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    Nach einer wahren Geschichte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Nach einer wahren Geschichte
    Von Carsten Baumgardt

    Sechs Oscarnominierungen (bester Hauptdarsteller Al Pacino, bester Nebendarsteller Chris Sarandon, beste Regie Sidney Lumet, bester Schnitt, bester Film), eine Auszeichnung (für Drehbuchautor Frank Pierson) und ein hervorragender Film: das Psycho-Drama Hundstage (Original: „Dog Day Afternoon“) ist gemeint. „Nach einer wahren Geschichte“, steht im Abspann. Das machte den niederländischen Dokumentarfilmer Walter Stokman neugierig, als ihm dies vor einiger Zeit das erste Mal überhaupt aufgefallen war. Es gab ihn also wirklich, diesen kuriosen Geiselnehmer, der eine Bank ausrauben wollte, um damit die Geschlechtsumwandlung seines transsexuellen Freundes zu bezahlen. Stokman gelingt mit „Nach einer wahren Geschichte“ eine höchst unterhaltsame, unkonventionelle Dokumentation, die dank ihrer Originalität über Schwächen hinweg hilft.

    An einem heißen Augustnachmittag des Jahres 1972 stürmen John Wojtowicz und Sal Naturale in die Brooklyner Filiale der Chase Manhattan Bank von New York. Was folgt, ist ein 14-stündiger Nervenkrieg mit acht Geiseln und am Ende einem Toten: Bankräuber Sal Naturale, der vom FBI erschossen wird. Wojtowicz wird zu 20 Jahren Knast verurteilt. Bei der Gerichtsverhandlung erklärt er seine skurrilen Motive. Er wollte seinem suizidgefährdeten, transsexuellen Freund Ernest Aron alias Liz mithilfe einer Operation ermöglichen, als Frau zu leben. Im Körper eines Mannes „festzustecken“, bereitete ihm enorme seelische Qualen. Am 4. Dezember 1971 „heirateten“ die beiden im Greenwich Village römisch-katholisch - Wojtowiczs zweite Ehe, seine erste mit Frau Carmen wurde geschieden. Sie haben zwei Kinder.

    In Sidney Lumets meisterhaftem Hollywood-Film aus dem Jahr 1975 wird Wojtowicz’ Sicht der Dinge nicht berücksichtigt, da er zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis saß und nicht mit Autor Frank Pierson kooperieren wollte. Die bittere Ironie der Geschichte: Ernest/Liz verkaufte die Filmrechte an Warner Bros. und leistete sich von dem Honorar die ersehnte Geschlechtsumwandlung - und Wojtowicz sah keinen Cent und die neue Elizabeth Debbie Eden, die 1987 an AIDS starb, nie wieder. Das verbittert ihn noch bis zum heutigen Tage. Seit dieser Zeit versucht er, seine eigene Version der Geschichte zu verkaufen. Und mit Dokumentarfilmer Stokman hatte er einen passenden Abnehmer gefunden. Und so beginnt „Nach einer wahren Geschichte“.

    Stokman rekonstruiert in seinem sechsten Dokumentarfilm die Ereignisse des Bankraubs mit Geiselnahme anhand von Archivmaterial und Interviews mit Zeitzeugen. Er versucht auch, John Wojtowicz vor die Kamera zu bekommen, um neue Fakten beizusteuern. Was zunächst wie eine nüchterne, klassische Doku seinen Lauf nimmt, wird durch einen nicht unbedeutenden Fakt in eine andere Richtung gelenkt: John Wojtowicz ist ein astreiner Spinner. Das macht Stokman schwer zu schaffen. Der ehemalige Bankräuber nennt sich selbst „The Dog“. Das ist auch das Kennwort, das Stokman benutzen soll, wenn er ihn per Telefon kontaktiert. Wojtowicz nimmt dann die Anrufe entgegen, behauptet aber eine dritte Person zu sein, die dann „The Dog“ ans Telefon holt. Zwei Knackpunkte: Wojtowicz will zuviel Geld – Geld, das Stokman nicht hat. Und er erzählt zuviel Unsinn, wie sich nach einiger Zeit herausstellt. „The Dog“ verlangt 28.000 Dollar für seine Version der Geschichte, Stokman bietet erst 18.000 Dollar nach Ende der Dreharbeiten, dann 9.000 Dollar im Voraus plus zehn Prozent der Nettoeinnahmen. „The Dog“ lehnt dies ab. Das führt schließlich dazu, dass der Jetztzeit-Wojtowicz nur einmal in „Nach einer wahren Geschichte“ in bewegten Bildern zu sehen ist – bei einer Ehrung von Drehbuchautor Frank Pierson war „The Dog“ Ehrengast und Stokman filmte dies mit. Ansonsten sind nur Fotos zu sehen und die Telefonate werden in die Handlung eingebaut.

    Das klingt nach einem echten Dilemma. Doch jetzt kommt der Clou: Es erweist sich für Stokman zum Glücksfall. Zum einen ist „The Dog“, der noch Jahrzehnte danach wie besessen von der Tat ist, höchst unglaubwürdig und es ist schwierig, zwischen Fakt und Fiktion, Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden. Zum anderen kaschiert der neue, extrem amüsante und höchst skurrile Handlungsstrang um die Bemühungen, „The Dog“ vor die Kamera zu bewegen, die Tatsache, dass Stokman zwar sehr sauber rekonstruiert, aber dem Fall auch nicht wirklich viel Neues zu entlocken hat. Die Ergänzung des klassischen Dokustils mit einem Schuss unfreiwilliger Komik macht aus „Nach einer wahren Geschichte“ etwas Besonderes, das so nicht beabsichtigt war, aber gerade deshalb funktioniert.

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