Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer, Wegfall von Arbeitsplätzen, hohe Arbeitslosigkeit, Kürzung von Sozialleistungen - das sind nur einige der gesamtgesellschaftlichen Folgen der momentan rasant voranschreitenden Globalisierung. Zu deren Gewinnern zählen oft nur die Global-Player, die weltweit agierenden Konzerne. Selbst in China, das eindeutig von der Globalisierung profitiert, sahnen nur die ohnehin schon Reichen und Mächtigen ab. Die einfachen Arbeiter bleiben trotz 10-Stunden-Tag arm. Kann man diesen Angst einflössenden Trends nicht irgendwie entgegentreten? Ja, man kann! Und Lateinamerika zeigt, wie es geht. In Bolivien zum Beispiel liebäugelt Präsident Evo Morales eher mit sozialistischen Methoden; im Mai 2006 veranlasste er die Verstaatlichung des Erdöl- und Erdgassektors. Eine andere Tendenz mit den Globalisierungsproblemen fertig zu werden, hat sich in Argentinien herauskristallisiert. Mit dem Dokumentarfilm „The Take - Die Übernahme“ wird auf polemische aber unglaublich unterhaltsame Weise gezeigt, wie arbeitslose Industriearbeiter selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen und sich ihre Beschäftigung zurückholen.
Buenos Aires: Die Arbeiter der Forja-Fabrik, einer Produktionsstätte für Autoteile, sind fassungslos. Aus heiterem Himmel wurde ihnen gekündigt, weil das Unternehmen Insolvenz anmelden musste. Und das, obwohl die Fabrik hohe staatliche Subventionen erhalten hatte. Was hat die Unternehmensleitung mit dem Geld gemacht? Was soll nun aus den Arbeitern werden? Seit mehreren Monaten haben sie keinen Lohn erhalten. Andere Arbeit gibt es nicht. Freddy und die vielen anderen Beschäftigten beschließen kurzerhand, die Fabrik zu übernehmen, so wie es schon viele andere Arbeiter in Argentinien vorgemacht haben. Die Fließbänder der Forja-Fabrik sollen wieder laufen, um den Unterhalt von Freddy und seinen Arbeitskollegen sichern. Dabei ist angedacht, das Unternehmen ganz basisdemokratisch zu führen, ohne Chef und Firmenleitung. So wie es viele andere übernommene Firmen und Fabriken in Argentinien beispielhaft gezeigt haben. Anfangs mit Steinschleudern bewaffnet besetzt eine Gruppe aus ehemaligen Angestellten die Forja-Fabrik und schreibt sich folgenden Slogan auf die Fahnen: besetzen, übernehmen, produzieren. Eine klassische Enteignung des Unternehmers. Weil sich die Arbeiter aber bewusst sind, in einem Rechtsstaat zu leben und bestimmte Pflichten erfüllen müssen, um die Fabrik zugesprochen zu bekommen, beschreiten sie später den langen und zähen Weg der Bürokratie. Dieser führt sie von Gericht zu Gericht und von Politiker zu Politiker. Gewinnen können sie nur, wenn sie den längeren Atem haben werden.
Es kommt nicht von ungefähr, dass sich gerade die beiden Kanadier Naomi Klein und ihr Ehemann Avi Lewis dieses wichtigen Themas angenommen haben. Klein hat bereits mit ihrem Buch „No Logo”, einem bedeutenden Schriftstück der Anti-Globalisierungsbewegung, gezeigt, wer Schuld an der Entgrenzung der Markträume hat und wie jeder Einzelne handeln kann. Lewis, ein populärer Journalist, moderierte über Jahre eine der führenden politischen Debatiersendungen Kanadas. So wird in „The Take - Die Übernahme“ auch gleich zu Beginn deutlich, mit welcher Seite das Filmemacherehepaar sympathisiert: mit denen, die sonst keine Macht haben natürlich, mit den Arbeitern. Sicher: Der Film wirkt dadurch von Anfang an recht tendenziös, wenig ausgeglichen und objektiv. Von Dialektik ist kaum etwas zu spüren. Aber vielleicht ist dies bei einem derart komplexen Thema wie der Globalisierung auch gar nicht möglich. So gesehen ist „The Take - Die Übernahme“ eine lautstarke Polemik, die den Verlierern der weltweiten Kapitalströme eine Stimme gibt.
Filmisch wirkt die Dokumentation ausgereift. Die Dramaturgie ergibt sich aus dem logisch aufgebauten und einfach nachvollziehbaren Argumentationsstrang, der in der Tradition der nordamerikanischen Essayistik steht. Die abwechslungsreichen Bilder - bestehend unter anderem aus Interviewszenen, turbulenten Auseinandersetzungen mit der Polizei und den basisdemokratischen Abläufe in der Fabrik - harmonisieren mit der äußerst stimmungsvollen, wenn teils auch sehr emotionalen, Musik des Gotan Projects. Rückschläge der Arbeiter werden mit trauriger, deprimierender Musik untermalt, Erfolge mit feurigen Tangoklängen. Wer meint, Tango mit Argentinien zu verbinden sei zu klischeehaft, wird hier eines besseren belehrt.
Eine wichtige Leistung des Werks besteht in seinem Diskussionspotential. Über wenigstens drei Punkte macht der Film nachdenklich. Erstens wird gefragt, inwieweit die parlamentarische Demokratie durch direkte Demokratie abgelöst werden sollte, denn zumindest in argentinischen Unternehmen und Fabriken scheint letzteres Modell zu funktionieren. Die Gefahr der Korruption wird minimiert und Entscheidungen in die Hände derer gelegt, die es betrifft. Zweitens wird infrage gestellt, wie gerecht eine Enteignung in einem Rechtsstaat ist. Können Arbeiter einfach einen Betrieb übernehmen, der einem anderen gehört, wenn der Besitzer seinen Verpflichtungen den Arbeitern gegenüber nicht gerecht geworden ist und die Beschäftigten damit das Auskommen von mehreren Hundert Arbeitern und ihren Familien sichern? Und drittens diskutiert der Film, das System des Kapitalismus’ im Allgemeinen, indem er aufzeigt, welche Auswirkungen entgrenzte Märkte und globale Kapitalströme haben können. Klein und Lewis reißen mit ihrem Film viele diskussionswürdige Punkte an, die es einem eigentlich unmöglich machen, schweigend das Kino zu verlassen.
Mit „The Take - Die Übernahme“ ist dem Ehepaar Naomi Klein und Avi Lewis ein wichtiger Film über die Konsequenzen der Globalisierung gelungen. Gezeigt wird, dass entfesseltes Gewinnstreben nur einigen Wenigen nützt und viele Andere dabei alles verlieren. Es ist aber auch ein Film der Hoffnung macht, dass eine gerechtere Gesellschaft möglich ist, in der jeder, der sich engagieren will, dazu auch die Möglichkeit bekommt.