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    Inland Empire - Eine Frau in Schwierigkeiten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Inland Empire - Eine Frau in Schwierigkeiten
    Von Christian Horn

    „Inland Empire“, der neue Film von David Lynch, seine erste mit einer DV-Kamera realisierte Arbeit, ist in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Zum einen für den Regisseur selbst, der sein eigenwilliges und sperriges Werk bei keinem Verleiher unterbringen konnte und es schließlich selbst in die Kinos bringen musste; zum anderen für den Zuschauer, der sich fast drei Stunden lang in einem abstrakten Geflecht aus Zeichen und subtilen Andeutungen zurechtfinden muss. Mit Ausnahme von Der Elefantenmensch und The Straight Story leben alle Filme des amerikanischen Kult-Regisseurs von einer surrealen, atmosphärisch aufgeladenen Geschichte, die sich den üblichen Sehgewohnheiten und einer Sinnerschließung seitens des Zuschauers konsequent verweigern und es dem Publikum dadurch mitunter schwer machen und es beständig gegen verschlossene Türen laufen lassen. Dass Lynch selbst keine Deutungsansätze preisgibt und sich in Interviews in Schweigen hüllt, tut das Übrige und es gibt wohl kaum Filme, über deren Sinn und Zweck mehr diskutiert worden ist, als über die von David Lynch.

    Die Rahmenhandlung ist schnell erklärt: Der angesehene Regisseur Kingsley Stewart (Jeremy Irons; Der Kaufmann von Venedig, Stirb langsam 3) will das Remake eines Liebesdramas drehen, das nie fertig gestellt worden ist, weil die beiden Hauptdarsteller während des Drehs ermordet worden sind. Dazu engagiert er die beiden Schauspieler Devon Berk (Justin Theroux; Lost Highway, Mulholland Drive) und Nikki Grace (Laura Dern; Jurassic Park), die sich von der Rolle ein Comeback erhoffen. Schon zu Beginn der Dreharbeiten wird klar, dass hier irgendetwas nicht stimmt und im Verlauf des Films, der sehr subjektiv aus der Perspektive Laura Derns erzählt wird, verschwimmen Realität und Fiktion, Wahn und Wirklichkeit immer mehr. Weder der Zuschauer noch die Protagonistin können eine klare Entscheidung treffen, was nun wirklich passiert und was sich in der Psyche Nikkis abspielt. Weiter verwirrt wird der Betrachter durch unerklärbare, abstruse Szenen wie nicht übersetzte Gespräche polnischer Männer, extravagante Tanzeinlagen und seltsame Szenarien mit Menschen in Hasenkostümen (?!), die Erinnerungen an Donnie Darko wachrufen. Spätestens bei diesen Szenen merkt man, dass Lynch auch mit ironischen Mitteln arbeitet und gewissermaßen - zumindest darf das vermutet werden - einen Film über Lynch-Filme gemacht hat.

    Obwohl die Geschichte immer verwirrender wird und über Zusammenhänge zwischen den Ereignissen nur spekuliert werden kann, entwickelt der Film einen fesselnden Eindruck auf den Betrachter, der immer wieder versucht, die unzähligen Anspielungen und Andeutungen zu einem Gesamtbild zusammen zu fügen - womit er auch die Rolle der Protagonistin einnimmt und den Verlauf der Geschichte dicht an ihrer Seite erlebt. Das liegt einerseits an dem perfekten Spiel Laura Derns, die nach Blue Velvet und Wild At Heart zum dritten Mal mit Lynch zusammenarbeitet, und alle Szenen des Films mit ihrer Präsenz füllt und zum anderen an der ästhetisch absolut überzeugenden und ungewöhnlichen Umsetzung. Wieder einmal schafft Lynch eine Atmosphäre, die beängstigend und faszinierend zugleich ist und rein optisch eine Symbiose aus „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“ darstellt, mit sehr dunklen und sehr hellen Einstellungen. Fast jede Szene nimmt den Zuschauer gefangen, was die lange Laufzeit, die nicht ganz ohne Anstrengung überwunden wird, erträglich macht. Lynch arbeitet mit Unschärfen, Überblendungseffekten, verzerrten Nahaufnahmen und Bildcollagen, die deutlich länger sind als vergleichbare Passagen aus seinen früheren Filmen. Außerdem nutzt er wieder gekonnt die Tonebene, um beunruhigende Stimmungen und Momente zu erzeugen. Somit wird „Inland Empire“ ein Film, der seinen Inhalt in erster Linie durch die Ästhetik, durch Stimmungen und atmosphärische Reize transportiert, was sicherlich nicht jedermanns Sache ist.

    Erwähnenswert ist das Spiel mit der „Film-im-Film“-Ebene: Immer wieder bekommt der Zuschauer Szenen zu sehen, die er im ersten Moment für die Realität des Films hält und die sich dann in eine Szene am Set auflösen (ähnlich wie der Anfang von Truffauts „Die amerikanische Nacht“ oder der von Almodovars „Mein blühendes Geheimnis“). Und obwohl der Zuschauer mit der Zeit auf diese Überraschungen vorbereitet ist, gelingt es Lynch immer wieder, mit dieser Taktik zu verwirren. Gegen Ende darf man sich ordentlich hinters Licht geführt vorkommen, wenn Lynch völlig unerwartet die Kamera zurückfahren lässt und eine längere Szene in einen Filmset überführt und damit die Grenze zwischen Realität und Fiktion endgültig und unauflösbar verwischt. Während Nikki immer mehr ihre eigene Identität mit ihrer Rolle vermischt, wird die Trennlinie zwischen „Film“ und „Film im Film“ ebenfalls immer dünner - bis sie letztlich komplett aufgehoben wird. Die Ästhetik von Lynchs Film reflektiert also die inhaltliche Ebene und verstärkt sie; genau wie die Ereignisse wird auch die Gestaltung immer abstrakter.

    Wie schon der Titel andeutet, ist „Inland Empire“ ein sehr subjektiv erzählter Film, ein Verwirrspiel, das den Zuschauer aktiv mit einbezieht und sich der Beantwortung offener Fragen oder gar dem Schließen eines Kreises entschieden verweigert. Das hervorragende Schauspiel Laura Derns, die vielleicht die beste Leistung ihrer Karriere liefert, und Lynchs stilistisch einwandfreie und höchst atmosphärische Ausgestaltung halten den Film zusammen und lassen ihn zu einem überaus filmischem Ereignis werden. In der Schlussszene sind zwei Frauen zu sehen, die sehr an die weiblichen Hauptfiguren aus „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“ erinnern und Lynchs neuen Film als Abschluss einer Trilogie erahnen lassen. „How weird", sagt eine der Frauen als Abschiedsgruß in die Kamera - woran man sich nur anschließen kann. Die Szenen seien so über ihn gekommen, erklärte er in einem Interview, und dem Zuschauer geht es da nicht anders.

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