Zu klein für die große Leinwand
Von Julius VietzenDie Entscheidung, die Fortsetzung zum Animationsfilm „Vaiana“ nicht als Serie auf Disney+ zu veröffentlichen, sondern als Kinofilm auf die große Leinwand zu bringen, gilt jetzt schon als eine der besten in der zweiten Ära von Disney-CEO Bob Iger. Denn „Vaiana 2“ erzielte neben zahlreichen Rekorden den erfolgreichsten Kinostart des Jahres 2024 in Deutschland. Was das alles mit „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ zu tun hat? Ganz einfach: Hier wäre es andersrum womöglich besser gewesen.
Der „Herr der Ringe“-Anime von Regisseur Kenji Kamiyama ( „Blade Runner: Black Lotus“) war nämlich von Anfang an fürs Kino bestimmt, wirkt auf der großen Leinwand aber nicht überzeugend genug: zu steif und abgehackt sind die Animationen der Figuren, zu emotionslos wirken ihre Gesichter. Das wäre auf den heimischen Bildschirmen weniger stark ins Gewicht gefallen als im Kino. Trotzdem ist „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ wenigstens in Ansätzen eine schöne und gelungene Rückkehr in die Welt der Mittelerde-Filme von Peter Jackson.
200 Jahre, bevor Bilbo Beutlin den Einen Ring von Sauron findet und damit schließlich die Ereignisse des Ringkriegs auslöst, wird das Reich Rohan von König Helm Hammerhand (Stimme im Original: Brian Cox) regiert. Als eines Tages Freca (Shaun Dooley), der Herrscher der zu Rohan gehörenden Westfold, am Hof des Königs vorstellig wird, um seinen Sohn Wulf (Luke Pasqualino) mit Helms Tochter Héra (Gaia Wise) zu vermählen, kommt es zu einer Tragödie: Nach einem Streit tötet Helm seinen Kontrahenten Freca mit einem einzigen Fausthieb. Wulf schwört blutige Rache.
Einige Zeit später stellt sich heraus, dass das nicht bloß leere Worte waren: Héra trifft bei einem Ausritt auf einen elefantenähnlichen Mumak, der sich als Vorgeschmack auf Wulfs Armee herausstellt. Nach einer verheerenden Niederlage und der Zerstörung von Rohans Hauptstadt Edoras sind der schwer verletzte König und seine Tochter gezwungen, sich mit den Überlebenden in die Hornburg zurückzuziehen. Während der Winter anbricht und Wulf und seine Männer die mächtige Festung belagern, muss Héra über sich hinauswachsen und ihr Volk anführen...
„Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ beginnt im bestmöglichen Sinne wie die „Der Herr der Ringe“-Trilogie von Peter Jackson: mit dem Logo von New Line Cinema, den majestätischen Panoramen von Mittelerde und der mit zwei Oscars ausgezeichnete Filmmusik von Howard Shore. Denn der schon an der „Der Hobbit“-Trilogie beteiligte Komponist Stephen Gallagher zitiert diese so gekonnt, dass in den ersten Gänsehaut-Minuten die Illusion beinahe perfekt ist. Doch es sind halt nur wenige Minuten...
Spätestens, wenn Héra nach einem Ausritt und einer Begegnung mit zwei der riesigen Adler aus Mittelerde nach Edoras zurückkehrt und die ersten ruhigeren Dialogszenen einsetzen, lässt sich nicht mehr verheimlichen, dass der Animationsstil von „Die Schlacht der Rohirrim“ für die große Leinwand ungeeignet ist. Zu statisch sind die Gespräche inszeniert, zu emotionslos die immer wieder in Nahaufnahmen gezeigten Gesichter und zu abgehackt viele Animationen, auch abseits der Kämpfe.
Das trägt nicht nur dazu bei, dass die etwas uneinheitliche Darstellung der bei J.R.R Tolkien noch namenlosen Hauptfigur Héra immer wieder heraussticht. So ehrenwert es auch ist, nach den „Der Herr der Ringe“- und „Der Hobbit“-Filmen erstmals eine weibliche Figur in den Mittelpunkt zu setzen, konnte sich das vierköpfige Drehbuchteam anscheinend nie so richtig entscheiden, ob Héra nun eine taffe Kriegerprinzessin oder ein hilfloser Spielball des Konflikts ist. So schwankt die Figur zwischen diesen beiden Extremen.
Der Animationsstil sorgt auch dafür, dass in vielen Momenten der emotionale Funke nicht überspringt: So fehlt der ersten großen Actionszene, der Schlacht um Edoras, im Vergleich zu „Die Zwei Türme“ oder „Die Rückkehr des Königs“ die epische Dimension. Auch dem frühen Tod von zwei wichtigen Nebenfiguren geht jedwede Tragik ab. Das liegt aber weniger am Medium Anime als daran, wie Regisseur Kenji Kamiyama und die anderen Verantwortlichen damit umgehen.
„Die Schlacht der Rohirrim“ setzt sich gewissermaßen zwischen die Stühle Realfilm und Anime und wird so im Endeffekt keinem der beiden wirklich gerecht. Denn auch die Möglichkeiten, die das Medium Anime bietet, um etwa die Feinheiten menschlicher Gesichtsausdrücke in Großaufnahmen darzustellen, werden nicht genutzt – offenbar, um stilistisch möglichst nah an den Realfilmen zu bleiben. Ein gigantischer Belagerungsturm ist so fast das einzige Element aus „Die Schlacht der Rohirrim“, das nicht genauso auch in einem der Realfilme von Peter Jackson vorkommen könnte.
Das heißt aber nicht, dass es in „Die Schlacht der Rohirrim“ nicht auch immer wieder gelungene Szenen gäbe: Den letzten Kampf einer zentralen Figur inszeniert Kamiyama etwa als eine wirklich heroische Schnee-Actionszene. Da wird die umzingelnde gegnerische Übermacht immer größer und das Schneegestöber immer dichter, während die Kamera sich langsam aus der Sequenz zurückzieht. Zudem kann der Regisseur auch aus den Nachwirkungen dieser Szene emotionales Kapital schlagen – auch wenn das zu einem nicht unerheblichen Teil der ein weiteres Mal aus den Peter-Jackson-Filmen entlehnten Musik zu verdanken ist.
Fazit: „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ bietet eine willkommene Rückkehr nach Mittelerde, insbesondere dank der gekonnten Anleihen an die Musik und Bilder der Peter-Jackson-Filme. Das heizt sogar die Vorfreude auf die kommenden, mit „The Hunt For Gollum“ startenden neuen Realfilme an. Allerdings schwächelt der Film durch steife Animationen, unzureichend inszenierte Dialoge und eine nicht konsequent ausgearbeitete Hauptfigur. Der Animationsstil bleibt zwischen Anime und Realfilm hängen und nutzt so das Potenzial keiner der beider Welten aus.