Ben Affleck ist möglicherweise der unterschätzteste Schauspieler seiner Generation. Immer wieder hagelt es Häme und Spott für seine angeblich ausdruckslosen Darstellungen. Mit schwachen Auftritten in „Daredevil" und „Pearl Harbor" hat er sicher seinen Teil zu dieser Einstellung beigetragen, doch diesen Ausrutschern stehen auch einige Glanzlichter entgegen, vor allem in den Filmen seines Buddys Kevin Smith („Chasing Amy", „Dogma"). Und was lange übersehen wurde: Affleck ist mehr als nur Schauspieler. Seine Eintrittskarte nach Hollywood war schließlich das mit Matt Damon verfasste und mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch zu „Good Will Hunting". 2007 knüpfte Affleck an diesen Erfolg an, als er den Roman „Gone Baby Gone" zu seinem Langfilm-Regiedebüt verarbeitete, mit dem er erneut zahlreiche Filmpreise gewann. Mit seiner zweiten Kino-Regiearbeit geht Affleck nun in die Vollen. Bei der Romanverfilmung „The Town" zeichnet er nicht nur für Skript und Regie verantwortlich, sondern hat auch noch die Hauptrolle übernommen, die er in seinem Debüt noch seinem Bruder Casey Affleck überließ. Die volle Affleck-Dröhnung kommt an. Denn der packende Bankraub-Thriller paart geschickt Action mit Drama und hat zudem eine Reihe exzellenter Co-Stars zu bieten.
Boston ist die Bankräuber-Metropole schlechthin. Die überwiegende Zahl der Verbrecher kommt aus dem Viertel Charlestown, wo der Job von Generation zu Generation weitervererbt wird. So wurde auch Doug McRay (Ben Affleck) zum Dieb. Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Jem (Jeremy Renner), Auto-Spezialist „Gloansy" (Slaine) und dem Alarm-Experten Desmond (Owen Burke) überfällt er im Auftrag des skrupellosen „Paten" Fergie (Pete Postlethwaite) Banken und Geldtransporter. Sein Motto: saubere, schnelle Arbeit, ohne dass jemand verletzt wird. Doch der jüngste Auftrag lief nicht ganz glatt. Der heißblütige Jem hat nicht nur einen Angestellten übel zugerichtet, sondern auch zwischenzeitig die Bankmanagerin Claire (Rebecca Hall) als Geisel genommen. Weil Jem fürchtet, Claire könnte zu viel gesehen haben, will er sie aus dem Weg räumen. Doug versucht dies mit allen Mitteln zu verhindern und macht sich selbst an Claire ran, um so herauszufinden, ob sie wirklich etwas weiß. Währenddessen wird Jem immer unberechenbarer. Gemeinsam mit Auftraggeber Fergie drängt er auf immer weitere Überfälle, während die Bande längst in den Fokus einer Spezialeinheit um die FBI-Agenten Adam Frawley (Jon Hamm) und Dino Ciampa (Titus Welliver) geraten ist...
Zum naheliegenden Vergleich: Ja, „The Town" schlägt bisweilen eine ähnliche Richtung wie „Heat" ein, aber die Unterschiede sind trotzdem gewaltig, nicht nur weil es zur Klasse von Michael Manns Meisterwerk eben doch nicht ganz gereicht hat. „The Town" setzt auch sonst deutlich andere Schwerpunkte. Der Fokus liegt hier klar auf dem Bankräuber, der von „Mad Men"-Star Jon Hamm mit viel Charisma verkörperte FBI-Agent erlangt erst nach und nach Bedeutung, ein ausgefeilter Hintergrund wie bei den restlichen Figuren bleibt ihm verwehrt. Einen solchen skizzieren Affleck und sein Co-Autor/Jugendfreund Aaron Stockard, die das endgültige Drehbuch auf Grundlage eines ersten Entwurfs von Peter Craig erstellten, für jede Figur mit wenigen Pinselstrichen. McRay ist eigentlich kein so übler Bursche und wäre sogar beinahe Eishockeyprofi geworden. Kumpel Jem ist unberechenbar und saß bereits neun Jahre hinter Gittern, weil er einen Menschen umgebracht hat. Und die schöne Claire stellt ihr soziales Engagement über alles. Als weiteren Hauptdarsteller porträtiert Affleck erneut seine Heimatstadt Boston, in der er zwar nicht geboren, aber aufgewachsen ist. Er zeigt die Iren-Hochburg als Ort für Männer mit Tätowierungen und der nötigen Härte. Hinzu kommt eine Reihe von Nebenfiguren, die das Beziehungsgeflecht frühzeitig verdichten und einiges an Konfliktpotential für spätere Spannungsverschärfungen bergen.
Die Einführung der Charaktere ist zwar fast ein bisschen zu konventionell, aber was Affleck dann daraus macht, ist schlichtweg großartig. Nach einem kurzen Info-Text-Intro schmeißt er den Zuschauer sofort in die erste Actionszene, um dann erst einmal gewaltig vom Gas zu gehen, aber anschließend noch einmal umso heftiger durchzustarten. Bei den Actionssequenzen setzen Affleck und sein Kameramann Robert Elswit („There Will Be Blood", „Salt") auf Nähe und den dynamischen Einsatz der Handkamera. Dabei erhöhen sie nach und nach Tempo und Intensität, so dass die insgesamt drei Raubzüge, die über den Film verteilt sind, eine steil ansteigende Gerade bilden. Läuft der erste Überfall noch mit recht wenig Widerstand ab, folgt dem zweiten eine rasante Verfolgungsjagd quer durch die engsten Gassen von Boston. Beim dritten schaltet Affleck dann noch einen Gang höher und sorgt so für ein wahrhaft furioses Finale.
Im Vergleich zu „Gone Baby Gone" hat sich Affleck etwas dem Mainstream angenähert. „The Town" ist geradliniger, konventioneller, aber deshalb nicht schlechter. War bei seinem Erstling der Genreeinschlag nur Anlass für komplexe moralische Fragen, die sich darunter verbargen, ist eine solche zweite Ebene in „The Town" nun merklich weniger stark ausgeprägt. Dafür schraubt Affleck die Spannungsschraube weiter fest: Da ist vordergründig natürlich die Jagd des FBIs auf McRay, aber auch die stetige Angst, dass Claire seine wahre Identität erkennen könnte. Als besonders gelungen erweist sich zudem der langsam entstehende Riss in der Freundschaft von McRay und dem von dem gewohnt brillanten Jeremy Renner („Tödliches Kommando - The Hurt Locker") gespielten Jem. Dazu kommen bekannte Genre-Charaktere wie der Boss, der seinen besten Mann nicht ziehen lassen will, oder die eifersüchtige Quasi-Freundin (Blake Lively, „Gossip Girl (Gossip Girl)").
„The Town" ist richtig gutes und spannendes Kino, weil die Zutaten vor und hinter der Kamera stimmen. Affleck beweist erneut, dass er als Regisseur einmal zu den ganz Großen gehören könnte und eine ähnliche Karriere wie die von Clint Eastwood auch für ihn denkbar scheint. Wie er aus einem Aufeinandertreffen von McRay, Jem und Claire, die eine von Jems Tätowierungen kennt und so hinter das Geheimnis kommen könnte, den Suspense herauskitzelt, ist meisterhaft. Die Action sitzt ebenfalls, so dass man die allzu skizzenhafte Aufladung der Figuren gerne verzeiht. Und zwar auch deshalb, weil diese Figuren von einem durch die Bank erstklassigen Ensemble verkörpert werden, in dem selbst Mini-Rollen von gestandenen Schauspielgrößen wie dem Oscar-Preisträger Chris Cooper („Adaption", „American Beauty") verkörpert werden.