Die Mongolin Byambasuren Davaa und der Italiener Luigi Falorni realisierten die märchenhafte Story über die existenzielle Wichtigkeit von familiärer Liebe und Geborgenheit als ihren Abschlussfilm an der Filmhochschule in München. Doch dass die Dokumentation „Die Geschichte vom weinenden Kamel“, über ein von der Mutter verstoßenes weißes Kamelfohlen, soviel Anklang finden könnte, hätten sie sich wahrscheinlich nie träumen lassen. So lief der Film auf vielen internationalen Festivals mit großem Erfolg, wurde mit dem Bayrischen Filmpreis in der Kategorie Dokumentarfilm ausgezeichnet und von der Mongolei offiziell als Anwärter auf den Oscar in der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“ eingereicht - auch wenn es nicht zu einer Nominierung reichte.
Irgendwo in der unendlichen Weite der Wüste Gobi in der Mongolei, fernab von jeglicher Zivilisation, ist die Nomadenfamilie Amgaa zu Hause. Vier Generationen leben in drei Jurten, sie nennen zahlreiche Ziegen und eine stattliche Kamelherde ihr eigen. Ihr Dasein in der fast vegetationslosen, menschenfeindlichen Ödnis wird bestimmt von Viehzucht und der Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse. Ab und zu erzählt der Großvater eine Geschichte, in der immer ein Kamel die Hauptrolle spielt. Dann passiert es, dass eine Kamelmutter nach einer langen, schmerzhaften Geburt ihr Fohlen verstößt. Die Hirten versuchen mit allen Mitteln, Mutter und Kind wieder zueinander zu bringen, aber nichts hilft. Die letzte Möglichkeit, die ihnen bleibt, um das Junge vor dem sicheren Tod zu bewahren, ist das uralte Hook-Ritual: Sie holen einen Musiker aus der Stadt, der auf seiner Geige ein Lied spielen soll, um das verschlossene Herz der Kamelmutter zu erweichen.
Sieben Wochen lang lebten die Filmemacher im Frühjahr des Jahres 2002 mit ihrem Team mit in der Wüste, beobachteten den Alltag der Familie Amgaa und hatten schließlich auch das Glück, nicht nur Kamelgeburten mit der Kamera zu dokumentieren, sondern auch das mystisch-magische Phänomen der durch einen Geiger aus der Stadt bewirkten „Familienwiedervereinigung“ mitzuerleben.
Dieser traumhaft schön fotografierte Dokumentarfilm, der mit seinen ruhigen Bildern zu überzeugen vermag, stellt zwar ganz klar die Geschichte des jungen Kamels in den Mittelpunkt, dokumentiert aber auch das Alltagsleben, die Riten und Bräuche der mongolischen Nomaden. Die „Schiffe der Wüste“ wissen mit ihren großen, durchdringenden Augen und ihren beruhigenden Lauten den Zuschauer emotional anzusprechen, so dass man mit dem verstoßenem Kamel einfach Mitleid empfinden muss. Da der Film auf jeglichen Fremdton verzichtet, wird auch bei der musikalischen Untermalung die Authentizität gewahrt.
Die Wüste Gobi, die den Zuschauer trotz ihrer Kargheit in ihren Bann zieht, verlangt den dort lebenden Menschen einiges ab. Frappierend starke, täglich auftretende Temperaturschwankungen, Sandstürme, Wasserknappheit und eine extrem karge Fauna prägen das autonome Leben der Nomaden, die noch im Einklang mit der Natur leben und ihre Traditionen wahren. Doch der Film verdeutlicht, dass auch in der Mongolei der Fortschritt nicht aufzuhalten ist. Zum Ende des Films wird an der Jurte, auf das Drängen der Kinder eingehend, eine riesige Satellitenschüssel installiert. So stellt sich die Frage, ob auch die nächste Generation das Nomadenleben fortsetzen und die Bräuche am Leben erhalten wird, oder den Verlockungen der modernen Zivilisation, des bequemeren Lebens nachgeben und sesshaft werden wird. Auch wenn dieser Wandel der Zeit den Zuschauer nachdenklich stimmen kann, ist „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ eine herzliche und hoffnungsvolle Dokumentation, die einen mit einem Lächeln aus dem Kinosaal gehen lässt. Sie verdeutlicht, wie universell der große Wunsch nach Liebe und Geborgenheit ist.