Bei den Interviews zu „Ant-Man And The Wasp“ am Rande der Europapremiere in Paris überraschte uns Evangeline Lilly damals mit der Aussage, dass Schauspielern für sie Folter sei. Als wir sie knapp fünf Jahre später anlässlich des Starts von „Ant-Man And The Wasp: Quantumania“ nun wieder zum Interview getroffen haben, wollten wir natürlich direkt wissen, wie es ihr seitdem damit ergangen ist:
FILMSTARTS: Mein Kollege Björn Becher hat 2018 zu „Ant-Man And The Wasp“ ein Interview mit dir geführt, in dem du erklärt hast, dass Schauspielern für dich wie Folter ist. Geht es dir immer noch so oder hat sich seitdem etwas verändert?
Evangeline Lilly: Es geht mir immer noch so [lacht]. Ich muss allerdings sagen, dass ich das jetzt schon seit fast 20 Jahren mache, was natürlich völliger Wahnsinn ist, wenn es sich wie Folter anfühlt. Es ist halt mein Job. Aber es ist mit den Jahren auch einfacher geworden. Vielleicht habe ich mich mittlerweile sogar daran gewöhnt.
Ich kann allerdings nicht genau sagen, woran das liegt, dafür bräuchte ich wahrscheinlich ein ganzes Buch. Es tut mir innerlich weh, wenn ich jemand Anderes werde und mein Ich unterdrücke oder verdränge. Ich fühle mich in der Haut dieser anderen Person gefangen, von ihrer Persönlichkeit gefangen.
Und wenn ich dann am Set etwas von mir selbst einbringe, was man ja tun muss, um gegenüber den anderen Darstellern emotional und verwundbar zu sein, fühle ich mich sehr verletzlich und schutzlos, obwohl sich die Umgebung nicht wirklich sicher anfühlt. Das ist die Natur dieses Geschäfts. Es ist nicht sicher, man ist am Set nicht bei seinem Therapeuten oder seiner Mutter. Zum Großteil sind da lauter Fremde, die Geld mit dem verdienen wollen, das du tust. Ich finde es schmerzhaft und habe noch nicht herausgefunden, wie ich dafür sorgen kann, dass es schmerzlos wird.
FILMSTARTS: Hoffentlich findest du einen Weg.
Evangeline Lilly: Wenigstens mir zuliebe wäre das nicht schlecht, oder? [lacht]
Gleichberechtigung im MCU? "Da ist noch Luft nach oben!"
FILMSTARTS: Was verbindet dich und Hope van Dyne? Was hilft dir dabei, diese Figur zu spielen?
Evangeline Lilly: Was uns beide am stärksten verbindet, ist, dass sie nach außen hin eine starke, fähige, selbstbewusste, kompetente Frau ist. Hinter dieser Schale ist sie im Kern jedoch viel zarter als sie erscheint. Auch ich habe in diesem Geschäft häufig das Gefühl, dass mich andere Leute für tougher als ich bin halten. Sie wissen nicht, dass es mir eigentlich schlecht geht oder dass ich ihnen gegenüber eigentlich sehr zugeneigt bin.
FILMSTARTS: Hope war die erste Titelheldin eines MCU-Films. Findest du, dass sich das Superhelden-Genre in Sachen Gleichberechtigung schnell genug entwickelt?
Evangeline Lilly: Es hat sich auf jeden Fall schon wahnsinnig viel getan, Frauen sind heute im MCU viel präsenter, als sie selbst zur Zeit von „Ant-Man And The Wasp“ waren. Das gilt auch für junge Frauen. Aber es ist auch noch Luft nach oben, vor allem wenn es darum geht die Komplexität und die Facetten von weiblichen Figuren zu entwickeln. Ich habe „Black Panther 2“ noch nicht gesehen, aber ich habe das Gefühl, dass dieser Film in dieser Hinsicht sehr viel leistet. Auch in „WandaVision“ gab es schon eine komplexe, dreidimensionale Frauenfigur im Zentrum.
Ich würde gerne sehen, was passiert, wenn Hope auf die Dunkle Seite wechselt.
FILMSTARTS: In einem Interview auf dem Roten Teppich hast du gesagt, dass du gerne einen „The Wasp“-Solofilm drehen würdest. War das eine spontane Idee oder hast du irgendwo ein fertiges Drehbuch in der Schreibtischschublade? Und wenn ja, was passiert darin?
Evangeline Lilly: [lacht] Die Idee stammt von einem Fan und Kevin Feige saß damals direkt hinter mir. Ich habe gesagt, dass ich das gerne machen würde, aber er ist nicht darauf eingegangen [mittlerweile hat Feige immerhin sinngemäß gesagt, dass im MCU nichts unmöglich sei und man abwarten müsse].
Ich weiß nichts darüber, was als Nächstes im MCU passieren wird, aber ich hatte eine sehr klare Idee für Hope in „Ant-Man And The Wasp: Quantumania“ als wir den Film damals geplant haben. Das hat nichts damit zu tun, was sie in diesem Film mit ihr gemacht haben.
Meine Idee war, die dunklere Seite von Hope zu erforschen. Im ersten Film konnte man meiner Meinung nach schon Ansätze davon erkennen, sie hat das Potenzial ziemlich düster zu sein. Aber das haben wir nicht weiterverfolgt, ihre Entwicklung ging eher in Richtung Heilung, Liebe, Verbindung. Ich würde gerne sehen, was passiert, wenn Hope auf die Dunkle Seite wechselt.
FILMSTARTS: Wie viel hast du denn mit Regisseur Peyton Reed und Drehbuchautor Jeff Loveness beim Dreh über Hope und ihre Entwicklung gesprochen?
Evangeline Lilly: Während der Dreharbeiten gab es eine Menge Diskussionen darüber, aber das merkt man im fertigen Film nicht immer. Es ist ein langer Weg vom Produktionsbeginn bis zum Kino. Wir haben vieles besprochen und gefilmt, aber man weiß nie, wohin es führt. Es gibt eine Menge Figuren, die in diesem Film bedient werden müssen.
Eine Zukunft als Synchronsprecherin?
FILMSTARTS: Du hast Hope auch in einer Folge der Animationsserie „What If...?“ gesprochen. Wie war das für dich? Und würdest du sie noch einmal sprechen?
Evangeline Lilly: Ich fand das absolut großartig! Ich glaube, das war mein Lieblingsprojekt von Marvel. Es ist so befreiend, einfach nur die eigene Stimme zu benutzen. Ich bin eine sehr lebhafte Person, ich benutze meine Hände, meinen Körper, meine Mimik. Wenn ich einer Sprecherkabine stehe, kann ich das alles machen, ohne dass mir jemand sagt, dass ich etwas gemäßigter spielen soll. Ich konnte also die Ketten abschütteln, frei sein und Spaß haben.
FILMSTARTS: Weißt du, wie lange du The Wasp noch spielen wirst?
Evangeline Lilly: Als ich Quantumania gedreht habe, hatte ich keine Ahnung, dass das der erste Film von Phase 5 ist. [lacht] Ich weiß überhaupt nichts. Ich weiß nicht, was in Zukunft passiert. Ich weiß nicht, was bisher passiert ist. Wenn ich fragen würde, hätte ich vielleicht mehr Informationen, aber ich mache normalerweise eher mein eigenes Ding und wenn sie mir irgendwas erzählen, nehme ich das mit. Ansonsten lebe ich in seliger Unwissenheit.
FILMSTARTS: „Ant-Man And The Wasp: Quantumania“ spielt hauptsächlich in der Quantenebene. War es bei den Dreharbeiten schwer ein Gefühl für diese Welt zu kriegen, die ja eigentlich erst nachträglich am Computer hinzugefügt wird?
Evangeline Lilly: Für mich persönlich war es eigentlich sogar leichter, weil ich dieses Mal anders als beim ersten Film keinen Fachjargon und keine Exposition hatte. Vor dem Heist in „Ant-Man“ muss Hope all die lateinischen Namen und Fähigkeiten der Ameisen aufzählen und den Heist genau erklären. Aber das gab es dieses Mal nicht, also musste ich keine Fachbegriffe lernen.
Aber wir haben auch auf dem Volume-Set gedreht [Anm. d. Red.: so wie bei „The Mandalorian“], das von Tausenden von LED-Bildschirmen umgeben ist. Und auf diesen Bildschirmen wird die Quantenwelt so gezeigt, wie wir sie sehen würden. Ich konnte also alles sehen, was um mich herum war, und mit dieser Welt herumspielen.
Und außerdem haben sie die Mitte des Sets dann normal aufgefüllt, wenn es also einen Quantenbaum gab, dann war auch wirklich ein Quantenbaum am Set oder ein Quantenrestaurant. Es waren also deutlich weniger mentale Verrenkungen nötig, als man glauben könnte...
FILMSTARTS: Wenn du wie The Wasp schrumpfen und fliegen könntest, was würdest du dann als erstes tun?
Evangeline Lilly: Ich würde in die Schule meiner Kinder fliegen und ihnen einfach zusehen. Nicht, weil ich sie ausspionieren oder später mit ihnen schimpfen will, sondern weil ich sie sonst nie außerhalb meiner Beziehung zu ihnen als Mutter kennenlernen werde. Und das würde ich gerne. Ich wüsste gerne, wie sie sind, wenn ich nicht dabei bin.
Über Menschen in hautengen Lederanzügen muss man auch mal lachen können.
FILMSTARTS: „Ant-Man And The Wasp: Quantumania“ ist der erste Film von Phase 5 des MCU. Warum sind Superheldenfilme so beliebt bei Zuschauern aller Altersgruppen?
Evangeline Lilly: Ich kann nicht für alle Superheldengeschichten sprechen, denn alle anderen großen Franchises verblassen im Vergleich zu Marvel [lacht]. Bei Marvel sind sie sehr gut darin, ihre Superhelden nahbar zu machen. Sie stellen sie nicht auf ein Podest und nehmen sie auch nicht zu ernst, sondern sind sich bewusst, dass es um erwachsene Menschen in hautengen Lederanzügen geht und dass man darüber auch mal lachen können muss. Und sie lassen diese Figuren dieselben Fehler machen und dieselben Erfolgen feiern, die auch wir erleben.
FILMSTARTS: Gleichzeitig wurden Superheldenfilme von Leuten wie Martin Scorsese schon einige Male harsch kritisiert. Wie stehst du zu der ganzen Sache?
Evangeline Lilly: Unterhaltung ist immer ein Spiegel der aktuellen Gesellschaft. Je nachdem, was gerade in der Welt passiert, wollen wir unterschiedliche Dinge im Kino sehen. In den 80ern, aber auch den 70ern und den 90ern, waren die Menschen hungriger nach schweren Stoffen, die sie zum Nachdenken anregten und sie emotional herausforderten.
Aber wenn man sich die Ära von Charlie Chaplin und der beiden Weltkriege oder der Wirtschaftskrise anschaut, wollten die Leute leichtere Stoffe. Sie wollten der Realität entfliehen, lachen, ihre Probleme vergessen und nicht über schwierige Themen oder ihre ohnehin schon komplizierten Leben nachdenken. Und ich glaube, wir befinden uns aktuell wieder in einer dieser Epochen. Die Menschen haben Angst, sie sind wütend und besorgt. Und sie wollen einfach ins Kino gehen und allem entfliehen. Sie wollen eine Fantasy-Welt erleben, in der am Schluss alles gut wird.
„Ant-Man And The Wasp: Quantumania“ läuft seit dem 15. Februar 2023 in den deutschen Kinos.
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