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    Die Verdammten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Verdammten
    Von Jonas Reinartz

    Wer hat Angst vor Helmut Berger? Nun, heutzutage wohl eher niemand, denn da steht dem einstigen Enfant terrible des internationalen Jet-Set die schleichende Bedeutungslosigkeit im Wege. Nur kurz war seine Blütezeit an der Seite von Luchino Visconti (Rocco und seine Brüder, Der Leopard) als Lebensgefährte, Muse und sogar Alter Ego (Ludwig II.), dann folgten der Absturz in den Drogensumpf und zahlreiche Schundfilme. Am besten konnte Berger seine legendäre Exzentrik in „Die Verdammten“ von 1969 entfalten, in dem er einen boshaften Widerling gibt, der keiner der Menschheit bekannten Perversion abgeneigt scheint. Er steht im Mittelpunkt von Viscontis Familiengeschichte im Dritten Reich, die am treffendsten als „exzessiv“ beschrieben werden kann. Mit Anleihen bei Klassikern der Weltliteratur - von Sophokles’ „König Ödipus“ über Shakespeares „Macbeth“ bis zu Thomas Manns „Buddenbrooks“ und „Tod in Venedig“ -, einer an Douglas Sirk („In den Wind geschrieben“) orientierten Lichtgestaltung und nicht zuletzt einer gehörigen Dosis Melodramatik sorgt Visconti für ein faszinierendes Filmerlebnis. Ein furioser Abstieg in die Hölle, der filmgeschichtlich nicht ohne Folgen blieb.

    Deutschland im Februar 1933: Joachim von Essenbeck (Albrecht Schoenhals) thront als alter Patriarch über seine Familie und ein erfolgreiches Stahlunternehmen. Zunehmend kommt es jedoch angesichts seiner Weigerung, mit den Nationalsozialisten zu paktieren, zu Schwierigkeiten, denn schon längst haben Parteimitglieder und Sympathisanten den Weg an die üppige Familientafel gefunden. Joachims neurotische Tochter Sophie (Ingrid Thulin), deren Sohn Martin (Helmut Berger) die Familie mit einem Auftritt als Marlene Dietrich schockiert, hat sich mit dem opportunistischen Frederick Bruckmann (Dirk Bogarde) eingelassen, der wiederum von Sophies Cousin, dem SS-Offizier Aschenbach (Helmut Griem), benutzt wird, um die Stahlwerke auf Parteilinie zu bringen. SA-Mitglied Konstantin von Essenbeck (Reinhard Kolldehof) wiederum steht der SS feindlich gegenüber und strebt selbst nach Macht. Einzig Herbert Thalmann (Umberto Orsini) stellt sich offen den Faschisten entgegen, was ihm und seiner Gattin Elisabeth (Charlotte Rampling) zum Verhängnis wird. Am Abend des Reichstagsbrandes ermordet Frederick den Firmengründer Joachim und lenkt den Verdacht auf Herbert, so dass dieser das Land verlassen muss. Frederick steigt bald zum Leiter des Konzerns auf, doch begreift er nicht, worauf er sich da eingelassen hat…

    Suso Cecchi D’Amico, langjährige Co-Autorin Viscontis, machte ihn auf die Geschichte der Industriellenfamilie Krupp aufmerksam, die zu den wichtigsten Rüstungslieferanten Hitlers zählte. Der Regisseur hatte seit längerem ein Familienepos à la „Buddenbrooks“ realisieren wollen und nun schienen sich seine lebenslangen Obsessionen perfekt in einem Projekt vereinen zu lassen: Neben Viscontis erneuter Variation des Familienthemas und dem persönlich eingefärbten Interesse an deutscher Kultur gerät der analytische Blick auf die Zeitgeschichte im fertigen Film tatsächlich in den Hintergrund. Der Faschismus erscheint in „Die Verdammten“ im Wesentlichen als eine Zuspitzung des Kapitalismus und als Ausdruck der durch eine Unterdrückung der Sexualität entstandenen Perversion. Diese auf den Theorien Willhelm Reichs basierende Darstellung war gerade im italienischen Kino der späten 60er und der 70er Jahre gängig und findet sich in unterschiedlicher Ausprägung auch in Pier Paolo Passolinis Salò - Die 120 Tage von Sodom und in Bernardo Bertoluccis „1900“. Statt wissenschaftlich stichhaltige historische Ursachenforschung zu betreiben, entfesselt Visconti eine packende und überspitzte Untergangsvision, die nicht immer ganz ernst gemeint ist. Im Porträt des Martin etwa findet sich ein wahres Sammelsurium an Neurosen und Abartigkeiten, das mit einer medizinisch glaubwürdigen Darstellung einer gestörten Psyche wenig zu tun hat.

    Visconti schwelgt in dem, was er zugleich verurteilt. Wenn er Adonis Helmut Berger in glänzender SS-Uniform auftreten lässt oder minutenlang halbnackte feiernde SA-Männer zeigt, flackert die Faszination, die der Regisseur einst als junger Reisender im nationalsozialistischen Deutschland für die NS-Ästhetik empfand, überdeutlich wieder auf. Gleichzeitig veranschaulicht Visconti auch die latente Todessehnsucht und die homoerotischen Untertöne der Zeit. Der spezifische Look dieser Szenen wurde stilprägend und trug erheblich zum Entstehen des Naziploitation-Genres (siehe: SS Experiment Love Camp) bei. Aber Qualitätswerke wie Bob Fosses „Cabaret“ und Autorenfilmer wie Rainer Werner Fassbinder (Lola, Lili Marleen) wurden ebenso deutlich von „Die Verdammten“ beeinflusst.

    Die Mischung aus Faszination und Monstrosität zeigt sich bei Visconti besonders in der Darstellung der Figur des Aschenbach. Ihr Name ist natürlich ein Verweis auf den Protagonisten von Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“, die Visconti als nächstes verfilmen sollte. Konnte der literarische Aschenbach des Jahres 1911 seine Dekadenz noch als Schriftsteller künstlerisch verwerten, so ist sein Namensvetter von 1933 ein Mörder, in gewisser Weise aber auch ein Todeskünstler, der seinen überlegenen Geist zum planvollen Arrangieren seiner Untaten einsetzt. Aus der Schöpferkraft ist Destruktivität geworden. In Viscontis Film finden sich noch etliche weitere kulturelle Anspielungen, etwa zu „König Ödipus“ oder der „Faust“-Sage, die „Die Verdammten“ zu einem spannenden Patchwork europäischer Mythen machen. Der italienische Titel, der übersetzt „Götterdämmerung“ bedeutet, bezieht sich übrigens auf den letzten Teil von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ und bezeichnet im Allgemeinen den Endkampf der Götter in der nordischen Sagenwelt. Auch „Die Verdammten“ ist eine Erzählung vom Ende einer Welt. Die durch die einzelnen Familienmitglieder verkörperte Oberschicht Deutschlands zerfleischt sich gegenseitig und obwohl es einen Sieger zu geben scheint, besiegelt sein Triumph letztlich den unausweichlichen Untergang.

    Ein Merkmal verweist deutlicher als alle anderen auf die Entstehungszeit des Films. Die Kameraarbeit, ansonsten in ihrer malerischen Qualität eines der Markenzeichen Viscontis, ist mit ihren der Mode geschuldeten Zooms und den allzu raschen Fahrten oft konfus und bisweilen ärgerlich. Bis zu einem gewissen Grad sind die Entscheidungen, die der Regisseur und sein Kameramann Pasqualino De Santis getroffen haben, nachvollziehbar und sogar äußerst inspiriert. Ähnlich wie in den Melodramen eines Douglas Sirk werden viele bunte Lichtquellen verwendet, um das Innenleben der Figuren auf die Umgebung zu projizieren und eine bedrückende Atmosphäre zu kreieren. Gerade gegen Ende entsteht, unterstützt durch die zunehmend verschwitzten Gesichter der Schauspieler, ein unangenehmes Gefühl von Hitze, das über den Bilder zu liegen scheint und die buchstäbliche Hölle, in der die Essenbecks sich befinden, prägnant zum Ausdruck bringt. Im Bemühen die Empfindung von Klaustrophobie und Desorientierung zu vermitteln ist die Kamera ständig in Bewegung. De Santis zoomt von extremen Nahaufnahmen zurück zu distanzierten Totalen und umgekehrt, oft sogar in einem schockartigen Tempo. Auch wenn die Ambition und die Experimentierfreunde, die sich hier zeigen, bemerkenswert sind, ist das Ergebnis wenig überzeugend. Häufig lenkt die Technik sogar von der Handlung ab. Unschärfen und holprige Kamerabewegungen fallen auch im Hinblick auf die ansonsten makellose formale Schönheit von Viscontis Werk unangenehm auf. Der Regisseur verfeinerte die Zoomtechnik in seinen späteren Filmen erheblich und gab sie in „Gewalt und Leidenschaft“ endgültig auf.

    „Die Verdammten“ machte Helmut Berger zum Star und dies verwundert nicht. Bereits sein erster Auftritt ist vermutlich der bekannteste seiner Karriere – seine Performance als Dragqueen im Marlene-Dietrich-Outfit, die den Evergreen „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ aus Der blaue Engel trällert, ist ebenso wahnwitzig wie auf eigentümliche Art gelungen. Einen guten Schauspieler konnte selbst Visconti mit seinen herrischen Disziplinvorgaben nicht aus ihm formen, doch gleichgültig lässt sich Berger kaum gegenüberstehen. Sein divenhaftes Auftreten und das affektierte Minenspiel mag hoffnungslos übertrieben oder theatralisch wirken – faszinierend ist es dennoch. Einzig Quentin Tarantino erinnerte sich 1997 an Berger und ließ Bridget Fonda in „Jackie Brown“ klarstellen, dass nicht Rutger Hauer in dem im Fernsehen laufenden Italo-Reißer „Der Tollwütige“ zu sehen ist: „No, it’s Helmut Berger!“. Special Thanks im Abspann gab es obendrein dazu. Dirk Bogarde („Tod in Venedig“, Despair – Eine Reise ins Licht) und Ingrid Thulin (Wilde Erdbeeren, „Das Schweigen“) sind schauspielerisch freilich von einem gänzlich anderen Kaliber. Bei aller Bösartigkeit und Diabolik wohnt ihren Figuren eine Verletzlichkeit und damit eine menschliche Dimension inne, ohne dass dadurch ihre Taten gerechtfertigt würden. Während Thulin und Bogarde aus ihren an das Ehepaar Macbeth gemahnenden Charakteren facettenreiche Persönlichkeiten machen, legt Helmut Griem („Cabaret“, „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“) seinen Aschenbach als teuflischen Verführer an. Jeglicher Charme erweist sich als Fassade, Freude scheint er lediglich beim Gelingen seiner kühl konstruierten Pläne zu empfinden. Neben dem eiskalten Griem ist noch Charlotte Rampling (Swimming Pool, Babylon A.D.) zu erwähnen, die nicht nur eine ansprechende schauspielerische Leistung zeigt, sondern die dank der Kostüme Piero Tosis und der perfekten Ausleuchtung auch von ihrer schönsten Seite präsentiert wird.

    „Die Verdammten“ beginnt mit dem Blick in die lodernden Flammen eines Hochofens und gibt damit die Richtung vor. Leichte Unterhaltung steht hier nicht auf dem Programm. Luchino Viscontis ausufernde Chronik des verheerenden Psychokriegs einer dekadenten Industriellenfamilie beeindruckt dafür mit einem ausgezeichneten Ensemble und zahlreichen cleveren Verweisen, die vor allem Kenner von Thomas Manns Werk schätzen dürften. Die individuelle Gestaltungskraft eines der Vorzeigeregisseure Italiens macht aus „Die Verdammten“ eine kraftvolle Untergangsvision, von der historische Korrektheit oder eine fundierte Faschismusanalyse freilich nicht erwartet werden sollten.

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