Portraits unbekannter Helden oder Antihelden des Alltags erleben seit Steven Soderberghs Oscar-prämierten Drama Erin Brockovich (beste Hauptdarstellerin für Julia Roberts) eine Art Renaissance. „Kaltes Land“ nimmt sich darüber hinaus noch eines überaus unbequemen Themas an: Sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Dabei basiert er in Ansätzen auf dem Prozess, den weibliche Minenarbeiterinnen in den USA Ende der 80er Jahre führten.
Josy (Charlize Theron) ist als Tochter eines Minenarbeiters in Minnesota aufgewachsen. Nach einer gescheiterten Ehe mit einem brutalen Trinker kehrt sie mit den zwei Kindern erstmal in ihr Elternhaus zurück. Von ihren Eltern kritisch beäugt, möchte sie endlich ihr Leben selbst in die Hand nehmen und nimmt einen Job in der Mine an. Gemeinsam mit Freundin und Kollegin Glory (Francis McDormand) stellt sie sich dem rauen Berufsalltag. Die männlichen Kollegen verachten die Frauen zum größten Teil und spielen ihnen übel und primitiv mit. Vor allem Josy und die hübsche Sherry (Michelle Monaghan) haben es nicht leicht. Obwohl Josy mit der Verachtung nicht klar kommt, behält sie den Job, weil er ihr das höchste Einkommen und die Aussicht auf eine selbständige Familie bietet. Jede Beschwerde bei Vorgesetzten oder Kollegen wird von den Männern unter der Führung ihres alten Schulfreundes Bobby (Jeremy Renner) mit noch härteren Sprüchen und Übergriffen beantwortet. Unterstützung findet sie nur bei Glory und deren Freund Kyle (Sean Bean), der für Josys Sohn Sammy (Thomas Curtis) zum Ansprechpartner wird.
Die Probleme vervielfachen sich, als die Minenarbeiter Josy öffentlich als frivoles Miststück, das jedem Kollegen hinterher steigt, darstellen. Als sie die Demütigung und Angst nicht mehr erträgt, kündigt sie und strebt mit dem Anwalt und Ex-Eishockey-Profi Bill (Woody Harrelson) einen Prozess wegen sexueller Belästigung gegen die Minenfirma an. Der Vorstand schlägt mit harten Bandagen zurück und zerrt unschöne Details über Josys Vergangenheit an die Öffentlichkeit. Um vor Gericht eine Chance zu haben, braucht die engagierte Frau die Unterstützung ihrer Kolleginnen als Zeugen. Aber die eingeschüchterten Frauen haben keine Lust, sich mit den mächtigen Bossen anzulegen und über diesem Konflikt ihren eigenen Arbeitsplatz zu gefährden.
„Kaltes Land“ lehnt sich in seiner Geschichte nur lose an den Kampf der Minenarbeiterinnen an, die mit ihrem Prozess einen Präzedenzfall schufen, der das Recht in den Vereinigten Staaten und der Unternehmenspolitik in diesem Punkt grundlegend veränderte. Der Film betrachtet das Schicksal von Josy, die schon im Privatleben mit Gewalt und Belästigung konfrontiert ist, und sich schließlich gegen Übergriffe am Arbeitsplatz zur Wehr setzt. Dabei will sie keine Rache nehmen, sondern zunächst die Zukunft und Unabhängigkeit ihrer Familie sichern. Auf die Hilfe des Vaters (Richard Jenkins) kann sie nicht zählen. Der ist gegen Frauenarbeit in der Mine und schämt sich für seine Tochter, weil sie ihren Mann verlassen hat. Die Konfrontation seines erzkonservativen Weltbilds mit dem ungebrochenen Willen Josys, auf eigenen Beinen zu stehen, nimmt viel Raum bei „Kaltes Land“ ein. Über seiner Weigerung, sie zu akzeptieren, kommt es auch zu Spannungen mit seiner stillen Frau Alice (Sissy Spacek), die Josy unterstützen will. Noch härter als die Reaktion ihres Vaters trifft die Minenarbeiterin die Ablehnung ihres Sohnes Sammy, der sich gegen sie rebelliert, als die Gegenoffensive der Kollegen beginnt. Das Thema Familienzusammenhalt wird ebenso detailliert behandelt wie der Kampf um Gleichberechtigung. Im Verlauf des Films fährt die Protagonistin eine Niederlage nach der anderen ein und scheint immer tiefer zu fallen. Dennoch zieht sie ihre Aktion bis zum bitteren Ende durch und konfrontiert die gesamte Stadt mit dem Verhalten der Minenarbeiter und des Vorstands der Firma. Auch wenn Josy mit ihrem Lebensstil einen Kontrast zum konservativ-amerikanischen Stil dieser Zeit verkörpert, visualisiert sie das Drehbuch mit den stereotypischen Attributen des US-Helden wie Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit.
Während der Film seine Position bezüglich dem Rütteln an all zu konservativen Werten sucht, wird dieser Kampf mit Genre-typischen Waffen ausgetragen. Besonders deutlich kommt dies in der Gerichtsszene zum Vorschein, in der Anwalt Bill den Zeugen Bobby mit einem an die eigene Ehre appellierenden Plädoyer traktiert. Mit genau der gleichen Masche brachte schon Tom Cruise als aufrechter Militäranwalt in „Eine Frage der Ehre“ den übermächtigen Jack Nicholson dazu, die unangenehme Wahrheit zu Protokoll zu geben. Statt das konservative System mit den Mitteln des Films in Frage zu stellen, wird es dramaturgisch für den Höhepunkt benutzt und dadurch unterm Strich eher verteidigt. Das Drama widerspricht seiner Intention zum Teil selbst – und das nicht nur während des Prozesses. Auch die Figur des Vaters wird eher vom verletzten Stolz als durch die Erkenntnis, dass seine Tochter eine großartige Person ist, angetrieben. Hier gibt es wenig Hinweise auf ein Dazulernen oder echter Toleranz. Stattdessen bekommt der Zuschauer einen an Melodramatik und Schmalz kaum zu überbietenden Showdown mit Besinnung auf die uramerikanischen Werte Ehre und Gerechtigkeit vorgesetzt.
Schade, dass „Kaltes Land“ seinen eigenen Ansprüchen in dieser Hinsicht nicht gerecht wird. Dem großartigen Spiel des gesamten Ensembles tut dies allerdings keinen Abbruch. Charlize Theron bewies schon in Monster, dass sie keine Angst vor schwierigen Charakteren und unter die Haut gehenden Themen hat. Auch in „Kaltes Land“ überzeugt sie voll und ganz als zweifache Mutter und gequälte Minenarbeiterin und rehabilitiert sich nach dem peinlichen Aeon Flux-Desaster als großartige Darstellerin im Charakterfach. Sie verleiht Josy Tiefe und Format, aber auch eine große Emotionalität. Ihr zur Seite steht eine Reihe begabter und hoch dekorierter Darsteller aus verschiedenen Hollywood-Generationen. Sean Bean (Herr der Ringe - Trilogie, Flightplan) nutzt seine limitierte Leinwandzeit voll aus und wandelt sich vom Hausmann zum Helfer mit ungeahnten erzieherischen Qualitäten. Francis McDormand (Fargo, Almost Famous), Michelle Monaghan (Kiss, Kiss, Bang, Bang,Mission: Impossible 3) und schließlich Sissy Spacek (JFK, Ein Zuhause am Ende der Welt, The Ring 2) bilden die starke weibliche Front neben Josy. Regisseurin Niki Caro, die Whale Rider so gefühlvoll in Szene setzte, hat für ihr großes Hollywood Debüt wirklich eine Traumauswahl an großen Darstellern verpflichten können.
Bis zur Hälfte seiner Laufzeit baut „Kaltes Land“ eine gelungene, unter die Haut gehende und mutige Handlung auf, die vom Ensemble großartig getragen wird. Zum Ende hin zerstört aber das Drehbuch jeden Anflug von Individualität und Auflehnung gegen konventionelle, für ein großes amerikanisches Publikum geschriebene Heldengeschichten. Als Ensemblestück ist „Kaltes Land“ dennoch sehr sehenswert – auch für das deutsche Publikum.