Nach den Ereignissen des 11. September hat es zahlreiche Filme gegeben, die sich mit den Folgen dieses unmenschlichen Terrorangriffs beschäftigt haben. Gelungen waren bei weitem nicht alle, aber zumindest hatten alle eine ernsthafte Absicht, sich seriös mit dem Thema auseinander zu setzen. Den Höhepunkt der Geschmacklosigkeit gepaart mit filmischer Inkompetenz liefert Regisseur, Autor und Produzent Christian Johnston mit seinem als Pseudo-Dokumentation getarntem Thriller-Drama „September Tapes“.
Der amerikanische Journalist Don „Lars“ Larson (George Calil) verschwand in Afghanistan unter mysteriösen Umständen. Monate später tauchen seine Video- und Tonaufnahmen in den USA auf. Auf acht Bändern hat Larson seine Jagd auf Topterrorist Osama Bin Laden, den Drahtzieher der Anschläge vom 11. September, dokumentiert. Gemeinsam mit Kameramann Sonny (Sunil Sadarangani) und dem einheimischen Übersetzer Wali Zarif (Wali Razaqi) will Lars versuchen, sich auf Bin Ladens Spur zu setzen. Dabei nimmt er jegliches Risiko in Kauf, um sein Ziel zu verfolgen und bringt sich und seine Mitstreiter mehr und mehr in Schwierigkeiten. Sein Kontakt zu dem berüchtigten und gefährlichen Kopfgeldjäger Babak Ali soll den Durchbruch in seiner Recherche bringen, wird aber stattdessen zu einem Himmelfahrtskommando, von dem es keine Rückkehr mehr gibt...
„September Tapes“ wird von den Machern als erste westliche Produktion, die nach dem Fall der Taliban ausschließlich in Afghanistan gedreht wurde, angepriesen. Die Absicht von Regisseur Christian Johnston und den Produzenten George Calil und Wali Razaqi, die auch die Hauptrollen übernehmen, klingt ehrenhaft. Die Zuschauer sollen mehr über die Menschen und das Leben im Afghanistan der Gegenwart erfahren. Der erste von vielen Fehlern liegt schon in der Herangehensweise. Weil die Filmemacher glaubten, dass sie mit einer Dokumentation nicht die Masse an Publikum erreichen würden, die sie sich wünschten, wählten sie die Form eines Thriller-Dramas, das im Gewand einer Pseudo-Dokumentation daher kommt – „The Blair Witch Project“ lässt grüßen. Doch zwischen dem sensationellen Indie-Erfolg (Budget: 35.000 Dollar, weltweites Einspiel: 250 Mio Dollar) und „September Tapes“ liegen nicht Welten, sondern Lichtjahre. In den Händen von versierten Künstlern wäre „September Tapes“ möglicherweise noch vor dem Scheitern zu retten gewesen, aber sämtliche Beteiligte glänzen durch ausgemachten Dilettantismus.
Rein äußerlich fügt der Film dem Betrachter körperliche Schmerzen zu. Die Kameraführung von „The Blair Witch Project“ war schon sehr gewöhnungsbedürftig und wackelig, aber „September Tapes“ toppt diesen Fakt noch um ein Vielfaches. Jeder Amateurfilmer dreht zehn Mal bessere Bilder. Natürlich geschieht dies mit Absicht, was aber nichts an der Unerträglichkeit des Gesehenen ändert. Oft ist einfach gar nichts mehr zu erkennen. Dazu fokussiert die Digitalkamera meistens nicht richtig und die Bilder sind verpixelt. Mit sehr, sehr viel gutem Willen wäre dies noch als Kunst- bzw. Ausdrucksform zu akzeptieren. Doch das Drehbuch von Christian Johnston und Christian van Gregg ist schlicht lausig. In die fiktive Handlung um den Journalisten Don Larson mischt Johnston real gedrehte Szenen. Allerdings sind diese völlig inhaltsleer und sagen nichts über die Menschen und die Situation im neuen Afghanistan aus, weil sie zumeist mit Verwandten des Produzenten Wali Razaqi gedreht wurden. Dazu ist die Storyline erschreckend dünn und der gewollte Realismus funktioniert an keiner Stelle.
Den endgültigen Genickbruch verpasst sich der Film an anderer Stelle. Der Hauptcharakter des angeblichen Journalisten Don „Lars“ Larson ist derart unsympathisch und schreiend dämlich, dass seine Dummheit den Zuschauer auf die Palme bringt. Bereits nach 20 Minuten ist dem Betrachter Larsons Filmschicksal völlig egal, spätestens nach einer Stunde wünscht er sich, dass dieser Typ endlich von der Leinwand verschwindet – egal wie. In selbstverliebter Manier spricht er peinlich-heroische Voice-over-Kommentare auf die Bilder, was die Handlung zusammenhalten soll. Als breitbeiniger Ami-Dumbass gibt George Calil („Band Of Brothers“) eine desaströse Vorstellung ab. Über seine Motivation, sein Leben und seinen Hintergrund erfährt der Zuschauer rein gar nichts.
Schlimmer als die versammelte Inkompetenz ist die Tatsache, dass die Filmemacher mit dieser gefakten Doku den Menschen nicht gerecht werden. Durch den Aufhänger, dass Larson seine am 11. September in einem der entführten Flugzeuge gestorbenen Freundin rächen will, verhöhnt „September Tapes“ durch seine Undifferenziertheit und Dummheit die Opfer der Anschläge in New York, Washington und Shanksville bei Pittsburgh. Verhöhnt werden auch alle ernsthaften Journalisten, die in der Warzone von Afghanistan unter Lebensgefahr arbeiten bzw. dort gestorben sind. Auch die afghanische Bevölkerung wird verhöhnt, weil Regisseur Christian Johnston seinen Protagonisten als typischen dummen amerikanischen Cowboy wie ein Elefant durch den Porzellanladen laufen lässt. Nachdem er zwei Afghanen erschossen hat, fühlt er sich gut. Ob sie aus dem Umfeld der Terrororganisation Al Kaida kommen oder nicht, spielt keine Rolle.
„September Tapes“ feierte beim Sundance Festival im Januar 2004 seine Premiere und wurde auch beim Filmfest Hamburg Ende September aufgeführt. Das Publikum nahm den Film schlecht auf, während der Hamburger Vorstellung verließen zahlreiche Besucher den Saal. Völlig zurecht. Denn wer dieses missglückte Experiment bis zum Ende durchsteht, hat eigentlich die Tapferkeitsmedaille verdient.