespräch Dramatik bieten kann. Auch „Like Father, Like Son“ von Hirokazu Koreeda oder „Yi Yi“ von Edward Yang habe ich mir noch einmal genau angeschaut.
Der Wunsch nach Authentizität im Kino
FILMSTARTS: „Past Lives“ ist einer von sehr vielen Titeln, die aktuell erscheinen, die autobiografisch geprägt sind. Da gibt es nicht nur Debüts wie deinen Film oder „Aftersun“ von Charlotte Wells, auch viele alte Meister wie Steven Spielberg mit „Die Fabelmans“ nutzen nun ihre eigene Geschichte als Vorlage. Warum ist das aktuell gerade so häufig der Fall?
Celine Song: Ich weiß nicht, ob ich als Erstlingsregisseurin über den Zustand des Kinos sprechen kann. Aber aus meiner Erfahrung mit „Past Lives“ und den nun bereits begleiteten Vorführungen auf der ganzen Welt habe ich gelernt, dass die Leute sich sehr mit der Authentizität verbunden fühlen. Sie schätzen, dass hinter dem Geschehen wirkliche Menschen stehen. Und wenn man das in einem großen Kinosaal voller Fremden erlebt, fühlt man sich dabei gleich verbunden und so irgendwie geborgen. Vielleicht gibt es also einen gesteigerten Wunsch, Geschichten anzuschauen, die den Verantwortlichen dahinter wirklich persönlich wichtig sind?
FILMSTARTS: Eine kleine Frage muss ich zum Schluss noch stellen. Mir ist aufgefallen, dass man sehr oft im Hintergrund sich küssende Paare sieht – ob in der Bar oder bei der Sightseeingtour im Brooklyn Park. Habt ihr da besonders darauf geachtet?
Celine Song: Ja. Ich hoffe, dass alles, was nun im Film zu sehen ist, auch das Ergebnis von Dingen ist, auf die ich besonders geachtet habe. Alles ist hoffentlich absichtlich passiert. Schließlich hat mich bereits beim Schreiben begeistert, dass ich jeden Zentimeter der Leinwand nutzen kann, um Geschichten zu erzählen. Als wir die Hintergründe dieser Szenen füllten, wollten wir wirklich nur Paare. Du siehst also immer auch wirkliche Paare.
„Past Lives - In einem anderen Leben“ läuft ab dem 17. August 2023 im Kino!