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    Merry Christmas
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Merry Christmas
    Von Björn Helbig

    Nach einer wahren Begebenheit: Dezember 1914, Erster Weltkrieg, an der Westfront. Deutsche, französische und britische Soldaten liefern sich einen erbitterten Stellungskrieg. Am Heiligabend kommt es zu einer Annährung zwischen den Männern. „Merry Christmas“ ist sicherlich ein Weihnachtsfilm der besonderen Art, der fernab vom üblichen Zuckerwattenkitsch eine authentische, einfühlsame Geschichte über einen kleinen Frieden im großen Krieg erzählt.

    Zum Hintergrund: Das Mächtesystem Europas duldete den erstarkenden deutschen Nationalstaat gerade so lange, wie dieser bereit war, sich strikten Beschränkungen unterzuordnen. Die moderate Außenpolitik von Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) war von seinen Nachfolgern nicht fortgesetzt worden, so dass sich Deutschland mehr und mehr isoliert sah – was aber nicht zu einem Erstarken der Diplomatie führte, sondern das trotzige Gefühl des „Nun erst recht“ auslöste. Das Attentat in Sarajevo vom 28. Juni 1914 gilt gemeinhin als Funken, der das explosive Europa entzündete. Nach der Kriegserklärung von Deutschlands Verbündetem Österreich-Ungarn an Serbien griffen innerhalb weniger Tage alle Bündnisvereinbarungen, und der Erste Weltkrieg begann. Deutschlands Plan sah einen schnellen Sieg gegen Frankreich vor, um hinterher den Osten zu besiegen. Der Beginn des Krieges wurde nicht nur in Deutschland mit großer Begeisterung aufgenommen, doch der schnelle Sieg gegen Frankreich blieb aus und entwickelte sich an Stelle dessen in einen langwierigen, grausamen Stellungskrieg. Der Erste Weltkrieg dauerte bis 1918 und kostete nahezu 15 Millionen Menschenleben.

    Zum Film: Regisseur Christian Carion („Eine Schwalbe macht den Sommer“) schildert in dem oben beschriebenen Szenario die Annährung zwischen deutschen, französischen und britischen bzw. schottischen Soldaten an der Westfront. Nachdem alle Armeen in den ersten Monaten des Krieges herbe Verluste einstecken mussten, verwandelte sich die erste Kriegseuphorie in Niedergeschlagenheit. Die Männer ersehnten den Frieden. Die dänische Sopranistin Anna Sörensen (Diane Kruger) will ihren Teil zum Frieden beitragen, indem sie Kronprinz Wilhelm von Preußen bittet, einen Konzertabend in der Nähe der Westfront zu veranstalten – auch mit dem Hintergedanken dort ihren Freund Nikolaus Sprink (Benno Fürmann), ebenfalls Sänger, wiederzutreffen. Nach dem gemeinsamen Konzert für den Kronprinzen will Nikolaus zurück zu seinen Kameraden an die Front, um dort mit ihnen Weihnachten zu feiern. Anna begleitet ihn. Zurück im Schützengraben passiert das Unfassbare: Als aus den französischen Gräben Lieder, aus den schottischen Dudelsackmusik erklingt und Nikolaus daraufhin „Oh du Fröhliche“ anstimmt, kommt es zu einer Annährung zwischen den verfeindeten Soldaten.

    18 Millionen Euro kostete das Projekt „Merry Christmas“. Gedreht wurde in Rumänien, Belgien, Frankreich und Deutschland. Vielleicht die Stärke des Films ist sein Ensemble, denn es vereint eine Reihe talentierter junger Schauspieler: der großartige Guillaume Canet (The Beach, „Vidoq“), Diane Kruger (Das Vermächtnis der Tempelritter, Troja, Sensüchtig) und Daniel Brühl (Was nützt die Liebe in Gedanken, Die fetten Jahre sind vorbei, Good Bye Lenin!). Sie allesamt, aber auch die Nebendarsteller des Films machen ihre Sache gut bis großartig und schaffen es, den Figuren Realismus und Tiefe zu geben. Erwähnenswert ist im Besonderen auch die Leistung von Daniel Brühl, der die schwierige Aufgabe hat, den anfangs sehr korrekten Haudegen Leutnant Horstmayer fernab seines sonstigen Images zu spielen. Das hätte leicht schief gehen können, tut es glücklicherweise aber nicht, denn Brühl gelingt die Wandlung sehr gut. Ebenfalls in einer Nebenrolle beeindruckt Gary Lewis (Billy Elliot, Goal!) als Pater Palmer, an dessen Mimik man sich kaum satt sehen kann. Nur Benno Fürmann (Sin Eater, „Der Krieger und die Kaiserin“, Nackt, „Die Bubi-Scholz-Story“) kann als introvertierter Opernsänger Nikolaus Sprink nicht wirklich überzeugen, was allerdings nicht in erster Line an seinen darstellerischen Fähigkeiten, sondern an den teilweise kitschigen Szenen liegt, die er spielen muss. Als er singend mit einem Tannenbaum in der Hand den Schützengraben verlässt und über das leichenübersäte Feld auf den Feind zugeht, wirkt das leider nicht realistisch – um nicht zu sagen albern. Vielleicht hat es sich tatsächlich genauso zugetragen, aber im Film wirkt diese Schlüsselszene nicht ausgereift, so dass ihre Wirkung verpufft.

    „Merry Christmas“ punktet durch seine Weigerung, die üblichen Schwarz-Weiß- und Gut-Böse-Klischees mitzutragen und so dem Zuschauer ein Feindbild zu vermitteln. Die Schuldfrage wird weitestgehend ausgeklammert. Dazu Carion: „Mir war an der Herstellung der Wahrheit gelegen. Ich habe mich entschlossen, nicht Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen, sondern auf Augenhöhe zu filmen und so nah wie möglich die Menschen zu zeigen, die auf beiden Seiten der Front lebten.“ Das Übel ist somit sicherlich der Krieg aber nicht die Menschen, die ihn führen. Sehr überzeugend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Carion sich entschlossen hat, die Soldaten der verschiedenen Nationen in ihren Landessprachen (mit deutschen Untertiteln) sprechen zu lassen. Das macht den Film authentischer und verdeutlich zugleich die Schwierigkeiten, der Kommunikation untereinander – zeigt dann aber schließlich auch die Bedeutung der kulturübergreifenden Symbole und Rituale mit deren Hilfe die gemeinsame Annährung gelingt.

    Insgesamt problematisch ist, dass der Film trotz seiner hervorragenden Darsteller statisch wirkt, das heißt es wurde versucht, möglichst viele authentische Details des gemeinsamen Weihnachtsfestes einzuweben, aber bei Kenntnis der Geschichte liefert „Merry Christmas“ wenig Überraschungen. Alles läuft auf die Annährung, das gemeinsame Fest, das zeitweilige Überwinden der Kampfhandlungen hinaus, so dass sich im Laufe des Films kaum Dynamik entwickeln kann. Ein wenig mehr Spannung kommt durch einen Nebenplot in den Film: Ein junger Schotte hat bei einem vorherigen Gefecht seinen geliebten Bruder verloren, so dass er als beinahe einziger auch während der Feierlichkeiten Rachedurst hegt. Die Mentalität und den Mentalitätswandel der zu Beginn so kriegsbegeisterten Männer zu zeigen, glückt trotzdem nur teilweise. Zwar verweist Carion zu Beginn des Films darauf, dass die Mobilmachung für den Krieg in allen Ländern bereits in der Schule begann – Schüler rezitieren in Gedichtsform den Genozid am Gegner – und dies ist auch als wichtiger Pluspunkt des Film zu werten, da an dieser Stelle auf die kriegsvorbereitenden und –begleitenden Ereignisse rekurriert. Das verdeutlicht den Hass, den die Soldaten aufeinander hegen. Damit wird zumindest teilweise die statische Inszenierung um wissenswerte und für die Geschehnisse wichtige Informationen bereichert. Doch reicht das nicht aus, um den Zuschauern die Hintergründe und die Einstellung der Soldaten zum Krieg zu verdeutlichen. So bleibt das eigentliche Wunder, das sich am Weihnachtsabend zutrug, nicht viel mehr als ein filmisches Postulat.

    Nichtsdestotrotz wurde dem historisch bedeutsamen Tag der Annährung der Soldaten im Ersten Weltkrieg mit „Merry Christmas“ ein würdiges Denkmal gesetzt. Auch wenn der Film inszenatorische Schwächen bei der Darstellung des Mentalitätswandels im Allgemeinen und der Annährung der Soldaten am Weihnachtsabend 1914 im Besonderen aufweist, ist er doch ein wichtiger Film, was die Aufarbeitung der europäischen Geschichte angeht. Man kann Carion das Gelingen seines Films attestieren, wenn dieser sagt: „Ich möchte als Filmemacher dazu beitragen, dass man sich an solche Geschichten erinnert und dass man versteht, was dabei eine Rolle gespielt hat.“ Der Film zeigt allerdings nur eine sehr spezielle, temporäre Versöhnung von Menschen ähnlichen kulturellen Hintergrundes. Und die Geschehnisse sind nur schwer auf die heutigen Konflikte und Kriege übertragbar. So ist er in gewisser Weise „nur“ ein bedeutsames, nett anzusehendes „Museumsstück“.

    Link-Tipp: CD-Kritik Soundtrack - „Merry Christmas“

    Link-Tipp: Zum Filmstarts-Interview mit der Crew von Merry Christmas"

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