„Der wilde Schlag meines Herzens“ ist das äußerst geglückte französische Remake des amerikanischen Films „Fingers“. Schon der Titel von Jacques Audiards Drama nimmt den wesentlichen Unterschied zu James Tobacks Vorlage aus den siebziger Jahren vorweg: Während Tobacks Film ganz Milieustudie ist, bei der die äußeren Bedingungen den Protagonisten letztendlich zwingen, auf bestimmte Weise zu handeln, liegt der Schwerpunkt bei Audiards Remake auf der inneren Entwicklung seines Hauptdarstellers, die es ihm zu guter letzt ermöglicht, selbst zu entscheiden und sich damit nicht zum Sklaven seiner Lebenswelt zu machen.
Der Pariser Tom (Romain Duris) schlägt sich im finsteren Immobilienmetier herum, wo es häufig nicht ganz legal und mitunter ziemlich gewalttätig zugeht. Mit seinen Kumpeln Fabrice (Jonathan Zaccaï) und Sami (Gilles Cohen) setzt er Ratten aus, um die Mieter beschleunigt davon zu überzeugen, ihre Häuser zu verlassen, und in Ausnahmefällen greifen die drei auch schon mal zu unmittelbarer Gewalt. Nebenher treibt Tom noch Schulden für seinen Vater Robert (Niels Arestrup) ein. Eine Veränderung ergibt sich, als Tom eines Tages zufällig dem Konzertpromoter Mr. Fox (Sandy Whitelaw) über den Weg läuft, der früher die Konzerte seiner verstorbenen Mutter, einer Pianistin, arrangierte. Fox lädt Tom ein, bei ihm vorzuspielen, und plötzlich ist für Tom die Möglichkeit, wie seine Mutter eine erfolgreiche Musikkarriere zu machen, in greifbare Nähe gerückt. Er sieht in dem Angebot eine Chance, seinem bisherigen Leben zu entkommen und ergreift sie: Er nimmt Unterricht bei der Klavier-Virtuosin Miao-Lin (Linh Dan Pham). Und damit beginnen die Probleme. Nicht nur, dass Toms Klavierlehrerin kein Wort Französisch spricht, so dass sie sich lediglich durch ihre Musik verständigen können – Tom gerät auch mehr und mehr in Konflikt mit seinen Freunden und seinem Beruf sowie mit seinem Vater, dessen Forderungen er immer weniger zu erfüllen bereit ist. Als sein Vater schließlich von einem zahlungsunwilligen Schuldner umgebracht wird, muss Tom sich entscheiden…
Jacques Audiard ist mit „Der wilde Schlag meines Herzens“ eine sehr interessante Mischung aus Krimi, Drama und Psychogramm und gleichzeitig ein wichtiges Remake gelungen. Dass er psychologisch ausgefeilte Geschichten schreiben kann, hat Auriard schon 1982 beim Drehbuch von „Mortelle Randonnée“ („Das Auge“) gezeigt. Und vielleicht ist es nur gerecht, dass er sich nun an das Remake eines amerikanischen Klassikers gewagt und es obendrein geschafft hat, der Vorlage einige überaus interessante Aspekte hinzuzufügen; ebenso wie es Stephan Elliot 1999 mit „Mortelle Randonnée“ unter dem Titel „Eye Of The Beholder“ mit Ewan McGregor und Ashley Judd gelang („Einige interessante Aspekte hinzufügen“ ist im Übrigen für das, was Audiard beim Remake von Tobacks „Fingers“ gelang eine glatte Untertreibung). Obwohl sich „Der wilde Schlag meines Herzens“ sehr stark an das Original anlehnt und sogar etliche Einstellungen beinahe abgefilmt wirken, schafft es Audiard in seinem düster-verwackelten Werk durch einige Detailländerungen und den charismatischen Romain Duris, der hier nach „L´Auberge Espagnole“ mal so richtig zeigen kann, wozu er schauspielerisch in der Lage ist, einem im Herzen völlig anderen Film zu machen. Ist „Fingers“ noch Milieustudie, die an ihrem Hauptdarsteller Jimmy (ebenfalls hervorragend: Harvey Keitel) die Wirkung der Umwelteinflüsse auf das Individuum durchexerziert, gegen die es sich letzten Endes nicht behaupten kann, so ist Audiards Film ein Entwicklungsfilm, ein Werk über das Erwachsenwerden und die Emanzipation vom Vater, seiner Lebenswelt und damit auch im Kern ein Film über den freien Willen. Tobacks Werk macht das Äußere zum Gegenstand seiner Geschichte, Audiards das Innere, dessen Wandel, dessen Erwachen.
Romain Duris spielt diesen Tom ganz hervorragend: charmant, aggressiv, innerlich aufgewühlt, mit hypernervösen Fingern – besessen. Als „angry young man“ beherrscht er seine Szenen und überzeugt als komplexer Charakter zwischen Schlägertyp und Künstler. Aber auch die anderen Schauspieler machen im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Sache gut und bieten durch ihre zurückhaltende Darstellung Duris genau den Raum, den er braucht, um seine Figur richtig zu entwickeln und dem Zuschauer in ihren Verhaltensweisen plausibel zu machen. Trotzdem ist nicht jede Szene im Film eine eindeutig identifizierbare Station in Toms persönlicher Entwicklung hin zum Pianisten, so dass der Film dem Zuschauer jeden Spaß am Nachdenken und am Interpretieren der verschiedenen Momente nehmen würde. Es bleibt dem Betrachter überlassen, ob er „Der wilde Schlag meines Herzens“ als Entwicklungs- oder Adoleszensfilm, als sich von Klischeefiguren emanzipierendes Gangsterkino oder als Psychogramm eines Künstlers sehen möchte. Ein bisschen schade vielleicht, dass die anderen Darsteller ihre Charaktere in diesem „Duris-zentrischen“ Film nicht ihrem Potenzial entsprechend entfalten können und so am Rande des Gesichtsfeldes des Zuschauers verblühen müssen.
Es ist ja immer so eine Sache mit Remakes. Leicht vergrault man die Fans des Originals, denen es nur schwer recht zu machen ist; ebenso oft fallen Remakes bei den Kritikern durch, weil sie entweder zu nah am Original oder zu weit von ihm entfernt sind. Oder weil es schlichtweg keinen Grund gibt, einen guten Film „noch mal zu machen“. Das alles hat „Der wilde Schlag meines Herzens“ aber kaum zu befürchten. Er besticht durch einen grandiosen Hauptdarsteller, einen guten, teilweise herzschlagähnlichen Soundtrack, interpretiert den Stoff eigenständig und schafft es durch einige Nuancen, der Geschichte ein neues, zeitgemäßes Leben einzuhauchen.