Nahezu jede Gruppe von Alltagshelden hat in den USA ihren passenden Hollywood-Film bekommen. Zahllose Werke wurden über Polizisten und Feuerwehrmänner gedreht, aber über eine Spezies von Lebensrettern weiß die Öffentlichkeit so gut wie gar nichts Fassbares: die Hochsee-Rettungsschwimmer der amerikanischen Küstenwache. Grund genug, das zu ändern, dachte sich Drehbuchautor Ron L. Brinkerhoff und konstruierte für Regisseur Andrew Davis die Vorlage zum packenden Action-Drama „Jede Sekunde zählt“. Überraschenderweise funktioniert der Film trotz kühlem Ausnutzen der typischen Genregesetze richtig gut, doch am ausufernden Ende kleistert Brinkerhoff sein Script dermaßen mit Pathos dicht, dass der Punkt zum Ärgernis irgendwann überschritten wird - was das Abenteuer deutlich runter zieht.
Ben Randall (Kevin Costner) ist eine Legende unter den Rettungsschwimmern der US-Küstenwache. Ein traumatisches Erlebnis wirft den hartgesottenen Profi, der bei Stürmen und Orkanen Schiffbrüchige aus der Bering See holt, aus der Bahn. Nicht nur, dass ihn seine Frau Helen (Sela Ward) verlassen hat, bei einem Einsatz verliert er seine ganze Crew und überlebt als Einziger. Sein Vorgesetzter und Freund Frank Larson (John Heard) verdonnert ihn dazu, eine Zeit lang auszusetzen und an der „A“-School, der Ausbildungsschule des Küstenwachennachwuches, in Kodiac, Alaska, zu unterrichten. Das schmeckt Randall zwar gar nicht, aber er hat keine Wahl. Seine Unterrichtsmethoden sind unkonventionell und praxisorientiert, was ihn bei seinen Mitarbeitern nicht unbedingt beliebt macht. Aus der Gruppe von 22 jungen Männern und Frauen sticht der Hochleistungsschwimmer Jake Fischer (Ashton Kutcher) heraus, doch Randall ist dem Primus gegenüber skeptisch und verlangt von ihm mehr als von allen anderen. Besonderen Ärger gibt es, als Jake nach einer Nacht mit seiner neuen Freundin Emily (Melissa Sagemiller) zu spät zum Dienst erscheint...
Die Ausgangslage ist eindeutig. Ein Abenteuerepos über die Heroen der US-Küstewache, die Elite, die täglich ihr Leben riskiert, um in Not geratene Menschen zu retten - im Schnitt rund 5.000 Seelen pro Jahr... so simpel ist „Jede Sekunde zählt“ gedacht. Beim verheerenden Hurrikan Katrina im Jahr 2005 evakuierte die Coast Guard 33.520 Menschen. Dramatischer Grundstoff für einen emotional griffigen Film ist also vorhanden, zumal eine Innenansicht der verschworenen Einheit noch kein Massenpublikum zu Gesicht bekommen hat. „Jede Sekunde zählt“ entstand in voller Kooperation mit der Küstewache, die Einblick in die knüppelharte Ausbildung erlaubte sowie Personal, Material und Drehorte zur Verfügung stellte. Das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich ist das Werk ein Werbefilm für die Rettungsschwimmer, wie dies einst „Top Gun“ für die U.S. Navy war. Der Einfachheit halber klaut Drehbuchautor Brinkerhoff auch gleich ein paar Storyelemente aus dem Trash-Kultfilm. Ashton Kutcher (Butterfly Effect, Guess Who, So was wie Liebe) und Melissa Sagemiller (Anatomie einer Entführung, „Without A Trace“) geben hier das nette Junger-Eliteschüler-ältere-Lehrerin-Paar ab - selbst die Anmachszene an der Bar wurde übernommen. Allerdings nimmt dieser Storyteil nur eine kleinere Rolle im dramaturgischen Konstrukt ein und ist als Plagiat zu verschmerzen, weil beide die Sache durchaus charmant spielen.
Das Erstaunliche an „Jede Sekunde zählt“ ist die Tatsache, dass das Action-Drama trotz offensichtlichem Wandeln auf sattsam bekannten Genrepfaden zwei Stunden lang hervorragend unterhält - auch ohne überraschende Storytwists. Der Film hat das Herz soweit am rechten Fleck, die Optik ist bestechend, die raue Landschaft Alaskas majestätisch-erhaben, es macht einfach Spaß. Spannung ist präsent, die Dramatik wird über die elektrisierend inszenierten Wasser-Actionszenen eingefordert, deren CGI-Lastigkeit nicht zu verleugnen, aber im Rahmen des Duldbaren ist. Dazu ist Kevin Costner (JFK, An deiner Schulter, Wo die Liebe hinfällt) als knorriger alter Wolf natürlich eine sichere Bank. Diese Art von Charakter hat sich zu seiner Paraderolle entwickelt. Warum soll er diesen Part nicht noch einmal geben?! Costner besitzt das Charisma, den Film mühelos zu tragen und Kutcher macht seine Sache als Gegenpart grundsolide. In der Nebenrolle des Captain William Hadley hält Clancy Brown seinen Charakterschädel in die Kamera. Schön, dass der Highlander-Kultstar endlich mal wieder in einer großen A-Produktion zu sehen ist.
Regisseur Andrew Davis ist exakt der richtige Mann für diesen Stoff. Die Vergangenheit hat deutlich gezeigt, dass der Actionspezialist immer nur so gut ist, wie sein Drehbuchautor, was zu erheblichen Qualitätsunterschieden seiner Filme geführt hat - von überragend (Auf der Flucht) über mittelmäßig (Außer Kontrolle) bis schlecht (Collateral Damage) ist alles dabei. Mit Brinkerhoff, der sich mit seinem ersten Script zum Sylvester-Stallone-Vehikel D-Tox - Im Auge der Angst nicht unbedingt in die erste Liga katapultierte, hat Davis aber zunächst einmal einen guten Vorlagengeber. Doch leider geht dem Autor am Ende der Gaul durch. Nach knapp zwei Stunden Spielzeit ist der Film eigentlich durch. Doch in bester Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs-Manier setzt Brinkerhoff seiner Geschichte immer noch einen Abschluss drauf, dies treibt er einige Male, bis der Zuschauer vom triefenden Pathos letztendlich ersäuft wird. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern in hohem Maße bedauerlich, weil „Jede Sekunde zählt“ bis dahin trotz kleinerer Mängel empfehlenswertes, ehrliches Mainstreamkino war.
Ein unorthodoxer Rat: Wer sich im Kino bestens unterhalten gefühlt hat und gegen Ende den Eindruck gewinnt, der Film sei abgeschlossen, sollte spätestens, wenn sich dieses Gefühl das zweite oder dritte Mal einstellt, den Saal verlassen, um einem packenden Action-Abenteuer beigewohnt zu haben, dessen Heldengehalt sich in akzeptablen Bahnen bewegt hat. Wer sitzen bleibt, verliert... und gewinnt nur das Wissen, dass hier etwas verschenkt wurde.