In seinem dritten Spielfilm inszeniert Ray Lawrence („Lantana“) einen Stoff, den auch Altmeister Robert Altman als ein Bestandteil seines klassischen Episodenfilms Short Cuts schon einmal für die Leinwand adaptiert hat: die Kurzgeschichte „So Much Water, So Close To Home“ von Raymond Carver. Die skizzenhafte Erzählung der Vorlage reichert er um verschiedene Drehbuchideen an und verhandelt Themen wie Rassismus, verdrängte Probleme der Vergangenheit und persönliche Schuld. Leider kann sein Thriller-Drama, der 2006 in Cannes Premiere feierte, nicht über die ganze Spielzeit überzeugen, was in erster Linie an den Charakteren liegt, die zu eindimensional gezeichnet sind und das Interesse des Zuschauers nur partiell wecken können.
Der gescheiterte Rallyefahrer Stewart (Gabriel Byrne) lebt mit seiner Frau Claire (Laura Linney) als Automechaniker in der australischen Kleinstadt Jindabyne. Übers Wochenende fährt er mit seinen drei Kumpels Rocco (Stelios Yiakmis), Carl (John Howard) und Billy (Simon Stone) ins Hinterland auf den alljährlichen Angeltrip. Doch während die Männer Entspannung und eine Prise Abenteuer suchen, finden sie gleich am ersten Tag ihrer Reise die Leiche eines Aborigine-Mädchens. Das anfängliche Entsetzen der Freunde mündet in eine Diskussion: Soll man nach Hause fahren und den Fund melden oder den Angeltrip erst noch beenden? Aufgrund der langen Heimreise, so das Argument, machen sich die vier Männer zunächst ans Angeln und vertagen die Meldung bei der Polizei um drei Tage. Bei ihrer Rückkehr in Jindabyne fährt ihnen eine Rolle des Unverständnisses und der Entrüstung entgegen. Die Frage nach dem Mörder tritt bis zum Schlussteil zurück; Lawrence interessiert sich viel mehr das Verhandeln der Schuld, die die Männer trifft.
Schwelende Konflikte brechen in den betroffenen Familien ans Tageslicht und der anfängliche Thriller wird zum Drama, das sich auch mit dem rassistischen Aspekt der Handlung auseinander setzt. Die Aborigine-Bevölkerung und die Weißen treten in den Konflikt und die kleinen Familien-Dramen werden im Großen reflektiert, wodurch „Jindabyne“ zum Spiegel australischer Befindlichkeiten wird. Nicht anders wie die US-Amerikaner haben sie einen Kontinent besiedelt, indem sie dessen Ureinwohner immer mehr enteignet und zurück gedrängt haben. Die zentralen Rollen im Verlauf der Handlung nehmen Stewart, gespielt von Gabriel Byrne (Die üblichen Verdächtigen), und dessen Ehefrau Claire (Laura Linney, Das Leben des David Gale, Mystic River) ein. Stewart hält konsequent an der Richtigkeit seines Handelns fest und zieht sich mehr und mehr in sich zurück; Claire hingegen versucht zwischen den Weißen und den Aborigines zu vermitteln und fordert offen Solidarität mit der Familie des Opfers. Da sie dabei aber durchweg auf Ablehnung stößt, beginnt sie an sich zu zweifeln.
An den Darstellern liegt es nicht, dass in „Jindabyne“ etwas fehlt. Vielmehr – wie eingangs erwähnt – an den schwach gezeichneten Figuren, die kein rechtes Potential zur Identifikation durch den Zuschauer bieten. Es ist, trotz einiger guter Einfälle, nicht wirklich spannend, die schleppend voran kommende Entwicklung der Charaktere zu verfolgen, die immer mal wieder von arg holprigen Dialogen heimgesucht wird. Zudem ist die Inszenierung mitunter plakativ, etwa wenn Panoramen der australischen Landschaft mit tragisch-melancholischer Musik aufgeladen werden und die Geschichte dramatisieren. Vielleicht wäre „Jindabyne“ stimmiger, würde er sich mehr an den knappen Skizzierungen seiner literarischen Vorlage orientieren.
Ray Lawrences Psycho-Drama hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck, denn neben den erwähnten Schwächen hat „Jindabyne“ auch seine Vorzüge. Die Vielschichtigkeit der Geschichte etwa weiß zu gefallen. Und einige großartige Metaphern, wie der Umstand, das ein Teil der Stadt überschwemmt ist – gerade so, wie die emotionalen Konflikte der Protagonisten. Unterm Strich lässt sich eine gewisse Enttäuschung trotzdem keineswegs verbergen.