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    Die Duellisten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Duellisten
    Von Jonas Reinartz

    „Dynamik ist alles im Kino. Dabei geht es um Information. Dynamik meint nicht Verfolgungsjagden und Schlachten - das kann es meinen - tatsächlich geht es um neue Information in Bezug auf den durchgehenden Subtext, also die Story. Das ist echte, wahre Kino-Dynamik“ (Ridley Scott) [1]

    In nahezu jedem Artikel, der sich mit Ridley Scott, Starregisseur Jahrgang 1937 und ab dem 15. November 2007 mit dem Gangsterepos American Gangster in den deutschen Kinos, auseinandersetzt, fällt ein Zitat, das jenem sehr leicht von den Lippen gekommen sein dürfte: „Creating worlds.“ Im Grunde geht es um genau diesen Vorgang bei jeglicher Art von künstlerischer Beschäftigung, sei es Literatur, Theater, Film oder bildende Kunst, doch bei Scott ist sie derartig in den Vordergrund gerückt, dass seine Kritiker nicht müde werden, gegenüber seinem gesamten Oeuvre den Vorwurf zu äußern, die Form triumphiere über den Inhalt. Völlig unbegründet ist er freilich nicht. Der u.a. am renommierten West Hartlepool College of Art ausgebildete Brite ist mit einem im zeitgenössischen Mainstream-Kino nahezu konkurrenzlosen visuellen Talent gesegnet, hinter dem gelegentlich Charakter- und Storyentwicklung merklich vernachlässigt werden. Oft sind da die Figuren lediglich Agenten widerstrebender Pole, wie auch in seinem Erstlingswerk, dem Historien-Drama „Die Duellisten“ aus dem Jahre 1977, dessen traumhaft schöne Bilderwelten zum Engagement bei Alien führen sollten, der schließlich seinen Weltruhm begründete. Die einer Novelle Joseph Conrads entnommene Handlung wirkt sichtlich gestreckt und trotz Schauspielern wie Harvey Keitel (Taxi Driver, Reservoir Dogs) und Keith Carradine (Kill Bobby Z) vermag das Ergebnis nur gelegentlich wirklich zu fesseln, ist jedoch dank seiner faszinierenden Schauwerte nicht nur für Anhänger des Regisseurs mehr als einen Blick wert.

    Der französische Leutnant Gabriel Feraud (Harvey Keitel) ist ein unverbesserlicher Hitzkopf. Bei unzähligen vermeidbaren Duellen riskiert er regelmäßig Kopf und Kragen, nur um seine „Ehre“ zu retten oder zumindest das, was er unter diesem Begriff versteht, obwohl die Zeit der Napoleonischen schon für sich genommen alles andere als ungefährlich ist. Aus einem wie gewohnt nichtigen Grund sucht er sich als neuestes Opfer den eitlen Pfau Armand D’Hubert (Keith Carradine) heraus, den er prompt besiegt. Doch es bleibt nicht bei einer einzigen Konfrontation, wieder und wieder begegnen sich die beiden Streithähne und bekämpfen sich bis aufs Blut. Im Gegensatz zu Feraud scheint der feinsinnige D’Hubert ein geregeltes und ruhiges Leben dem ständigen Adrenalinrausch vorzuziehen. Wohin er jedoch auch zieht, sein Verfolger ist nie weit. Daher ist eine finale Konfrontation unausweichlich.

    Als Ende 1975 Stanley Kubricks Barry Lyndon erschien, machten nicht wenige Rezensenten aus ihrer maßlosen Enttäuschung keinerlei Hehl, ohne sich die Mühe zu machen, die Intentionen des Regisseurs zu entschlüsseln. Der eigentbrötlerische Misanthrop hatte anstelle der antizipierten abenteuerlichen Schelmengeschichte eine mit eiskalter Präzision konstruierte brillante Bestandsaufnahme der Gesellschaft des ausgehenden 18. Jahrhunderts inszeniert. Hauptvorwurf war vornehmlich die geradezu beängstigende Perfektion der oscarprämierten Tableaus von Kameramann John Alcott, welche die leblosen Figuren vollends überlagern würden. Erst Jahrzehnte später scheint das Werk seine verdiente Anerkennung zu erhalten und zählt im Nachhinein zu den herausragendsten unterschätzten Filmen der 70er Jahre. Auf den jungen Werberegisseur Ridley Scott scheint es bereits damals einen gewaltigen Eindruck ausgeübt zu haben. Obwohl bereits sein eigener, im Wesentlichen aus dem Dynamik schaffenden Spannungsverhältnis zwischen Totalen und Closeups bestehender Stil, leicht beeinflusst durch Sergio Leone (Für eine Handvoll Dollar, Spiel mir das Lied vom Tod), erkennbar ist, stellt „Die Duellisten“ formal eine einzige große Hommage an besagten Kubrick-Film dar. Man könnte argumentieren, dass ein derartiger Historienfilm ohne Anleihen an Künstler wie John Constable oder William Hogarth undenkbar schiene und so falsch ist dies nicht, doch Scott scheint aus seiner Bewunderung kein Geheimnis zu machen, selbst den inzwischen legendär gewordenen, die Perspektive eines von einem Gemälde zurücktretenden Betrachter imitierenden Rückwärts-Zoom verwendet er ausgiebig.

    Wo Kubrick bewusst eine vor lauter Gefühlskälte erstarrte, von - metaphorisch gesprochen - lebendig gewordenen Wachsfiguren bevölkerte Welt zeigt und eine profunde Analyse des europäischen absolutistischen Systems am Morgen der Französischen Revolution präsentiert, belassen es Scott und sein Drehbuchautor Gerald Vaughan-Hughes bei einer simplifizierenden Figurenzeichnung ohne profunde Kritik damaliger Normen. Feraud und D’Hubert wecken kaum Interesse, Letzterem wurde gar eine in der Literaturvorlage nicht vorhandene Liebesbeziehung verpasst, was deutlich zu merken ist und für diverse Längen sorgt. So nuanciert etwa ein Schauspieler wie Harvey Keitel auch sein mag, von Drehbuch und Regisseur im Stich gelassen, ist er lediglich in der Lage, ein passable Darstellung zu vollbringen, ebenso Keith Carradine, der es nie vermag, seinen im Wesentlichen durch eitle und wehleidige Züge charakterisierten D’Hubert dem Publikum nahe zu bringen. Dass sein Anliegen nicht die Reflexion ist, legt Scott nicht zuletzt in den Duellszenen dar. Mit den klassischen Mitteln des Action-Kinos vermögen jene technisch brillanten Szenenfolgen den unterhaltungsbedürftigen Zuschauer zu befriedigen, welcher jedoch die übrigen, ihm recht spannungsarm erscheinenden Teile des Films eher weniger goutieren wird. Es sei denn, er gibt sich mit den zweifelsohne vortrefflich gestalteten Panoramen und stimmungsvollen Interieurs zufrieden. Der später von Scott perfektionierte Hybrid aus im Grunde schematischem Genre-Kino und der ihm eigenen, in gleichen Anteilen in Werbeikonographie und klassischer Malerei begründeten Ästhetik mutet (noch) ein wenig phlegmatisch an.

    Dies heißt jedoch nicht, dass seine Filme im Allgemeinen lediglich selbstverliebte Fingerübungen oder unpersönliche Kommerzware seien, er zelebriert hingegen die in den Anfangstagen des Kinos noch fassungslos bestaunte Magie der bewegten Bilder wie kein Zweiter und liefert zudem, gerade in seinen späteren, augenscheinlich „glatten“ Action-Filmen, kühl arrangierte Versuchsanordnungen über die existenziellen Krisen einer Welt, die längst aus den Fugen geraten ist. Betrachtet man William Thackerays „Barry Lyndon“ als pervertierten Bildungsroman, so sind die Arbeiten des von der Queen geadelten Regiestars wiederum mit Populärelementen versehene filmische Vertreter dieser Gattung. Seine Helden sehen sich fast ausnahmslos mit dem Geworfensein in eine außergewöhnlich feindselige Welt konfrontiert und müssen an ihren Herausforderungen wachsen, häufig personifiziert in recht schematisch erscheinenden Antagonisten. Dies als Schwäche auszulegen, geht am Ziel vorbei, ebenso wie einem Black Hawk Down Rassismus vorzuhalten. Wenn eine merkliche Schwäche in Scotts Schaffen existiert, dann ist es die aus seiner negativen Weltsicht resultierende, trotz seinem inzwischen stark herangereiften Talent zur Schauspielführung, Tendenz, und auch hier ähnelt er dem allerdings weitaus grüblerischen Kubrick, ihn hinsichtlich dieses Aspekts desöfteren wörtlich zitierend, die Analogie zwischen Filmemachen und Schachspiel zu betonen. Dies meint eben nicht nur die konkrete organisatorische Realisation, sondern auch das Ineinandergreifen der einzelnen Glieder bzw. Spielfiguren. Charaktere sind für beide ein Mittel zum Zweck, bestimmte Funktionen verkörpernde Hülsen innerhalb eines großen Ganzen. Charakteristisch für Scott ist nun, dass er den Plot so betont wie kaum ein anderer Regisseur, in mit bestechender Präzision komponierte Einzelbilder zerlegt. Innerhalb seines filmischen Universums erzählt jedes Einzelbild ausdrücklich eine individuelle Geschichte, die Figur innerhalb dieses Rahmens ist nur Element, nicht Zentrum.

    Folglich ist von einem der wahrlich raren Mainstream-Auteurs zu sprechen. Dass Ridley Scott mit seinem Debüt noch kein erstklassiges Werk vorlegen konnte, verwundert nicht, doch sind bereits seine inhaltliche Präferenzen und charakteristische Mise en Scène zu erkennen. Infolgedessen kann „Die Duellisten“ dennoch Freunden gehobenen Unterhaltungskinos, der Filme des detailversessenen Akkordarbeiters und vor allem Kunstliebhabern empfohlen werden. Ein purer Augenschmaus ist dieses recht unbekannte Kleinod virtuoser Bildmagie allemal.

    [1] www.artechock.de/film/text/interview/s/scott_2005.htm

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