Lu Chan, Regisseur des preisgekrönten „The Missing Gun“, ist mit seinem zweiten Spielfilm „Kekexili – Mountain Patrol“ ein größtenteils faszinierender Einblick in eine fremde Welt gelungen. In ruhigen Bildern erzählt er eine spannende Geschichte von Männern, die in einer wunderschönen, aber auch menschenfeindlichen Umgebung ihr Leben aufs Spiel setzen, um bedrohte Tierarten vor Wilderern zu schützen. Was wie ein Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Naturfreunden und -feinden beginnt, entwickelt sich im Laufe der Zeit allerdings zu etwas Komplexerem voller Zwischentöne. Leider gelingt es Lu Chan nicht wirklich, den Betrachter seines Films einzubinden. Die Menschen, die Situation, die unwirkliche Umgebung – all das bleibt dem Zuschauer fremd.
Der Film erzählt die Geschichte des Journalisten Ga Yu (Zhang Lei), der aus Peking nach Kekexili reist, um dort über eine freiwillige Bergpatrouille zu berichten. Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Tibetanische Antilope vor dem endgültigen Aussterben zu bewahren. Ga Yu will mit seiner Reportage aber nicht nur einen Beitrag dazu leisten, dass die Region Kekexili – über vierzigtausend Quadratkilometer groß (etwa wie Dänemark), in beinahe fünftausend Meter Höhe und Lebensraum zahlreicher seltener Tierarten – zum Naturschutzreservat erklärt wird. Er will ebenfalls aufdecken, was es mit dem geheimnisvollen Verschwinden mehrerer freiwilliger Helfer der Patrouille auf sich hat und ob die Gerüchte wahr sind, dass die Bergpatrouille mit Wilderern, die für den Rückgang der Tibetanischen Antilope verantwortlich sind, gemeinsame Sache macht. Und so schließt er sich dem charismatischen Ranger Ri Tai (Duo Bujie) und seiner Gruppe an und reist mit ihnen in die unwirkliche und menschenfeindliche Landschaft des tibetanischen Qingzang-Plateaus. Anfangs ahnt Ga Yu noch nicht, dass er sich auf eine lebensgefährliche Unternehmung einlässt, die für viele Patrouillenmitglieder die letzte sein wird.
„Kekexili - Mountain Patrol“ beruht auf einer wahren Begebenheit, die zur Gründung des größten Naturreservats Chinas führte. Beinahe schon dokumentarisch wirkend, zeichnet Lu Chuan die Geschichte der Bergpatrouille und ihre Jagd auf die Wilderer nach, welche die Bestände der Bergantilope wegen des kostbaren Fells scheinbar rücksichtslos dezimieren. Beide Gruppen werden größtenteils von Laiendarstellern gespielt, an deren Leistung allerdings nichts auszusetzen ist. Doch genauso wie sich die scheinbaren Rollen zwischen den „guten“ Tierschützern und den „bösen“ Schlächtern nach und nach im Film verlieren, verschieben sich die Rollen zwischen Jägern und Gejagten. Denn eigentlich befindet sich die finanziell schlecht ausgestattete und von der chinesischen Regierung wenig unterstütze Patrouille genauso ständig in Lebensgefahr wie ihre schutzbefohlene Antilope. Die Wilderer machen nämlich auch vor Menschenleben nicht halt. Aus diesem Aspekt bezieht „Kekexili – Mountain Patrol“ seine inhaltliche Spannung und Dramaturgie.
All das tritt jedoch in den Hintergrund angesichts der Landschaft des fremdartigen tibetanischen Qingzang-Plateaus. Man hat ja schon viel faszinierende Natur im Film gesehen, aber die Unwirklichkeit des Schauplatzes in Chuans Film sucht ihresgleichen. Die endlosen und eintönigen Weiten scheinen einem anderen Planeten, und nicht einem Gebiet der Erde, entnommen. Das weiß auch Chuan, und so ist es nicht verwunderlich, dass er und sein Kameramann Cao Yu der Landschaft durch viele lange, spektakuläre Einstellungen zu einer beeindruckenden Würde verhelfen. Die mitunter aufdringliche Musik von Lao Zai, welche die Atmosphäre zu unterstreichen versucht, hätte dabei gar nicht sein müssen.
Die Natur ist ein zweiter, wichtiger Aspekt, der die Unterhaltungskraft des Films ausmacht und viele Zuschauer fesseln wird. Hier beginnt allerdings auch ein Problem von „Kekexili“, denn trotz – oder auch wegen – der beeindruckenden Bilder, kommen andere Bereiche des Films zu kurz. Weder wird der Zuschauer in tiefere Zusammenhänge noch in die Hintergründe der Geschichte eingeweiht, Chuan macht sich nicht die Mühe, allzu viel zu erklären. So wird man beispielsweise Zeuge eines bizarren Begräbnisrituals, aber das war’s auch schon – mehr als die Bilder gibt es nicht. Auch über die Motivation der Mitglieder der Patrouille, ihre Beweggründe, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, erfährt man wenig bis gar nichts. Wieder nur Bilder, lange Einstellungen, Gesichter, Natur, Antilopenkadaver. Möglicherweise wird sich der eine oder andere Zuschauer davon frustrieren lassen, dass ihm so wenig an Information und Innerlichkeiten geboten wird. So bleiben uns die Menschen, die soviel Entbehrungen für einen guten Zweck auf sich nehmen letzten Endes genau wie die Landschaft von Kekexili fremd.
Trotz kleiner Defizite ist „Kekexili – Mountain Patrol“ aber äußerst sehenswert. Schon wegen der Strapazen, die der Regisseur und sein Team beim Filmen in fünftausend Metern Höhe in eisiger Kälte in Kauf nahmen, um diesen Film zu fertig zu stellen, verdient er einiges Respekt. Krankenhausbesuche aufgrund von Erfrierungserscheinungen, Bergübelkeit (AMS) und Sauerstoffmangel waren unter den Mitwirkenden keine Seltenheit.