Motivationslos und ohne Ziel für sein Leben hangelt sich der halbwüchsige Armin durch die Tage seines jungen Lebens. Ohne Aussicht auf einen Job entzieht er sich dem zunehmenden Druck seiner Familie durch die Flucht in eine Parallelwelt. Er stilisiert sich zum Gewalttäter, indem er gefälschte Bekennerbriefe zu Vorfällen in seiner unmittelbaren Umgebung verfasst. Christoph Hochhäusler geht in seinem Psychogramm „Falscher Bekenner“ der Frage nach, was den jungen Mann zu einer solch widersinnig erscheinenden Handlung bewegt und zeichnet dabei meisterhaft das kühle Portrait einer ganzen Generation.
Das Hinausdriften des Protagonisten aus seinem sozialen Umfeld ist keineswegs vorbestimmt. Der antriebsschwache Schulabgänger ist weder chancenlos unintelligent, kommt aus einer anständigen bürgerlichen Familie mit Haus, Garten und erfolgreichem großen Bruder und pflegt keinen schlechten Umgang. Genau besehen pflegt er überhaupt keinen Umgang mit anderen Menschen, er konfrontiert sich mit Ihnen nur dann, wenn es unvermeidlich ist. An gut gemeinten Hilfsangeboten mangelt es nicht, Armin ist jedoch unfähig, sich darauf einzulassen. Dieser konsequente Rückzug aus der gesellschaftlichen Realität ist für sein direktes Umfeld nicht begreiflich. So reagiert die Familie mit erniedrigenden Maßregeln, um das schwarze Schaf der Familie wieder auf den rechten Weg zum wertvollen Mitglied der Gesellschaft zu führen: innerfamiliäres Bewerbungstraining und die Auflage, jeden Tag mindestens eine Bewerbung zu schreiben. Das gut Gemeinte beschleunigt zwangsläufig die tiefe Entfremdung: statt in Bewerbungen seine vorteilhaften Eigenschaften ins Licht zu rücken, beschreibt Armin sich selbst als Urheber von Unglücksfällen, die in seinem Wohnort, einer tristen Vorstadt von Mönchengladbach, geschehen. So wie die Eltern nicht in der Lage sind, in ihrem Sohn ein Individuum zu sehen, ist auch er nicht fähig, eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln. Die Perspektive der Eltern, den Nachwuchs ausschließlich danach zu beurteilen, inwieweit er die eigenen Wünsche und Ziele übernimmt und weiterführt, drückt sich in großer Hilflosigkeit im Umgang mit dem so anders veranlagten Sohn aus. Trotz seiner inneren Abwehr gegen diese Schablonensicht auf ihn selbst ist Armin kaum in der Lage, dieser Perspektive etwas entgegen zu setzen – zumindest nicht in einem normalen Rahmen. So schlüpft er heimlich in die Rolle eines Antihelden und bastelt sich seine Rolle aus Medienberichten.
Die Bildgestaltung in Hochhäuslers zweitem Langfilm nach „Milchwald“, der 2003 im Internationalen Forum des jungen Films auf der Berlinale Aufmerksamkeit weckte, gibt die Wahrnehmungsmuster des Protagonisten eindringlich an den Betrachter weiter. Die Farbpalette konzentriert sich auf Blau- und Grautöne, die kaum durch Farbtupfer unterbrochen werden. Durch diese gleichmütige Welt bewegt sich eine ebensolche Kamera. Die Ereignisse erscheinen in mäßigem, fast trägem Tempo ohne äußerlich eine Dynamik zu entwickeln. Diese spielt sich wie bei Armin im Inneren ab, von außen nur chiffriert wahrnehmbar. Die Frage, was sich in einem unauffälligen, eher sanftmütig wirkenden Jugendlichen abspielt, um als Gewalttäter aufzutreten, beantwortet der 1972 geborene Regisseur durch die Bilder. In einer Schlüsselszene treffen Armin und ein Bekannter aus Schultagen in einer Bewerbungssituation aufeinander – beide hinter weißen, fast konturlosen Masken versteckt. Was als Ausnahmesituation gedacht ist, um die Reaktion der Bewerber zu testen, scheint für Armin zum Lebensgefühl geworden zu sein. Seine Persönlichkeit wird von seinen Mitmenschen nicht wahrgenommen, es gibt in seinem Leben nicht einen Menschen, der in ihm etwas Einzigartiges sieht, etwas, das ihn von anderen abhebt. Bestätigt wird dieses Gefühl durch die Begegnung mit einem Mädchen, für das Armin schüchternes Interesse entwickelt. Seine unbeholfenen Versuche, zu ihr in Kontakt zu treten, pariert sie mit konsequenter Missachtung. Er ist für sie nicht einmal interessant genug, um eine Auseinandersetzung anzufangen.
Diese fehlende Rückmeldung auf die eigene Person von außen transportiert Hochhäusler durch eine schnurgerade Erzählweise, die sich nicht mit aufgesetzten Emotionalitäten aufhält. Das Bild, das er von seiner Hauptfigur und damit von einer ganzen Generation zeichnet, ist ein hoffnungsloses. In einer Welt der absoluten Gleichwertigkeit findet der Nachwuchs keine Orientierung mehr, an der er sich festhalten könnte – nicht einmal ein Abstoßen von Werten und Normen scheint mehr möglich. Die Grenzen des Akzeptablen sind so dehnbar geworden, dass man Widerstand nur noch zu spüren bekommt, wenn man ins Extrem geht. Nur so gelingt es auch, wirklich gesehen zu werden. Sowohl die eigenen Eltern als auch die Angehimmelte blicken Armin erstmals intensiv an, als er abgeführt wird.
Die große Stärke des Films ist es, die innere Wahrnehmungswelt des Protagonisten konsequent auf der Leinwand weiter zu führen. Die trostlose Gleichmütigkeit der Bilder, das vollständige Fehlen emotionaler Bewegtheit im Handlungsverlauf führt das Medium Film auf sein Eigentliches zurück: die Bilder liefern nicht nur was fürs Auge zu einem Dialog, sie sprechen für sich. Die durchgängige Tristesse ist jedoch stellenweise ebenso schwer zu ertragen wie für den Protagonisten sein Leben. Die Leistung des jungen Constantin von Jascheroff ist es, die über die gesamte Länge des Films trägt und die berührt. Hochhäusler hält für seine Figur keinen Ausweg offen, von Beginn an strebt sie ebenso unbewusst wie zielstrebig auf die Katastrophe zu. Kein Film also für den Einstieg in ein vergnügliches Wochenende, sondern stilistisch ausgefeilte Filmkunst. In der wichtigen Reihe „Un certain regard“ des Filmfestivals Cannes wurde der Film zusammen mit Benjamin Heisenbergs „Schläfer“ als das Aufkeimen einer „Neuen Welle“ des deutschen Films gefeiert. Dass eine Gruppe junger deutscher Regisseure sich explizit auch theoretisch mit Kino und Film auseinander setzen, kann man in der Zeitschrift „Revolver“ nachlesen, die Heisenberg und Hochhäusler gemeinsam herausgeben.