Das deutsche Kino ist nicht unbedingt für gut gemachte, klassische Genrefilme berühmt. Neben Komödien im TV-Format glänzen dann und wann ambitionierte Produktionen wie Hans-Christian Schmids „Lichter", Oliver Hirschbiegels „Das Experiment", Tom Tykwers „Lola rennt“ oder aktuelle Skurrilitäten wie Michael Schorrs „Schultzes Gets The Blues". Dass es dennoch Hoffnung im teutonischen Einerlei gibt, beweist Mennan Yapos exzellenter Psycho-Thriller „Lautlos“. Die vollen Möglichkeiten einer Kinoproduktion ausnutzend begeistert das Debüt des Kurzfilmers durch ausgefeilte Charaktere, einen stringenten Spannungsbogen und glänzende Darsteller.
Viktor (Joachim Król) ist ein Profi. Für Geld tötet er mit eiskalter Präzision Menschen. Der Einsiedler hat sein Gewissen schon in der Kindheit abgelegt, als seine Eltern vor seinen Augen erschossen wurden. Der damals neunjährige Felix, so sein richtiger Name, rächte seine Eltern und tötete ihre Killer kaltblütig. Das war 1967. Er tauchte unter und verschwand für die Öffentlichkeit von der Bildfläche. Nur zu seinem väterlichen Freund und späteren Auftraggeber Hinrich (Peter Fitz) hielt er Kontakt. Doch bei einem weiteren Auftragsmord begeht Viktor einen schweren Fehler: Er verliebt sich in die geheimnisvolle Nina (Nadja Uhl), die ihm zufällig bei der Erledigung seines Auftrages in die Quere kommt. Er lässt sie am Leben. Die junge Frau, die gerade eine schmerzliche Trennung hinter sich hat, ist vollkommen verwirrt und will sich umbringen. Als Viktor ihr folgt, springt sie in einen Fluss. Er rettet sie. Das ist auch gleichzeitig der Anfang ihrer Beziehung. Währenddessen ist die Polizei dem schweigsamen Profikiller auf der Spur. Profiler Lang (Christian Berkel) und sein junger Kollege Strassmann (Rudolf Martin) heften sich erbarmungslos an seine Fersen. Dazu geraten Viktor und sein Mentor Hinrich zusätzlich unter Druck, weil ihre Auftraggeber ihnen nicht mehr trauen und sie aus dem Weg räumen wollen. Die Schlinge zieht sich immer enger zusammen...
Das Dilemma des deutschen Qualitätskinos hatten die talentierten Regisseure Tom Tykwer („Lola rennt“, „Heaven"), Dani Levi („Väter“) und Wolfgang Becker („Good Bye, Lenin", „Das Leben ist eine Baustelle“) schon 1994 erkannt. Gemeinsam mit dem Produzenten Stefan Arndt gründeten sie die Produktionsfirma X Filme, dem angeschlossen der X Verleih ist. Das Ziel: Qualität auf deutsche Leinwände bringen. Dass ihnen das in den vergangenen zehn Jahren gelungen ist, steht außer Frage. Die nächste Chance auf den Durchbruch bekam nun Kurzfilmer Mennan Yapo („Framed“). Ausgestattet mit einem exzellent geschriebenen Drehbuch von Filmkritiker Lars-Olaf Beier und einem Top-Ensemble hatte er gute Voraussetzungen für einen erstklassigen Film. Dennoch hätte „Lautlos“ ohne das große Talent Yapos leicht nach hinten los gehen können. Doch die Nachwuchshoffnung beweist ein enormes Gespür für eine dominante, perfekt stilisierte Bildsprache. Sein Psycho-Thriller, der nur spärlich mit Dialogen bestückt ist, funktioniert über diese beeindruckenden, kühlen Cinemascope-Bilder, die die gesamte Bandbreite der großen Leinwand konsequent ausnutzen. Jede Einstellung, ob Nahaufnahme oder gezoomtes Detail, ist perfekt durchkomponiert und für die Handlung wichtig. Dazu dreht Yapo kontinuierlich an der Spannungsschraube - bis zum großen Finale.
Das fulminante Hauptdarsteller-Trio setzt dieses Konzept kongenial um. Joachim Król („Zugvögel", „Wir können auch anders“), einer der besten deutschen Schauspieler, ist als eiskalter, aber gefühlsfähiger Todesengel konsequent gegen den Strich besetzt. Er musste sich einem sechsmonatigen Trainingsprogramm unterziehen, um Pfunde zu verlieren und Dynamik zu gewinnen. Noch nie war Król so drahtig zu sehen. Lars-Olaf Beiers Drehbuch bietet eine geschickte Finesse, die die Identifikation mit dem Killer erleichtert. Seine gezeigten Opfer sind selbst schwerst kriminell und kein Zuschauer wird um sie trauern. Vielmehr drängt sich zumindest der Gedanke auf, dass einige es verdient hätten, zu sterben. Diese Konstellation erinnert an Michael Manns grandiose Crime-Saga „Heat", die später in einer Szene noch ehrfurchtsvoll zitiert wird. Die Sympathien zwischen Gangstern und Cops sind durch die Charakterisierung gerecht verteilt, wobei die Bösen in beiden Fällen durch mehr Leinwandzeit einen kleinen Bonus erhalten.
Król schafft es, die auf wackeligen, klischeebelasteten Beinen stehende Grundprämisse des Films glaubhaft zu transportieren. Der Killer verliebt sich in sein Opfer: Das ist nicht gerade neu, aber trotzdem überzeugend. Bereits die erste Szene zwischen Król und der superben Nadja Uhl lenkt die Geschichte in glaubhafte Bahnen. Als Viktor vor der schlafenden Nina steht und überlegt, ob er sie ebenfalls beseitigen soll, strahlt Nadja Uhl eine derartige Eleganz und Verletzlichkeit aus, dass das Publikum es Viktor sofort abnimmt, dass er sich auf der Stelle in sie verliebt hat. Uhl ist auch die große Entdeckung von „Lautlos“. Mit einer unglaublichen Ausstrahlung vermittelt sie die Präsenz der geheimnisvollen, orientierungslosen Nina. Das weiß Regisseur Yapo und zeigt ihr bildschönes Gesicht in vielen leinwandfüllenden Nahaufnahmen. Aus jedem Blick strahlt sie etwas Mysteriöses aus. Dass Christian Berkel („Das Experiment") ein starker Schauspieler ist, war bekannt. Seine Rolle als knallharter, besessener Profiler ist übrigens eine schöne Reminiszenz an Al Pacinos Cop-Charakter aus „Heat". Passenderweise wird eine Szene auch fast eins zu eins übernommen (als der Gejagte sich am Ende aus dem Staub zu machen scheint). Berkel verfällt aber nicht in ein sich anbietendes Overacting und behält im rechten Augenblick den Bodenkontakt. Er strahlt pures Charisma aus.
Frei von Versatzstücken und Klischees ist auch „Lautlos“ nicht, aber hier zeigt sich wieder die Klasse der Produktion, weil die bekannten Inhalte variiert und nicht dumpf ausgeschlachtet werden. Ein Beispiel: Polizist Lang bekommt einen smarten jungen Kollegen (überzeugend: Rudolf Martin) frisch von der Polizeischule zugewiesen. Aber anstatt der üblichen Misstrauen-und-Zusammenraufen-Klischees akzeptiert Lang seinen kompetenten Partner ohne die gängigen, schon Tausend Mal gesehenen Rituale. Einen kleinen Schönheitsfehler leistet sich „Lautlos“, der auch produktionstechnisch auf internationalem Niveau steht, am Ende. Nicht, dass die Auflösung den Besucher enttäuscht: Nur schleicht sich bei genaueren Hinsehen eine kleine Unglaubwürdigkeit ein. Doch die soll bei einem ansonsten exzellenten Film einmal zugunsten des Angeklagten ausgelegt werden.